Als Matchwinner Maximilian Beier fünf Minuten vor dem Schlusspfiff vom Spielfeld torkelte, konnte er froh sein, dass ihm seine Beine nicht komplett den Dienst versagten. Mit sichtlicher Mühe schaffte es der Jung-Nationalspieler noch über die Seitenlinie. Mehr ging nicht. Beier hatte sich, wie etliche seiner Mitspieler, total verausgabt. Ausgerechnet gegen den Tabellenzweiten RB Leipzig, zuvor in 19 Spielen unbesiegt, gelang Borussia Dortmund mit einem 2:1-Sieg ein Triumph gegen den Trend.
Dortmunds Befreiungsschlag gelang sogar nach einer kurzzeitigen Führung für die Leipziger, als Luis Openda BVB-Kapitän Emre Can mit einem Hackentrick aus dem Spiel genommen hatte und Benjamin Sesko das 1:0 auflegte. Aber auf eine wuchtige Kopfballvorlage von Felix Nmecha löffelte Beier kurz danach den Ball zum 1:1-Ausgleich ins Leipziger Tor, und in der 65. Minute gelang Torjäger Serhou Guirassy nach einer klassischen Flanke des entfesselten Beier der Siegtreffer. Allerdings mussten die verbliebenen zehn Profi-Feldspieler mit einer läuferischen Energieleistung bis an die internen Reserven gehen, um den Vorsprung zu retten. Nicht nur Beier kam am Ende auf dem sprichwörtlichen Zahnfleisch daher.
Meinung
:Nur die Dortmunder Kumpel-Philosophie schützt Nuri Sahin noch
Emre Can, dem nach Wochen heftiger Kritik an diesem Abend fast alles gelang, wollte wohl gerade die sichtliche Leidensbereitschaft seiner Mannschaft herausheben, als er nach dem Spiel sagte: „Das ist unser Anspruch, so wollen wir Fußball spielen. Die Art und Weise war heute super. Viele Verletzte, das ist nun gerade mal unser Schicksal, und gegen das müssen wir ankämpfen.“
Für Dortmunds zuletzt schwer unter Druck geratenen Trainer Nuri Sahin war der verdiente Sieg besonders wichtig. Und keineswegs selbstverständlich, denn Sahin musste auf zehn verletzte Profis verzichten, zuletzt auch noch auf Torwart Gregor Kobel. Das letzte Aufgebot aber zeigte sich konzentrierter und weit zupackender, als es den Dortmundern in den vergangenen Spielen in allen drei Wettbewerben gelang, als der BVB in der Champions League gegen Real Madrid, in der Liga beim FC Augsburg und zuletzt auch noch im DFB-Pokal beim VfL Wolfsburg drei Niederlagen eingesammelt hatte.
Sahin wollte gar die bisher beste Leistung gesehen haben, seit er zu Saisonbeginn als Chefcoach übernommen hat: „Die Jungs haben das nicht nur kämpferisch gut gemacht, sondern auch spielerisch. Es war über neunzig Minuten betrachtet unser bestes Saisonspiel.“ Dass sich die Mannschaft mehr oder weniger von allein aufgestellt hatte, machte den Ernst der Mission vielleicht noch dem Letzten im Team klar. Sahin hatte sich getraut, auf die eine defensive Sechser-Position im Team den bisher nicht immer ganz sattelfesten Felix Nmecha zu positionieren. Der machte in einer ungewohnten 4-1-4-1-Systematik ein starkes Spiel, ebenso wie Mittelfeld-Regisseur Julian Brandt, der die beste Laufleistung von allen Spielern abspulte. Insgesamt gelang es Sahins Team, sich nie in die Defensive drängen zu lassen. Anders als etwa bei der Pleite bei Real Madrid.
Leipzigs Trainer Rose sagt: „Wenn du den Ball gegen Dortmund immer wieder zu früh verlierst, dann erdrücken sie dich hier im Stadion.“
Ein Übriges steuerte wieder mal das Dortmunder Publikum bei, denn spätestens in der letzten Viertelstunde feierte der berüchtigte „Westfalenstadion-Roar“ sein Comeback in der laufenden Saison: Keinem Zuschauer war mehr das Sitzen erlaubt. Die Wucht der 81 365 Menschen im Dortmunder Stadion ließ die BVB-Spieler länger und weiter rennen, als das vielleicht auswärts gelungen wäre. Auch Guirassy und vor allem Beier, dem seine ersten Scorerpunkte für Dortmund gelangen, wühlten und ackerten im Rahmen ihrer Defensiv-Möglichkeiten mit.
Leipzigs Trainer Marco Rose, zum 100. Mal bei RB an der Seitenlinie, wusste am Ende auch keine rechte Erklärung für die seltsam gehemmt wirkende Spielweise. Er sah einen „sehr verdienten Sieg für Borussia Dortmund. Sie waren sauberer am Ball, haben körperlicher gespielt als wir, leidenschaftlicher.“ Dabei hatte Roses Torwart Peter Gulacsi mit mehreren Glanzparaden sogar Schlimmeres verhindert. Gegen Beier, Gittens und Brandt rettete er. Sein Lösungsansatz für die eher durchschnittliche Leistung seiner vorher favorisierten Mannschaft klang in der Analyse treffend: „Wenn du den Ball gegen Dortmund immer wieder zu früh verlierst, dann erdrücken sie dich hier im Stadion.“
Den Beweis, dass solche Energieleistungen nicht nur gelegentlich möglich sind, muss der BVB schon am Dienstag wieder erbringen, in der Champions League gegen Sturm Graz. Gut möglich, dass Sahin dann mit Marcel Sabitzer der nächste Verletzte fehlt. Sabitzer musste mit Muskelschmerzen in der Wade ausgewechselt werden. Leipzig trifft Mittwoch auf Celtic Glasgow.