„Frei“ ist ein etwas schwaches Adjektiv, um den Werdegang und das Werk der libanesischen Künstlerin Huguette Caland (1931-2019) zu beschreiben. Als Tochter von Béchara el-Khoury war sie 12 Jahre alt, als er der erste Präsident des Libanon wurde, der 1943 unabhängig wurde. Statt des komfortablen Lebens, das ihr diese Situation zu versprechen schien, zog sie ein turbulenteres Leben vor, heiratete einen Franzosen, Paul Caland, und lehne Abenteuer nicht ab. Sie zeichnete und malte vor allem, belegte Kurse an der American University of Beirut und lebte ab 1970 in Paris. Dort blieb sie bis 1987 und ihrem Umzug nach Kalifornien, nach Venedig. Dieser Pariser Zeit ist die Ausstellung gewidmet, Zeichnungen und Gemälde sind bisher kaum oder gar nicht zu sehen.
Die Gemälde stammen größtenteils aus der Serie Körperrestedie die gesamten 1970er Jahre überdauerte. Sie ziehen schon von weitem das Auge durch die nackte Einfachheit ihrer Komposition in wenigen Kurven und zwei oder drei Farben an, mehr nicht. Sie wirken auf den ersten Blick abstrakt und ähneln denen der Amerikaner FarbfeldmalereiMorris Louis oder Kenneth Noland. Doch schnell stellt sich heraus, dass es sich bei diesen Kurven um Teile des weiblichen Körpers handelt, die man ganz genau betrachtet: Mund, Vulva, Hüften. Bis zum Äußersten stilisiert, manchmal durch Rosatöne oder intensives Gelb verstärkt, manchmal kaum durch ein paar blasse Töne aufgewertet, bleiben sie leicht erkennbar. Sie kommen sogar in den Werken vor, in denen Caland die anatomischen Volumina so weit verkürzt und aggregiert, dass sie an unbekannte Pflanzen oder Landschaften aus Dünen und Felsen erinnern. Im letzteren Fall dominiert Weiß, hell und hell.
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