Kanzler Scholz zögert die Neuwahlen in Deutschland hinaus. Das ist schäbig

Kanzler Scholz zögert die Neuwahlen in Deutschland hinaus. Das ist schäbig
Kanzler Scholz zögert die Neuwahlen in Deutschland hinaus. Das ist schäbig
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Der sozialdemokratische Bundeskanzler hat seine Koalition schlecht geführt und schlecht beendet. Dass die SPD mit ihm in den Wahlkampf ziehen möchte, ist absurd.

Die deutsche «Fortschrittskoalition» aus SPD, Grünen und FDP war von Beginn an ein problematisches Bündnis. Nun ist sie am Ende, und ihr Kanzler auch. Aber sieht er das ein?

Denes Erdos / AP

Die deutsche Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP tat sich von Anfang an schwer damit, die Lage im Land realistisch einzuschätzen. Die sogenannte «Ampel» war ein Bündnis der Ideologie, des Irrtums und der Selbsttäuschung. Insofern war es folgerichtig, dass ihre Protagonisten in genau diesem Modus auch noch ihren Abgang verstolperten.

Am weitesten von der Wirklichkeit entfernt haben sich die Sozialdemokraten. Das zeigt sich an der geradezu irrwitzigen Vorstellung von Bundeskanzler Olaf Scholz, er könne nach dem krachenden Zusammenbruch seiner Koalition die Vertrauensfrage erst dann stellen, wenn es ihm in den Wahlkampf passt, also Anfang nächsten Jahres.

Die Opposition und die grosse Mehrheit der Bevölkerung reagieren darauf zu Recht entgeistert: Wer so oft das Wohl des Landes, den Anstand und den «Respekt» vor seinen Mitbürgern im Munde führt, der macht nach dem Koalitionsbruch selbstverständlich sofort den Weg für Neuwahlen frei. Alles andere ist schäbig.

Kein Kanzler hat häufiger von «Führung» gesprochen

Der Kanzler versucht nun, die Union mit einer imaginierten staatspolitischen Verantwortung dazu zu nötigen, Rest-Gesetzesvorhaben der «Ampel» zuzustimmen, die angeblich keinen Aufschub dulden. Der CDU-Chef Friedrich Merz hat dieses Manöver aber bereits dekonstruiert: Seine Partei werde sich Initiativen, die für das Land wichtig seien, natürlich nicht verschliessen, sagte er – aber erst nachdem Scholz die Vertrauensfrage gestellt habe, am besten in der kommenden Woche.

Die SPD täuscht sich ausserdem in atemberaubender Weise, wenn sie es für erfolgversprechend hält, erneut mit dem gescheiterten «Ampel»-Kanzler Scholz als Kanzlerkandidat in den bevorstehenden Wahlkampf zu ziehen. Kein deutscher Regierungschef hatte schlechtere Beliebtheitswerte als er; keiner hat häufiger von «Führung» gesprochen und weniger geführt; keiner machte in dem Amt eine derart sprachlose, verlorene Figur.

Seine Partei hat keinerlei Gespür mehr dafür, für wen sie eigentlich Politik veranstaltet. Statt in schwierigen Zeiten halbwegs vernünftige Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Arbeit zu schaffen, hat sie sich den grünen Transformationsphantasien ergeben. Statt sich konsequent für die Belange von arbeitenden Menschen einzusetzen, hat sie sich auf die Empfänger von staatlichen Transferleistungen kapriziert (die sie überwiegend gar nicht wählen).

Mehr von dem, was schon jetzt nicht funktioniert

Im Wahlkampf wird man beobachten können, wie die Partei auf noch mehr von dem setzt, was jetzt schon nicht funktioniert: mehr Scholz, mehr Rente und Bürgergeld, mehr «Kampf gegen rechts», mehr «besonnene» sozialdemokratische «Friedenspolitik». Damit dürfte die SPD bestenfalls noch ihre unerschütterliche Stammwählerschaft von 15 Prozent erreichen.

Der FDP-Chef Christian Lindner, der jüngst angesichts katastrophaler Landtagswahlergebnisse und Umfragen recht offensichtlich auf seinen Hinauswurf durch Scholz hinarbeitete, täuscht sich allerdings auch: Mehr Würde hätte es gehabt, wenn er aus freien Stücken gegangen wäre.

Die Liberalen hätten durchaus begründen können, warum sie die Schuldenpolitik und den wirtschaftsfeindlichen Klimakurs ihrer rot-grünen Partner nicht länger mittragen wollen. Sie waren ohnehin nur durch die Fehleinschätzung in dieser Regierungskonstellation gelandet, dass sie mit SPD und Grünen zusammenarbeiten könnten, ohne ihre eigene Klientel vor den Kopf zu stossen. Ein bisschen Cannabisfreigabe, ein wenig transgenderfreundliche Politik und das Etikett «Fortschrittskoalition» reichten aber nicht aus, um im Sinne bürgerlich-liberaler Wähler gut zu regieren.

Die grosse Illusion der Grünen ist, es gebe volksparteihafte Mehrheiten für die grosse «sozialökologische Transformation», für eine übereifrige Klima-Agenda oder für feministische Aussenpolitik. Ihr hoher moralischer Ton passt nicht mehr in die Zeit. Verteidigung, Wirtschaft, Migration lauten heute die Prioritäten, halbwegs glaubwürdig besetzt werden diese Themen derzeit von anderen Parteien. Rot und Grün sind aus der Zeit gefallen.

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