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„Ich konnte dieses Buch erst jetzt schreiben“

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Zora del Buono und ihr Hund in Zürich.

Stefan Bohrer

In Wegen ihmDie Schweizer Autorin Zora del Buono tritt in die Fußstapfen des Mannes, der vor 60 Jahren für den Tod ihres Vaters verantwortlich war. Ein neuer Roman, der ihm einen Platz unter den aktuellen Bestsellern und eine Nominierung für den Deutschen Buchpreis eingebracht hat. Diese Autofiktion dient auch als Bestandsaufnahme des Lebens des Schriftstellers zwischen Deutschland und der Schweiz.

Dieser Inhalt wurde veröffentlicht am

14. Oktober 2024 – 09:40 Uhr

Aufbauend auf dem Erfolg ihres neuesten Romans, Der Marschall (Die Marschallin), das von der Schweizer Autorin Zora del Buono die Geschichte ihrer slowenischen Großmutter und des Familienhauses ihres italienischen Vaters in Bari erzähltExterner Link kommt zurück mit Wegen ihm (Seinetwegen), ein neues Autofiktion-Buch, das die Familiengeschichte mit der nächsten Generation fortsetzt.

Die Autorin blickt auf die Jahre zurück, in denen sich ihr Vater, Manfredi del Buono, ein junger Radiologe, in Zürich niederließ, bevor er im Krankenhaus seine Mutter, eine Schweizerin, traf. Eine junge Liebe, die nach ein paar Jahren tragisch endet.

Zora del Buono war gerade acht Monate alt, als ihr damals 33-jähriger Vater bei einem Verkehrsunfall auf dem Land in der Schweiz starb. Der Vater und der Onkel des Schriftstellers saßen in einem VW-Käfer, als der Fahrer eines entgegenkommenden Fahrzeugs sie beim Überholen eines Milchwagens frontal anfuhr.

Die Autorin habe die Abwesenheit ihres Vaters auf „normale“ Weise erlebt, denn eine Person, die wir nie kannten, könne man nicht vermissen, sagt sie. Doch diese Leere prägte sie ihr ganzes Leben lang.

In ihrem Buch erstellt sie eine gnadenlose Liste ihrer „Verzerrungen“. Dazu gehört die Unfähigkeit, sich auf Beziehungen einzulassen – aus Angst, dass sie plötzlich wieder enden könnten.

Sein Leben lang ein Tabu

Der Unfall ereignete sich 1963. „Dieses Buch konnte ich aber erst jetzt schreiben“, erzählt sie, als wir sie in Berlin-Kreuzberg treffen, wo sie in einem WG-Zimmer lebt. Zu seinen Füßen liegt einer seiner Hunde, die seine lebenslangen Begleiter sind Wegen ihm wie im Leben.

Erst mit der Demenz ihrer Mutter, die heute in einem Pflegeheim in Zürich lebt, konnte Zora del Buono die innere Freiheit finden, sich für ihren Vater zu interessieren. Der tragische Tod der letzteren war zeitlebens ein Tabu zwischen Mutter und Tochter.

„Ich dachte, ich müsste sie beschützen. Heute bedauere ich, dass wir nicht darüber gesprochen haben“, sagt sie. Das Buch ist auch eine Hommage an diese starke Frau, die ihr Leben als berufstätige alleinerziehende Mutter in Zürich mit großer Würde meisterte und nie wieder heiratete.

Als Zora del Buono im Zuge ihres Umzugs die Wohnung ihrer Mutter auflöst, findet sie einen Zeitungsartikel über den Unfallprozess, der sie in die Vergangenheit katapultiert.

Der 1963 für schuldig befundene „Mörder“, dessen Initialen ET sind, kam mit einer Mindeststrafe davon. Die Neugier des Autors ist geweckt: Wer war der Mann, der durch ein riskantes Überholmanöver eine kleine Familie zerstörte? Wie lebte er mit seiner Schuld? „Ich habe mir gesagt, dass er vielleicht noch am Leben ist und dass ich mich beeilen muss“, sagt sie.

Näher an der Wahrheit

Um ihre Forschungen durchzuführen, kehrt Zora del Buono in ihre Heimat Schweiz zurück, ein Land, aus dem sie in ihrer Jugend geflohen war, um sich in Amsterdam und dann in Berlin niederzulassen. Dort arbeitete sie in der Zeit nach der Wende zunächst als Architektin, bevor sie mit einem Schweizer Freund die berühmte Zeitschrift gründete Stute.

Für ihre umfangreiche Berichterstattung ist Zora del Buono um die Welt gereist und hat sich als Journalistin einen Namen gemacht. Hartnäckig sein, neugierig sein, Augen, Ohren und Herz offen halten: Das sind alles Eigenschaften, die sie seit Jahrzehnten auszeichnen. In diesem Sinne, Wegen ihm fiel ihr nicht schwer. „Das Buch war nicht kompliziert. Es passt mir so gut“, sagt sie.

Das Ergebnis ist ein künstlerisch arrangiertes Mosaik aus Recherchen, Gedanken, Fakten und Berichten über Gespräche mit Freunden beim Kaffee. „Das ist wirklich passiert“, versichert sie uns.

Im Freundeskreis werden Themen wie Schuld, Erinnerungen und Zusammenhänge diskutiert. Diese ebenso unterhaltsamen wie informativen Klammern dienen ebenso wie die Exkurse zur Unfallstatistik dazu, das eigene Schicksal in einen größeren Kontext zu stellen.

