Die Ortschaft Paiporta nahe Valencia wurde besonders stark vom Unwetter am Dienstag betroffen. Mindestens 215 Menschen kamen ums Leben. Bereits kurz danach wurde Kritik laut an den Behörden, auch weil sie erst sehr knapp vor den Wassermassen gewarnt hatten. Der aufgestaute Unmut der Bevölkerung hat sich am Sonntag beim Besuch des Königs in Paiporta entladen. Er zeigte Verständnis. Journalistin Julia Macher war dabei.
Julia Macher
Journalistin in Barcelona
Personen-Box aufklappen
Personen-Box-Klöppel
Julia Macher berichtet aus Spanien für verschiedene Radio- und TV-Sender, hauptsächlich über Gesellschaft und Kultur.
SRF News: Julia Macher, wie ist der Besuch des Königs zusammen mit dem Ministerpräsidenten Sánchez und Regionalpräsidenten Manzón verlaufen?
Julia Macher: Es war tatsächlich beeindruckend. Einen solchen Empfang einer offiziellen Kommission habe ich in Spanien bisher noch nicht gesehen. Diese Kommission wollte gerade den Rundgang durch Paiporta beginnen. Da standen Hunderte Anwohner. Die Wut hat sich relativ spontan entladen. Die Ersten rufen: «Haut ab, Mörder!» Die Leute haben von der Strasse und von Balkonen mit Schlamm, Lehm und Steinen nach der Kommission geworfen.
Regierungschef Pedro Sánchez brachte man in ein Auto, nachdem er von einem Stock getroffen wurde. Der Rest der Kommission, die Königin und der König, blieben noch eine Weile und versuchten, mit der Bevölkerung zu sprechen und sie zu beruhigen, was nicht immer geklappt hat. Dann wurde der Besuch abgebrochen.
Das sagte der König
Box aufklappen
Box zuklappen
«Man muss die Wut und die Enttäuschung vieler Menschen darüber verstehen, was ihnen Schlimmes widerfahren ist, weil es schwer zu verstehen ist, wie die Mechanismen funktionieren und es die Erwartung gibt, dass man sich um die Notlage kümmert», sagte der König nach Angaben der Agentur Europa Press.
Gegen wen oder was richtet sich der Unmut der Bevölkerung?
Vermutlich gegen alle, die als Repräsentanten des Staates gelten. Nach diesen letzten Tagen gilt der Katastrophenschutz als weitgehend verfehlt. Aus der Bevölkerung hallt der Vorwurf, nicht rechtzeitig reagiert zu haben. Es handelt sich demnach um einen kollektiven Unmut auf die Politik und das bisherige Krisenmanagement. In gewisser Weise ist das auch verständlich, nach fünf Tagen Ausnahmezustand.
Die Nerven liegen bei vielen Menschen einfach blank.
Viele Menschen haben immer noch keine funktionierende Trinkwasserversorgung. Lebensmittel sind an manchen Orten knapp geworden, die Strassen sind immer noch blockiert. Da liegen die Nerven bei vielen Menschen einfach blank. Bei der Ankunft einer offiziellen Kommission sieht man diese in einer solchen Situation schnell als Hauptschuldige.
Abschaffung der Katastrophenschutzeinheit
Box aufklappen
Box zuklappen
Der Regionalpräsident von Valencia, Carlos Manzón, hat bei seinem Amtsantritt letzten Jahres kurzerhand die Behörde abgeschafft, die bis dahin für die rasche Reaktion auf Naturkatastrophen zuständig war.
Ob das mit ein Grund für die Proteste gewesen sei, ist laut Journalistin Julia Macher schwierig zu sagen. «In den spanischen Medien hat tatsächlich für eine Debatte gesorgt, dass Regionalpräsident Manzón die regionale Katastrophenschutzeinheit abgeschafft hat, weil die rechtsextreme Vox-Partei das so wollte. Möglicherweise hätten die Behörden schneller reagieren können, wenn es diese Einheit noch gegeben hätte.
In Spanien existieren durchaus Aktionspläne zur Verhütung von Hochwasserrisiken. Haben diese im aktuellen Fall nichts gebracht?
Geologen zufolge hatten diese «Kalte Tropfen» Dimensionen, auf die man sich schwer vorbereiten konnte, zumindest was die Infrastruktur betrifft. Es gibt einen Katastrophenschutz, es gab auch eine rechtzeitige Warnung des Wetterdienstes. Die Behörden dachten sich jedoch: «Na ja, vielleicht wird es nicht so schlimm.» Doch dann kam es eben viel schlimmer.
Katastrophe auch der Stadtplanung geschuldet
Box aufklappen
Box zuklappen
Wenn man sich die Landkarte anschaut, befinden sich die meisten betroffenen Städte und Dörfer entlang der Mittelmeerküste. Dort baut man seit den 1960er Jahren, verstärkt aber auch durch den Bauboom in den 1990er Jahren.
Erst seit 2015 muss auf Karten ausgewiesen werden, welche Gebiete oder Bauzonen bei Überschwemmungen gefährdet sein können. Entsprechende Risiken müssen dann kalkuliert werden. «Sehr viele Wohnungen, Häuser und viele wichtige Infrastrukturen stehen auf sogenanntem überschwemmbaren Land», sagt die Journalistin Julia Macher.
In den drei Provinzen Valencia, Alicante und Murcia sind insgesamt 280’000 Wohnungen gefährdet. In Valencia sind es fünf Prozent des gesamten Gebiets mit Wohnungen. Und in Murcia sogar 17 Prozent. «Das ist eine Stadtplanung, die in Zeiten der Klimakrise solche Katastrophen nur noch schlimmer macht», erklärt Macher.
Spaniens Wirtschaft wächst derzeit stärker als die der USA, auch aufgrund des Tourismus. Ist es vor diesem Hintergrund realistisch, dass sich nun etwas ändert, punkto Stadtplanung oder Hochwasserschutz?
Das wird die grosse Frage sein. In einer Erklärung sagte Premierminister Sánchez am Samstag, es sei dringend notwendig, sich in Sachen Anpassung an den Klimawandel mehr anzustrengen und Projekte schneller voranzutreiben. Zugleich sagte er aber, jetzt müsse man erst mal das wiederaufbauen, was die Fluten zerstört haben. Also da gibt es schon einen Unterschied zwischen Theorie und Praxis.
Das Gespräch führte Matthias Kündig.