Der Spezialist für Bestattungsriten glaubt jedoch nicht an das Ende der Friedhöfe: „Diese Orte wurden geschaffen, um den Toten einen Platz zu geben. Gerade damit sie nicht den ganzen Raum einnehmen und den Lebenden so ein Weiterleben ermöglichen.“ Wie die letzteren, die den den Vermissten eingeräumten Platz räumlich abgrenzen, widmet ihnen der katholische Kalender einen bestimmten Tag. Obwohl er Atheist ist, glaubt der Psychiater Jean-Claude Métraux, dass es kostbar ist, diese Zeit zu haben, „um sich gemeinsam daran zu erinnern, dass der Tod existiert und dass wir nicht unsterblich sind“.
Allerdings „sind die Praktiken rund um das Gedenken nicht mehr notwendigerweise in der religiösen Strenge verankert, sondern werden entsprechend den Daten der Familien – Sterbe- oder Geburtstagsdaten – personalisiert“, stellt Aurélie Jung fest. „So wie wir Beerdigungen zunehmend individuell nach dem Verstorbenen gestalten, individualisieren wir auch deren Gedenken.“ Als Beispiel nennt sie den Fall dieser jungen Frau, die ihren Vater, einen Amateurfotografen, verloren hatte: „Sie bekam ihre alte Kamera zurück und lernte, damit umzugehen. Seitdem knüpft er Kontakt zu seinem Vater, indem er rausgeht und Fotos macht.“
Auch wenn blühende Gräber nicht mehr so beliebt sind, haben sich dennoch andere Klassiker etabliert. „Wir machen diesen Spaziergang, den wir mit Opa gemacht haben, oder wir essen dieses Gericht, das Mama besonders geschmeckt hat“, sagt Aurélie Jung. „Auch das Tragen von Schmuck oder Kleidung, die dem Verstorbenen gehörte, kommt in den gesammelten Zeugenaussagen sehr häufig vor.“ Und um zu betonen: „Wir müssen uns nicht auf das Außergewöhnliche einlassen. Was zählt, ist, Dinge zu finden, die für die Menschen, die bleiben, Sinn machen.“
„Wir erleben eine Intimisierung des Todes“, sagt Martin Julier-Costes. „Das heißt, wir schätzen die persönlichen Gefühle der Menschen, die wir sind, indem wir uns sagen: ‚Finden Sie Ihren eigenen Weg, Ihre eigenen Ressourcen, Ihren eigenen Weg angesichts dieses Verlusts, der Sie aufwühlt‘.“ Er erinnert sich jedoch: „In traditionelleren Gesellschaften und bestimmten Religionsgemeinschaften liegt es auch heute noch an der Gruppe, die Person zu tragen, indem sie ihre Trauererfahrung markiert und ihr sagt, was sie wann tun soll, ähnlich wie beim Tragen einer langen Trauer.“ war für Witwen obligatorisch.“