Nr. 45 – 7. November 2024
Möchtegernautokrat Donald Trump hat die Wahl gewonnen. Was ist bloss mit der US-amerikanischen Gesellschaft los?
Von Lotta Suter, Vermont
Früher Dienstagabend. Dies ist nicht meine erste Wahlnacht. Seit Jahrzehnten bin ich für die WOZ mit dabei, wenn die Resultate der Präsidentschaftswahl in den US-Medien live präsentiert und kommentiert werden. Und jedes Mal ist die Aufregung so gross wie beim Endspiel einer Fussballweltmeisterschaft. Doch diesmal fiebere ich nicht bloss mit. Ich bin verunsichert. Erlebe ich das Ende eines unglaublich hässlichen Wahlkampfs oder den Beginn eines Putschversuchs?
Die wahrscheinlich richtigste Antwort lautet: beides zugleich. Doch die doppelte Botschaft ist kaum auszuhalten. Aus der Psychologie wissen wir, dass uns ein derartiges Doublebind (Doppelbotschaft) traumatisiert und mit der Zeit verrückt macht. Das erklärt vielleicht, wieso die US-Bevölkerung im Wahljahr 2024 gestresster ist denn je. Beschäftigen wir uns als Wählende oder Medienleute mit traditionellen politischen Themen wie Ökonomie, Migration, Umweltschutz oder dem Recht der Frauen auf den eigenen Bauch, vernachlässigen wir womöglich die faschistische Bedrohung durch Donald Trump und die ihm hörige republikanische Partei. Richten wir das Augenmerk auf die immer kruderen rassistischen und sexistischen Gewaltfantasien der Maga-Bewegung, verlieren wir die real existierende Gewalt in den USA, in der Ukraine und im Nahen Osten aus dem Blick.
Das Dilemma ist gewollt. Donald Trump und seine Maga-Bewegung haben bereits vor vier Jahren mit dem Sturm aufs Kapitol gezeigt: Wir machen mit beim Demokratiespiel – solange wir gewinnen. Sonst kämpfen wir wie die Teufel («We fight like hell»). Diese Zweifachstrategie galt auch bei der Präsidentschaftswahl 2024: Einerseits ging Präsidentschaftskandidat Trump mit immer ausgefalleneren Sprüchen und Kostümen auf Stimmenfang. Doch gleichzeitig schürte er Tag für Tag Zweifel an der Rechtmässigkeit der Wahl. Mit einigem Erfolg: Viele US-Wahllokale gleichen mittlerweile Festungen mit Stacheldrahtzaun und Videoüberwachung. Wahlhelfer:innen tragen Alarmknöpfe und absolvieren Selbstverteidigungskurse. Zwei Drittel der Wähler:innen in den «Swing States», den wahlentscheidenden US-Bundesstaaten, erwarteten Gewaltausbrüche, falls Kandidat Trump die Wahl verliert.
Vor Mitternacht. Die Wahl selbst verläuft ohne grössere Zwischenfälle. Einige falsche Bombendrohungen und Funktionsstörungen bei den Wahlzählmaschinen gelten hierzulande als Courant normal. Bisher keine grossen Überraschungen, betonen die Medienleute in den ersten Stunden immer wieder.
Aber bald zeigt sich, dass die Wahllandschaft 2024 eher der Situation im Jahr 2016 gleicht, als Trump überraschend gegen Hillary Clinton siegte, als der Wahl vor vier Jahren, die er gegen Joe Biden verlor. Und am späten Abend wird klar: Eine Regierung, die Massendeportationen plant und mit Militär gegen ihre «inneren Feinde» vorgehen will, ist in den USA mehrheitsfähig. Lieber ein weisser Macho als eine erste und erst noch Schwarze Madam President.
Unter den Trump-Wähler:innen gibt es ein paar Superreiche wie Elon Musk, für die sich diese Wahl dank Steuergeschenken direkt auszahlt. Ich kenne auch Leute, die allein deshalb republikanisch wählen, weil ihre Familie das seit Generationen tut. Manche Büezer glauben, ausgerechnet der Milliardär Donald Trump, der aus Profitsucht skrupellos Dutzende von Unternehmen in den Konkurs geritten hat, werde sich für ihre Interessen einsetzen. Er, der Hotels und Golfplätze in aller Welt besitzt und vorzugsweise billige Fremdarbeiter beschäftigt, werde die Grenzen schliessen und mit Strafzöllen die Lebenskosten der Amerikaner:innen senken und das US-Budget ins Lot bringen. Kurz, er versprach seinen Maga-Anhänger:innen ein «goldenes Zeitalter». Und sie stimmten für diesen amerikanischen Traum, denn es tat ihnen gut, wenigstens für einen Moment daran zu glauben.
2024 ist aber nicht zuletzt auch eine Hasswahl. Donald Trump hat Millionen von US-Bürger:innen mit fremdenfeindlicher, rassistischer und sexistischer Missinformation so aufgehetzt, dass ihnen mit der Zeit wichtiger war, wie hart die verleumdeten «anderen» (Menschen mit Migrationshintergrund, erfolgreiche Frauen, trans Personen …) bestraft werden, als was ihr eigenes Leben besser macht. Donald Trumps erfolgreichster Slogan war: «I am your retribution» (Ich bin eure Rache und Vergeltung).
