Stand: 17.11.2024, 04:51 Uhr
Von: Martina Lippl
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Tonnenweise Felsschutt drohen ins Tal zu donnern. Im Schweizer Bergdorf Brienz liegen die Nerven blank. Die Unsicherheit macht vielen zu schaffen.
Brienz – Seit Jahrtausenden ist das Dorf Brienz in Graubünden (Schweiz) in Bewegung. Den gewaltigen Bergsturz im Juni 2023 verfolgten viele Menschen gebannt. Jetzt ist die Lage erneut extrem angespannt. Das Bergdorf bereitet eine Evakuierung vor. Allerdings sind die Erinnerungen an die letzte Räumung noch sehr frisch. Frust macht sich bei einigen Bewohnerinnen und Bewohnern breit.
Bergsturz droht: Angespannte Situation in Schweizer Bergdorf Brienz
Vielleicht müssen sie ihre Häuser monatelang verlassen. Ein Betroffener kann sich das kaum vorstellen: „Ich würde meine Familie in Sicherheit bringen, selber aber hier bleiben“, sagt ein Vater von sieben Kindern der Schweizer blick.ch. Er würde sich das von den Behörden nicht mehr bieten lassen. „Und würde lieber unter den Steinen sterben.“
Vor dem Bergsturz im Jahr 2023 mussten die etwa 100 Einwohner das Bergdorf verlassen. Sie harrten von Mitte Mai bis Anfang Juli bei Verwandten oder in Ferienwohnungen der Region aus. Doch diesmal gibt es ausgerechnet vor Weihnachten Alarm.
„Das Schwierigste ist die Ungewissheit“
„Das Schwierigste ist die Ungewissheit“, sagt Elisabeth A. zum Schweizer Nachrichtenportal. Die pensionierte Pflegefachfrau ist 86 Jahre alt und lebt schon bald 60 Jahre im Ort. Noch habe sie nicht gepackt. Dieses Mal nehme sie nur noch das Allerwichtigste mit.
Für einen 44-Jährigen ist es „einfach Pech“ auf diesem Gebiet zu leben. Schon vor Jahren sei die Gemeinde wegen der Abgänge gewarnt worden, doch nichts wäre getan worden. Dabei wird seit 2024 ein Stollen zur Entwässerung verlängert. Der neue Sondierungsstollen soll das Rutschen bremsen. Kostenpunkt für das Mega-Projekt rund 40 Millionen Schweizer Franken.
Bergdorf Brienz in Gefahr: Fels- und Geröllmassen rutschen 30 Zentimeter pro Tag talwärts
Der Frühwarndienst Albula/Alvra überwacht den Berg hoch über Brienz/Brinzauls seit Jahren genau. Eine gewaltige Fels- und Schuttmasse von 1,2 Millionen Kubikmetern bewegt sich immer schneller talwärts. Pro Tag werden seit der zweiten Septemberhälfte 30 Zentimeter gemessen, teilt die Gemeinde mit. Experten befürchten, dass Niederschläge oder ein Felssturz auf die Schutthalde das Tempo auf 80 km/h und mehr beschleunigen könnten.
Die Gefahrensituation der aktuellen Schutthalde am Hang sei mit dem Bergsturz 2023 nicht vergleichbar, betont die Gemeinde in einer Präsentation für die Bevölkerung. Anders als bei der sogenannten „Insel“ im Sommer 2023 sei keine konkrete Prognose oder Vorhersage über die zeitliche Entwicklung möglich. Laut den Verantwortlichen könnten keine längeren Vorwarnzeiten erwartet werden. Überwachungssysteme seien bei einem Schuttstrom nicht zuverlässig. Aus Sicherheitsgründen habe der Gemeindeführungsstab für das Dorf Brienz/Brinzauls die „Phase GELB“ beschlossen.
„Der Zeitpunkt der Evakuierung ist noch nicht festgelegt“ – heißt es in einer Mitteilung (Stand: 9. November). Eine Antwort auf die Anfrage von IPPEN.MEDIAob sich die Lage zwischenzeitlich verändert hat, steht noch aus.
Risikolage in Brienz kompliziert
Eine Beruhigung der Lage am Berg ist laut der Gemeinde sehr wahrscheinlich. Gleichzeitig könne ein Schuttstrom aber nicht ausgeschlossen werden. „Die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Berg bewegt, ist eigentlich sehr klein. Am wahrscheinlichsten ist, dass sich der Berg wieder beruhigt“, fasst es Christian Gartmann vom Gemeindeführungsstab Brienz in den Schweizer Medien zusammen. Um zu verhindern, dass noch Menschen im Dorf sind, möglicherweise verletzt oder getötet werden, werde eine Evakuierung ausgesprochen. Es sei eine vorbeugende Sicherheitsmaßnahme. Die Frage, ob und wann evakuiert wird, bleibt zunächst noch offen. (ml)