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«Mami, in mir drin ist alles müde, ich mag nicht mehr»: Die LZ-Weihnachtsaktion hilft einer Luzerner Familie
Der 15-jährige Luzerner Sandro hat eine Autismus-Spektrum-Störung. Dies beeinträchtigt sein Leben massiv. Und auch das seiner ganzen Familie. Die LZ-Weihnachtsaktion unterstützt sie.
An diesem Samstagnachmittag sitzt der 15‑jährige Sandro mit seinen Eltern Lucia und Sascha am Wohnzimmertisch. «Sandro und ich haben am Morgen ein Boot ausgewassert und winterfest gemacht. Wir können heute wieder mehr Zeit zusammen verbringen», sagt der 47‑jährige Bootsbauer Sascha.
Gerade das ist alles andere als selbstverständlich. Sandro ist von einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) betroffen und lebt unter der Woche in einer Institution in einem anderen Kanton. Nur die Wochenenden und die Ferien verbringt er zu Hause. Ein gemeinsamer Augenblick in der warmen Stube hat für die Familie seit fünf Jahren Seltenheitscharakter. Ihr Leben veränderte sich im November 2019 drastisch, als Sandro in eine psychiatrische Klinik musste. Auslöser war der Moment, als Sandro mit rudernden Armen rief: «Schau, Mami, ich kann mich völlig normal bewegen, aber in mir drin ist alles müde. Ich mag nicht mehr.»
LZ-Weihnachtsaktion
Achterbahnfahrt der Gefühle
Von da an war alles anders. Nichts ging mehr. «Eines Tages blieb Sandro vor der Treppe bei der Schule stehen. Er war blockiert und konnte keinen Schritt weiter», erzählt Mutter Lucia. Selbst das Mosten, Sandros damaliges Lieblingshobby, machte ihm keine Freude mehr. «Dann kam jener November, als wir ihn in die psychiatrische Klinik geben mussten. Wir wussten, es geht nicht anders, und er wehrte sich auch nicht dagegen. Zwar waren wir erleichtert, dass uns endlich geholfen wurde», sagt Sascha. «Und doch war es schlimm für uns.»
Die Familie wurde ab dem Zeitpunkt schrittweise getrennt. Sie durchlebten eine Achterbahnfahrt der Gefühle, wie Vater Sascha betont: «Es hat niemand gewollt und voraussehen können, dass unser Sohn von zu Hause wegmuss.» Es folgten herausfordernde Jahre mit unzähligen Reisen zu Kliniken, Institutionen und Abklärungen.
Die Belastung für die Familie war gewaltig. Sandros Schwestern – damals 12 und 15 – ging das Ganze derart unter die Haut, dass sie beide später ebenfalls externe Hilfe benötigten. «Unsere Kinder sind einander sehr verbunden. Jedes leidet mit den anderen mit, es entstand ein Teufelskreis.»
Schon früh zeichnete sich ab, dass Sandro ein besonderes Kind war. «Ab dem vierten Lebensjahr, vielleicht früher», sagt Lucia. Dabei hätten sie pflegeleichte Babys gehabt. Im Lauf der Zeit wurde Sandro temperamentvoller, das zeigte sich in kleineren oder grösseren Ausbrüchen. Als sich diese häuften und die Lehrperson im Kindergarten bemerkte, dass es ihm zwar vom Intellektuellen her möglich sei, in die Schule einzutreten, sein Verhalten aber speziell sei, wurden die Eltern hellhörig und liessen abklären, ob es Anzeichen für ADHS gab. Das war nicht der Fall. «Wir waren ratlos und wollten wissen, warum Sandro immer wieder Wutausbrüche hatte. Natürlich machten wir uns Gedanken, ob wir bei der Erziehung etwas falsch machten», erklärt Sascha.
