Bern rückt bei den Gemeindewahlen noch weiter nach links. Was bedeutet das für die Politik – und für Bürgerinnen und Bürger, welche Mitte-Rechts unterstützen? Politologe Sean Müller schätzt ein.
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Sean Müller ist Assistenzprofessor am Institut für Politikwissenschaften der Universität Lausanne.
SRF News: Die Berner Stadtregierung bleibt in den Händen von Rot-Grün. Politikerinnen und Politiker betonen, dass die Wählenden mit der Arbeit der Regierung zufrieden seien. Ist das tatsächlich so?
Sean Müller: Die Mehrheit hat das linke Lager im Amt bestätigt. Die bisherigen Regierungsmitglieder wurden deutlich wiedergewählt, und die neu hinzugekommenen Personen stammen ebenfalls aus dem linken Spektrum. Es deutet darauf hin, dass die Bürgerinnen und Bürger mit der geleisteten Arbeit zufrieden sind und die Regierung sowie das Parlament genau das liefern, was die Mehrheit vom Volk von ihr verlangt.
Sie sagen, die Stadtregierung liefert, was das Volk will. Können Sie das genauer erläutern?
Gemeinden haben in vielen Bereichen grossen Gestaltungsspielraum, etwa bei Kultur, Sport, Kinderbetreuung, Stadt- und Raumplanung sowie beim Wohnen. Diese Themen stehen im Fokus des linken Lagers, das dort schneller vorankommen möchte – auch wenn das höhere Steuern und Abgaben bedeutet. Natürlich gibt es Grenzen: In Bereichen wie Sicherheit oder Aussenpolitik hat eine Stadt wenig Kompetenzen. Doch gerade bei den Themen, die den Wählerinnen und Wählern wichtig sind, kann die Stadtregierung agieren – und tut dies auch.
Die Regierung liefert, was das Volk will.
Das scheint erfolgreich zu sein, denn offenbar ziehen neue Menschen nach Bern.
Genau, es ist eine Art Teufelskreis, oder wie es die Linke sagen würde, ein «Tugendkreis». Die linke Regierung setzt um, was linke Wählerinnen und Wähler möchten. Diese bleiben der Stadt treu oder ziehen sogar hinzu. Gleichzeitig ziehen konservative Wählerinnen und Wähler weg, weil sie nicht das kriegen, was sie wollen. Das stärkt bei den nächsten Wahlen erneut die linke Regierung und das Parlament.
Das bürgerliche Lager verpasste einen zweiten Sitz in der Stadtregierung um wenige Hundert Stimmen. Ein Drittel der Bevölkerung ist untervertreten. Ist das ein Problem?
Das könnte man so sehen. Die Grünliberalen sind zwar vertreten, doch viele Wählerinnen und Wähler von FDP, Mitte oder SVP fühlen sich möglicherweise nicht repräsentiert. Diese Parteien sind jedoch im Stadtrat präsent. In der Exekutive fehlen sie jedoch.
Die Stadt Bern rückt weiter nach links, dabei liegt sie in einem bürgerlichen Kanton. Was bedeutet das für die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Kanton?
Das ist ein Phänomen, das wir in der ganzen Schweiz sehen. Städte wie Bern, Zürich oder Lausanne sind oft rot-grüne Tupfer in bürgerlich dominierten Kantonen und einem bürgerlichen Bund. Das ist ein Ausdruck des Föderalismus: Jede Region kann ihre politischen Präferenzen umsetzen. Dennoch führt das zu Spannungen, etwa in Fragen wie der Sicherheit, wie bei der Reitschule beispielsweise.
Abschliessend: Bern rückt weiter nach links und ist inzwischen die linkste Stadt der Deutschschweiz. Ist das ein Trend, den wir in anderen Städten ebenfalls sehen?
Absolut. In den grossen Schweizer Städten – Zürich, Basel, Genf, Lausanne – gibt es einen klaren Trend hin zu einer stärkeren linken Ausrichtung. Bern ist dabei ein Sonderfall, weil die Stadt noch linker ist als Zürich oder Winterthur, nur Lausanne ist noch linker. Diese Entwicklung zeigt, dass die Schweizer Städte tendenziell immer progressiver werden, während das Umland bürgerlich bleibt.
Das Gespräch führte Thomas Pressmann.