Neue Kampagne für den Krisenfall

Neue Kampagne für den Krisenfall
Neue Kampagne für den Krisenfall
-

Der Bund lanciert eine Kampagne, um die Versorgungssicherheit der Haushalte zu verbessern. Das hat in der Schweiz eine lange Tradition.

Versorgt sein für den Fall der Fälle: Gemüse in Konservendosen.

Shana Novak / Getty

Wie schnell sich doch die Zeiten ändern. Als vor zehn Jahren der damalige Armeechef André Blattmann in einem Zeitungsinterview sagte, er horte zu Hause dreissig oder vierzig Sechserpackungen Mineralwasser sowie Konservendosen und Holz fürs Cheminée, erntete er viel Spott. Der SP-Politiker Fabian Molina ätzte: «Lagert Konserven-Blattmann eigentlich auch Knoblauch gegen die Weltherrschaft der Vampire?» Heute würde wohl selbst Molina zugeben, dass sein Kommentar schlecht gealtert ist – nach einer Pandemie, schweren Unwettern in der Schweiz, einer gerade noch abgewendeten Strommangellage sowie einem Krieg in Europa. Das vermeintlich Undenkbare kann jederzeit eintreten, und die Eidgenossenschaft bleibt davon nicht unberührt.

Am Dienstag hat das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung eine neue Kampagne zum Halten eines Notvorrats lanciert – einer «einfachen und im Krisenfall sehr effektiven Massnahme», um für einige Tage «Versorgungsunabhängigkeit» sicherzustellen. Es sei, so heisst es, ein Beitrag, den jede und jeder leisten könne, «um herausfordernde Zeiten zu bewältigen».

Der Weckruf scheint nötig, weil offenbar sogar im versicherungsfreudigsten Land der Welt die Bereitschaft zur kurzfristigen Selbstversorgung abgenommen hat. Dabei hat der staatlich propagierte Notvorrat in der Schweiz eine lange Tradition.

Kind des Kalten Kriegs

Nach den Erfahrungen des Mangels und Verzichts während zweier Weltkriege führte der Bundesrat Pflichtlager ein und ernannte einen Delegierten für wirtschaftliche Kriegsvorsorge, eine Art Notvorratsgeneral – gouverner, c’est prévoir! Im Frühjahr 1950 wandte sich die Regierung dann auch direkt ans Volk: «Die Errichtung von zentralen Pflichtlagern wird sinnvoll ergänzt durch das kleine Pflichtlager in jeder Haushaltung.»

Wenig später brach der Korea-Krieg aus. Aber die Bevölkerung hatte «die Zeichen der Zeit nicht verstanden», wie die Behörden kritisierten. Erhebungen ergaben, dass über ein Drittel gar keine Vorräte angelegt oder sie schon wieder verbraucht hatte. Weitere Appelle und ein Versuch mit einem standardisierten Notvorratspaket im Detailhandel scheiterten. Die Sorglosigkeit war so gross, dass sich beim Bund Ernüchterung breitmachte: «Von neuen Aufrufen versprechen wir uns wenig.»

Das änderte sich 1956 mit der Niederschlagung des Ungarn-Aufstands durch die Sowjetunion. Die Angst vor einem Angriff der Kommunisten löste Panikkäufe aus, die den Handel vorübergehend lahmlegten. Das fuhr ein. Und der Bund lancierte nun regelmässig grosse Kampagnen für das Anlegen eines privaten Notvorrats. Dieser galt fortan als «Inbegriff hausväterlicher Umsicht».

Das Grundsortiment sollte möglichst einfach gehalten sein, «um den Hausfrauen die Aufgabe zu erleichtern», wie es hiess: unter anderem Reis, Zucker, Fett, Batterien, Kerzen, Zündhölzer, und natürlich «Flüssigkeit nicht vergessen!». Die amtliche Propaganda kam in Plakat- und Inseratform, als Flugblatt oder Broschüre, mit Comiczeichnungen, als Beitrag im Radio, in den Kinos, später auch im Fernsehen, sogar als Zeichentrickfilm.

