Die Gegner der Autobahnvorlage bei der Einreichung des Referendums.Bild: Schlussstein
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In den letzten Abstimmungsumfragen sind alle vier Vorlagen auf der Kippe. Überraschend ist der Nein-Trend bei den Autobahnen. Eine Ablehnung käme einer «Verkehrswende» gleich.
Die Schweiz ist ein Autoland. Zwar sind wir stolz auf den gut ausgebauten und effizienten öffentlichen Verkehr. Aber das Auto bleibt das mit Abstand wichtigste Fortbewegungsmittel. Rund die Hälfte aller Pendlerfahrten entfällt auf das Auto, in dem in den allermeisten Fällen nur eine Person sitzt. Öffentliche Verkehrsmittel kommen auf knapp 30 Prozent.
Eigentlich sind es ideale Voraussetzungen für den Ausbau des Autobahnnetzes, über den wir in zehn Tagen abstimmen. Doch der motorisierte Individualverkehr erzeugt auch starke Abwehrreflexe, besonders in städtischen Gebieten. Entsprechend heftig wird der Abstimmungskampf geführt. Befürworter und Gegner operieren mit Budgets in Millionenhöhe.
Video: watson/Kilian Marti, Michael Shepherd
Für keine der vier Vorlagen, die am 24. November traktandiert sind, wird annähernd so viel Geld ausgegeben. Wobei das Ja-Lager mit mehr als vier Millionen Franken die Nase vorn hat. Auch der Verkehrsminister Albert Rösti engagiert sich intensiv für die Vorlage. Für den «Tagesanzeiger» setzte er sich sogar ans Steuer seiner Bundesratslimousine.
Befürworter holen PR-Profis
Und jetzt das: In den am Mittwoch veröffentlichten letzten Abstimmungsumfragen von SRG und Tamedia ist ein deutlicher Nein-Trend erkennbar. In der SRG-Umfrage des Instituts GFS Bern sind die Gegner mit 51 zu 47 Prozent im Vorteil. Bei Tamedia liegen die Befürworter mit 49 zu 48 Prozent noch hauchdünn vorn, doch auch hier geht die Reise Richtung Nein.
Schon in den ersten Umfragewellen im Oktober deutete sich ein knappes Ergebnis an. Die Befürworter reagierten entsprechend nervös. Der Gewerbeverband, der die Ja-Kampagne koordiniert, engagierte gemäss «Tagesanzeiger» einen externen PR-Berater, und auch das Bundesamt für Strassen (Astra) wirbt mit (teuren) PR-Profis für den Autobahnausbau.
Debakel am 1. April
Der negative Trend erstaunt, denn es geht bei der Vorlage im Umfang von knapp fünf Milliarden Franken nicht um einen flächendeckenden, sondern einen punktuellen Ausbau des Autobahnnetzes. Und obwohl das Stimmvolk tendenziell skeptischer geworden ist gegenüber dem Strassenbau, wurden derartige Vorlagen in der Regel angenommen.
Besonders deutlich zeigte sich dies am denkwürdigen 1. April 1990, als über vier linksgrüne Volksinitiativen abgestimmt wurde. Die sogenannten Kleeblatt-Initiativen wollten den Bau von drei Teilstücken verhindern (A1 zwischen Murten und Yverdon, A4 im Knonauer Amt, A5 von Biel nach Solothurn). Sie scheiterten mit einer Zweidrittel-Mehrheit.
Umstrittene Gotthard-Röhre
Mit über 70 Prozent noch klarer abgelehnt wurde die Initiative «Stopp dem Beton», die die Fläche des Schweizer Strassennetzes auf dem Stand von 1986 «einfrieren» wollte. Einen Rückschlag erlitten die Autofreunde hingegen 2004 mit der deutlichen Ablehnung des Gegenvorschlags zur Avanti-Initiative, die von den Automobilverbänden ACS und TCS lanciert worden war.
Stein des Anstosses war die zweite Gotthard-Röhre. Nur zehn Jahre nach der Annahme der Alpeninitiative wurde diese Forderung als Zwängerei empfunden, und darauf reagiert das Schweizer Stimmvolk eher allergisch. Zwölf Jahre später wurde die zweite Tunnelröhre am Gotthard in einer separaten Abstimmung dennoch angenommen, mit 57 Prozent Ja.
Angst wegen Bauernland
Im Grundsatz stimmte die Schweiz in der Vergangenheit autofreundlich. Ein Nein zur relativ moderaten Ausbauvorlage käme einem Tabubruch gleich. Interessant sind die möglichen Gründe für die Ablehnung, die in der SRG-Umfrage erhoben wurden. Im Vordergrund steht nicht die Befürchtung, dass mehr Strassen zu mehr Verkehr führen.
Das stärkste Contra-Argument ist vielmehr die Zerstörung unbebauter Flächen und Landwirtschaftszonen, unter der Bäuerinnen und Bauern leiden würden. Das kommt bei der Parteibindung zum Ausdruck: Die Basis der SVP sagt weniger klar Ja als jene der FDP. Und besonders gut scheinen die Bedenken der Bauern in der Westschweiz anzukommen.
Romands keine «Autofreaks» mehr
Ausgerechnet die lange als «Autofreaks» verschrienen Romands lehnen den Ausbau in der SRG-Umfrage deutlicher ab als die Deutschschweizer. Dabei hatte die bürgerliche Mehrheit in National- und Ständerat entgegen den ursprünglichen Plänen den Ausbau der A1 zwischen Nyon und Genf in die Vorlage integriert, um die Westschweiz «an Bord» zu holen.
Entschieden ist angesichts der knappen Umfragen nichts. Wenn die Befürworter besser mobilisieren, kann es in zehn Tagen immer noch ein Ja geben. Der Trend aber ist eindeutig. Sollte die Vorlage scheitern, wäre im Autoland Schweiz definitiv etwas in Bewegung geraten.