«Einmal sperrte mich Sandro sogar aus»
Nach neun Monaten Aufenthalt in der Kinderpsychiatrischen Therapiestation in Kriens (KPS) besuchte er wieder die Schule im Dorf. Von der Autismus-Fachstelle kam Unterstützung. Im Schulbetrieb wurden auf ihn zugeschnittene Anpassungen vorgenommen, so durfte er allein und in der Nähe der Lehrerin sitzen, was für ihn wichtig war, denn bei ihm steht und fällt vieles mit den Bezugspersonen.
Autismus-Spektrum-Störung
ASS ist die Abkürzung für Autismus-Spektrum-Störung. Diese kann ganz unterschiedliche Auswirkungen haben. Oft sind das Interesse an sozialen Kontakten sowie Fähigkeiten im Sozialverhalten stark reduziert. Sprachliche Einschränkungen, Aggressivität, depressive Zustände oder starke Ängste können ebenfalls auftreten. Es gibt auch Überschneidungen mit anderen neurologisch bedingten Störungen wie ADHS, etwa mit Symptomen wie Hyperaktivität oder mangelnde Impulskontrolle. ASS stellt für die Betroffenen und ihre Familien eine riesige Herausforderung dar. (are)
«Der Schulunterricht verlief ohne grosse Zwischenfälle. Aber die Überforderung und den Leidensdruck spürten wir zu Hause. Oft flogen bei uns die Fetzen, die Post ging manchmal richtig ab. Einmal sperrte mich Sandro sogar aus», schildert Lucia ein Beispiel, und Sascha ergänzt: «Lernen mit ihm war unmöglich.» Dies hatte zur Folge, dass er trotz Unterstützung nicht wieder in den Unterricht integriert werden konnte. Es folgte die Suche nach Alternativen. Weder Primarschule noch KPS war eine dauerhafte Lösung.
Heute ist die Lage nicht mehr ausweglos. Am Tisch wird rege diskutiert, Sandro bringt sich immer wieder ein, verliert sich aber manchmal in Details, die erahnen lassen, wie sehr er unter Zwängen und Ängsten gelitten hat.
Beruflich vielseitig interessiert
Sein Ziel ist es, die Institution zu verlassen und den Einstieg ins Berufsleben zu schaffen. Den Schwestern ist dies bereits gelungen, beide sind in einer Ausbildung. Eine Lehre ist auch Sandros Wunsch. Die Lehrstellensuche wird von der IV unterstützt. Letzte Woche hat er im Spenglerberuf schnuppern können. Handwerk gefällt ihm generell. Als Schreiner, im Betriebsunterhalt, im Gartenbau, in der IT-Branche sowie in der Logistik will Sandro auch noch schnuppern. Eine Ausbildung mit EFZ ist aufgrund seines schulischen Standes nicht realistisch. Aber eine Ausbildung mit Berufsattest EBA packt er, da ist sich die Familie einig. Dafür möchte er in der Mathematik zulegen, und hier kommt die Weihnachtsaktion ins Spiel. Um seine Lücken zu schliessen, braucht er Nachhilfeunterricht, deren Kosten das Budget der Familie zu sehr belasten.
Hier helfen wir
An dieser Stelle berichten wir über Menschen, denen die LZ-Weihnachtsaktion hilft. Dies exemplarisch für die Tausenden, denen Ihre Spenden ebenfalls zugutekommen. Dass die Betreffenden sich für einen Zeitungsbeitrag zur Verfügung stellen, ist nicht Bedingung für unsere Hilfe. Sie tun es freiwillig, um die LZ-Weihnachtsaktion ihrerseits zu unterstützen. (are)
Mittlerweile ist Schwester Marina eingetroffen. Sie setzt sich in die Runde und hört aufmerksam zu. Dann stellt sich die Frage, ob sie mit aufs Foto soll, weil die andere Schwester Livia nicht dabei ist. Beim Fotografieren ist die Stimmung aufgeräumt. Sandro schreitet voraus. Er interessiert sich für die Ausrüstung des Fotografen, für die Art des Bildes. «Wir sollten nicht fröhlich in die Kamera blicken, das passt nicht», bestimmt er. Dass nur eine Schwester auf dem Bild sei, passe zur Situation der Familie in den letzten Jahren, als nur selten alle zusammen sein konnten.