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Zora del Buono pendelt mittlerweile zwischen Deutschland und Zürich.

Stefan Bohrer

Was seiner Familie passiert ist, passiert weiterhin jeden Tag. Es ist ihr wichtig, darauf hinzuweisen: Tödliche Autounfälle traumatisieren ganze Familien. „Hinter jedem Fall stecken viele Geschichten.“

Einige Orte, Regionen und Namen wurden geändert und neu angeordnet. „Aber so viel wie möglich ist es wahrheitsgemäß“, sagt sie. Wie die Szene, in der sie im Haus ihrer Mutter zwei im Super-8-Format findet. Wir sehen seine Eltern als frisch verliebtes Paar bei einem Zoobesuch: lachend, lebhaft, voller Leben.

„Allein dafür hat sich die Recherche gelohnt. Sie waren einfach ein junges und cooles Paar. Ihre Mutter wirkt plötzlich so anders: mutig, fröhlich und lustig. „Ich kannte sie nur als traurige Witwe“, bedauert die Autorin. Sie versteht, was ihrer Mutter genommen wurde.

Zora del Buono wurde während ihrer Recherchen mit neuen Erinnerungen gesegnet. Darunter auch diejenigen, die der 85-jährigen Krankenschwester zu verdanken sind, die sich in den Tagen vor seinem Tod um seinen Vater gekümmert hat.

Die alte Frau erinnerte sich noch an überraschend viele Details. Manfredi del Buono starb im Krankenhaus, in dem er als Radiologe arbeitete. Alle liebten diesen lebhaften Arzt und waren zutiefst schockiert.

„Sie sagte, das ganze Krankenhaus habe damals geweint.“ Eine ehemalige Arztkollegin, inzwischen hochbetagt, erzählte der Autorin lustige Geschichten über ihren Vater, „einen jungen Italiener in Zürich“. Die vielen leeren Räume um seinen Vater herum füllten sich mit neuen Geschichten und Bildern. Zora del Buono ist dankbar.

Der „Mörder“ wird zum Menschen

Auch über den Unfallverursacher Eduard Traxler konnte sich der Autor ein Bild machen. Sie wurde versöhnlicher. Dank einer Mitarbeiterin des Archivs, die ihr die Prozessakten zur Verfügung stellte, fand sie Informationen zum Unfallhergang und zur Biografie des Mannes.

Letzterer ist inzwischen verstorben. Doch Gespräche mit ihren Bekannten zeichnen das Bild eines völlig liebenswerten Mannes, für den sie sogar Mitleid empfinden kann. Er litt sein Leben lang unter dem Unfall, fuhr nie wieder Auto, lebte ganz allein und war vermutlich homosexuell.

Wegen ihm ist daher auch ein Zeugnis von Mitgefühl und Vergebung. „Ich bedaure wirklich, dass wir nicht gesprochen haben. „Es hätte ihm gutgetan“, sagt Zora del Buono.

Die Autorin vertieft sich nicht nur in die Geschichte ihrer Familie, sie erlebt auch zahlreiche Begegnungen mit Fremden in ihrer ehemaligen Heimat. Bewegt ihn der Anblick eines Bergpanoramas und prächtig geschmückter Kühe beim Abstieg, so lassen ihn die Begegnungen mit unwilligen Einheimischen auch ein Gefühl der Enge neu entdecken. Derselbe, vor dem sie vor Jahrzehnten geflohen ist.

Es ist also ein Kampf mit der sozialen Kultur der Schweiz, der sie sich wieder annähert. Nach jahrzehntelangem Aufenthalt in Deutschland und Berichterstattung für Stute Auf der ganzen Welt pendelt Zora del Buono mittlerweile zwischen Deutschland und Zürich.

Seit letztem Jahr hat sie dort wieder eine Wohnung und genießt einen ruhigeren Alltag. „In Zürich ist alles so nah“, sagt sie. Abends, nach dem Theaterbesuch, kehrt sie in fünf Straßenbahnhaltestellen nach Hause zurück. Dort trifft sie immer wieder auf bekannte Gesichter.

Und doch schätzt der Autor weiterhin die Brüche Berlins, die wilde Natur der Stadt, die vor allem aus Geldmangel hemmungslos wächst. „Ich fühle mich in beiden Welten wohl“, sagt sie, obwohl die meisten ihrer Freunde in Zürich Deutsche sind.

Zora del Buono plant bereits einen weiteren Familienroman. Im Mittelpunkt stehen ihre Tante und das Leben junger alleinstehender Frauen im Zürich der 60er und 70er Jahre. Die Autorin hatte bereits mit ihren Recherchen begonnen, als ihr die Geschichte ihres Vaters auffiel. „Ich sollte die Nachforschungen zu meiner Familie wahrscheinlich unterbrechen“, sagt sie lachend.

Sie würde dann die Gelegenheit nutzen, die schottische Küste zu bereisen; Treffen Sie dort Einheimische und besprechen Sie die Veränderungen, die nach dem Brexit eingetreten sind. Aber vielleicht kommt ja auch etwas ganz anderes. „An Ideen mangelt es mir nicht“, schließt sie.

Aus dem Deutschen übersetzt von Dorian Burkhalter

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