Zur Werbung dienten Slogans wie «Unabhängig von der Zeit – Notvorrat» oder rhythmisch versierter: «Kluger Rat – Notvorrat». Auch ein Kapitel im berüchtigten Büchlein «Zivilverteidigung», das der Bund 1969 an alle Haushalte verteilte, widmete sich dem Thema: «Warten Sie nicht, bis sich die politische Lage wieder zuspitzt. Dann könnte es zu spät sein.» Später wurde die Schrift in Japan zum Exporthit und machte die dortige Bevölkerung auch «mit dem für sie bisher unbekannten Begriff des Notvorrats bekannt», wie die Zeitschrift «Zivilschutz» freudig feststellte.

Doch je nach Weltlage hielt sich die Schweizer Bevölkerung unterschiedlich diszipliniert an die behördlichen Vorgaben. 1978 kam eine Studie zu dem Schluss, dass zwar 70 Prozent der Bevölkerung gewusst hätten, dass ein Notvorrat angelegt werden müsste, aber nur 10 Prozent es tatsächlich in vollem Umfang getan hätten. Auch nach dem Ende des Kalten Kriegs appellierte der Bundesrat an die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Die Gefahren waren nunmehr einfach andere als ein Einmarsch der Kommunisten und ein nuklearer Krieg zwischen den Supermächten.

Die Behörden warnen seither vor Natur- oder Industriekatastrophen, vor Terrorismus oder einem Blackout als Ursachen einer kurzfristig unsicheren Versorgungslage. Im Jahr 1997 lautete der Titel der offiziellen Broschüre: «Haushaltsvorrat – Damit der Fall der Fälle nicht zur Falle wird». 2010 erschien ein «Ratgeber für Notsituationen», inklusive Rezept fürs «Kochen ohne Strom».

Und nun also folgt vor dem Hintergrund der Krisen der Gegenwart die neue Kampagne des Bundes zum Notvorrat.

Einkaufshilfe für Haustiere

Auf der Website des Bundes finden sich Broschüren, Checklisten und ein Lehrvideo. Wo früher starre Mengenangaben der Güter für den Ernstfall propagiert wurden, hilft nun als grösste Neuerung ein Rechner. Damit lässt sich mit wenigen Klicks eine Grundausstattung für den eigenen Haushalt berechnen: Die Zahl der Erwachsenen, Kinder und Kleinkinder spielt dabei eine zentrale Rolle sowie der Zeitraum, in dem der Haushalt unabhängig versorgt werden soll – von drei Tagen bis maximal zwei Wochen. Zeitgeistig werden bei der Zusammenstellung auch die Essgewohnheiten berücksichtigt: «fleischkonsumierend» oder «vegetarisch»? Unverträglichkeiten auf Gluten, Laktose oder Nüsse? Auch die Halter von Haustieren werden beim Einkauf für den Ernstfall unterstützt.

Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung will die Bevölkerung vor allem via soziale Netzwerke für das Thema «sensibilisieren», wie es auf Anfrage mitteilt. Unterstützt wird es bei der Kampagne, deren Kosten sich bis jetzt auf 60 000 Franken belaufen, vom Detailhandel: «Als letztes Glied der Wertschöpfungskette ist er das Bindeglied zwischen den Gütern und der Bevölkerung. Seine Funktion als Verkaufs- und Verteilzentrum ist entscheidend für die Versorgungssicherheit.»

Dem ist selbstverständlich so. Aber es erinnert auch an eine Kontinuität, die in die Zeit des Kalten Kriegs zurückreicht: Die amtliche Propaganda weckte schon früh kommerzielle Begehrlichkeiten bei den Grossverteilern, die beim Notvorrat auf ein möglichst breites Sortiment und hohe Mengen drängten. Und auf haushälterische Disziplin hofften, wie sie die Gattin von Bundesrat Gnägi einst in der «Schweizer Illustrierten» demonstrierte: «Ja, ich verfüge seit Jahren über den vorgeschriebenen Notvorrat, jeden Monat oder bei Aktionen erneuere ich ihn.»

-

PREV Wie die Verletzung von Dani Carvajal einen möglichen Wechsel von Trent Alexander-Arnold zu Real Madrid ermöglicht
NEXT Dounia Coesens musste ihr Aussehen ändern, um eingestellt zu werden: „Wir nehmen dich, aber du tust…“