Die Aufständischen in Syrien sind Richtung Süden vorgerückt und haben etliche Orte unter ihre Kontrolle gebracht. Das Regime von Bashar al-Asad ist geschwächt. Wie lange kann es sich noch an der Macht halten?
Die islamistischen Rebellen in Syrien haben in der Nacht weitere Gebiete unter ihre Kontrolle gebracht. Am Abend rückten die bewaffneten Kämpfer in die Provinz Hama im Westen des Landes vor und eroberten nach Angaben von Aktivisten mindestens elf Orte in einem Gebiet, das vorher von regimetreuen Einheiten beherrscht worden war.
Damit kontrollieren die Aufständischen nicht nur Gebiete nahe ihrer Hochburg im Nordwesten Syriens sowie grosse Teile der Stadt Aleppo, sondern auch einen Korridor, der im Süden bis an die Stadt Hama heranreicht. Mit der der Eroberung dieser Gebiete setzen die Gegner von Präsident Bashar al-Asad das syrische Regime unter Druck.
In den sozialen Netzwerken kursierten am Abend unbestätigte Berichte über einen Militärputsch in Damaskus. Noch hält sich der syrische Präsident aber an der Macht – auch wenn die Unterstützung zu bröckeln scheint.
So wurden Einheiten der syrischen Regierungstruppen beim Verlassen umkämpfter Gebiete beobachtet, wie Rami Abdel Rahman, Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in Grossbritannien, berichtet. Das syrische Verteidigungsministerium wies diese Berichte dagegen zurück.
Syrische Armee will Gebiete zurückerobern
Die syrische Armee kündigte auf X an, bald einen Gegenangriff starten zu wollen, um alle eroberten Gebiete wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Im Kampf gegen die Rebellen bekommt sie offenbar Unterstützung von Russland. Nach Angaben der Beobachtungsstelle für Menschenrechte griff die russische Luftwaffe gestern ein Viertel im Westen der Stadt Aleppo an – zum ersten Mal seit 2016, als die Asad-Gegner die Stadt nach langen und heftigen Gefechten verlassen mussten.
Russische Kampfflugzeuge flogen offenbar auch in anderen Gebieten Einsätze gegen die Aufständischen, nach russischen Angaben auf Befehlsstellen, Artilleriestellungen und Lager der Rebellen. Welche Gebiete genau getroffen wurden, ist allerdings unklar. In den vergangenen Jahren hatten russische Kampfflugzeuge immer wieder die Rebellen-Gebiete im Nordwesten Syriens bombardiert.
Überraschende Offensive der Islamisten
Der jüngste Aufstand gegen Asad wird von der militant-extremistischen Gruppe Hayat Tahrir al-Scham (HTS) angeführt. Sie wird von den USA als Terrororganisation eingestuft und beherrscht grosse Teile von Nordwestyrien, der einzigen Rebellenhochburg, die in den vergangenen Jahren nicht von Regierungseinheiten zurückerobert wurde. Die Islamisten hatten am Mittwoch mit ihrer Offensive gegen Asad und seine Anhänger begonnen – zur Überraschung des syrischen Regimes, aber auch vieler Beobachter.
Der Zeitpunkt der Offensive war offenbar kein Zufall: Die Führung in Damaskus gilt nach fast 14 Jahren Bürgerkrieg als extrem geschwächt. Bereits 2015 war sie kurz davor, den Kampf gegen ihre Gegner zu verlieren. Doch dann wendete sich das Blatt: Russland griff auf der Seite von Bashar al-Asad in den Bürgerkrieg ein. Seit der wichtigste Verbündete des syrischen Machthabers einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, hat er seine Truppenpräsenz in Syrien verringert.
Auch die libanesische Hizbullah-Miliz, die in Syrien für das Asad-Regime kämpft, ist nach mehr als einem Jahr Krieg gegen Israel entschieden geschwächt. Und Iran, ein weiterer wichtiger Unterstützer der Regierung in Damaskus, hat im Konflikt mit Israel zuletzt schwere Schläge gegen seine militärischen Einrichtungen einstecken müssen. Keiner der drei wichtigsten Verbündeten scheint willens oder in der Lage zu sein, das syrische Regime stärker zu unterstützen.
Unterstützung aus dem Ausland?
Unklar ist weiterhin, ob auch die Aufständischen Hilfe aus dem Ausland erhalten. Dafür gilt die Türkei als ein möglicher Kandidat. Nach Einschätzung von Beobachtern hätte die Regierung in Ankara ein Motiv dafür, das Regime von Baschar Al-Asad schwächen zu wollen. Denn zuletzt hatte Asad dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan eine migrationspolitische Forderung ausgeschlagen. Erdogan wollte viele der mehr als 3drei Millionen syrischen Flüchtlinge zurück in ihre Heimat schicken. Asad entgegnete, dass der Staat zunächst alle seine Einheiten aus Nordsyrien abziehen solle. Die Türkei ist mit der Syrian National Army (SNA) verbündet, die nun gemeinsam mit der militant-extremistischen HTS gegen Asad ins Feld zieht.
In den vergangenen Jahren war der syrische Bürgerkrieg in vielen Gebieten abgeflaut. Asad hatte bis zuletzt etwa zwei Drittel des Staatsgebiets unter seiner Kontrolle. Doch weite Teile des Landes sind völlig zerstört, die Bevölkerung ist verarmt, Korruption weit verbreitet. Westliche Staaten lehnen es ab, beim Wiederaufbau Syriens zu helfen, so lange Asad an der Macht ist. Russland und Iran wollen oder können nicht dabei helfen, unterstützen das Regime bislang aber militärisch.