Früher Mittwochmorgen. Vor vier Jahren hat sich Donald Trump um zwei Uhr morgens eigenmächtig zum Wahlsieger erklärt. Das war der Beginn seiner «Stop the Steal»-Kampagne, die am 6. Januar 2021 in einen Putschversuch eskalierte. Diesmal feiert er um zwei Uhr morgens einen legitimen Sieg – wie immer mit viel übertriebenem Selbstlob und ausufernden Geschichten, vor allem über seinen reichen Busenfreund und Wahlfinanzierer Elon Musk.
Die republikanische Partei hat Trump 2024 trotz seines undemokratischen Verhaltens nochmals als Präsidentschaftskandidaten einer demokratischen Wahl aufgestellt. Noch sind nicht alle Stimmen ausgezählt. Doch bereits jetzt steht das Ergebnis fest: Die Republikaner:innen fahren einen überraschend klaren Wahlsieg ein, erzielen dazu komfortable Mehrheiten sowohl im Senat wie wahrscheinlich auch im Repräsentantenhaus. Auch die dritte Gewalt, die Rechtsprechung, ist mit dem mehrheitlich rechtskonservativen Obersten Gericht fest in republikanischer Hand.
Was bedeutet das für die US-Demokratie? Wird sich Trump nach dem Vorbild seines ungarischen Idols Viktor Orbán der demokratischen Mechanismen bedienen, um eine elektorale Autokratie aufzubauen? Oder schert er sich dank des Wahlmandats überhaupt nicht mehr um das demokratische Deckmäntelchen? Wie viele seiner massiven Drohungen gegenüber politischen Gegner:innen wird er wahr machen? Das alles ist schwer vorauszusagen. Denn die Präsidentschaft ist für Donald Trump vor allem ein Egotrip.
Erschreckend ist die Wahl 2024 aber nicht bloss, weil nun ein Möchtegernautokrat an die Macht kommt, sondern auch dessentwegen, was wir dabei über den Zustand der US-amerikanischen Gesellschaft in diesem Moment gelernt haben. Mehr als die Hälfte der Menschen haben Trumps düstere Prophezeiungen akzeptiert und auf den starken Mann als Retter gesetzt. Kamala Harris’ optimistischere Botschaft, dass wir wichtige Probleme gemeinsam angehen und demokratisch lösen könnten, fand hingegen zu wenig Gehör.
Kongresswahlen
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Bahn frei für das «Project 2025»
Grössenwahn war schon immer Teil seines Programms. Noch in der Wahlnacht bezeichnete Donald Trump seinen Erfolg als «Sieg, wie ihn das Land noch nie gesehen hat». Doch auch fern dieser Selbstüberhöhung können die Republikaner:innen in der Praxis durchregieren: In beiden Kammern des Kongresses dürften sie künftig über eine Mehrheit verfügen. Im Senat kommen sie neu auf mindestens 51 Mandate (Demokrat:innen: 42, bis Redaktionsschluss offen: 7). Im Repräsentantenhaus sind es mindestens 204 Sitze (Demokrat:innen: 182, noch offen: 50). Bisher hielten die Demokrat:innen im Senat die Mehrheit, die Republikaner:innen im Repräsentantenhaus.
Trumps Regierung wird bei dieser Ausgangslage nicht nur neue Gesetze und das Staatsbudget problemlos durch den Kongress pauken können, dank der Mehrheit im Senat ist ihr auch die Bestätigung von Richtern, Ministerinnen und wichtigen Beamt:innen sicher. Ideale Voraussetzungen also, um das «Project 2025» in die Tat umzusetzen – die so bezeichnete Agenda von Trump zielt nicht nur auf die Übernahme der Institutionen, sondern auch auf die rigorose Kontrolle der Verwaltung, mit der Trump in seiner ersten Amtszeit gescheitert war.
Trotz dieser beunruhigenden Aussichten gibt es auch einige linke Erfolge zu erwähnen. Bernie Sanders, der sozialistische Senator aus Vermont, sicherte sich eine vierte Amtszeit. Im Repräsentantenhaus konnten alle vier Mitglieder der sogenannten Squad, der Linksaussen-Splittergruppe der Demokrat:innen, ihre Sitze problemlos verteidigen. Dazu zählen etwa Alexandria Ocasio-Cortez und Rashida Tlaib. Die US-Palästinenserin hatte im Vorfeld der Wahl für Aufregung gesorgt, weil sie wegen des Umgangs mit der israelischen Regierung als einzige Squad-Vertreterin keine Wahlempfehlung für Kamala Harris aussprach.
Mit Sarah McBride zieht die erste trans Frau ins Repräsentantenhaus ein. Und Lisa Blunt Rochester gewinnt in Delaware einen Sitz im Senat – ein Sieg, wie ihn die USA tatsächlich noch nie gesehen hat: Im Senat werden nun erstmals zwei Schwarze Frauen gleichzeitig amtieren.
Kaspar Surber
und
Lukas Tobler