Die Inflation sinkt, der Franken wertet auf, die Wirtschaft schwächelt: Die Schweizerische Nationalbank steht unter Druck, die Zinsen zu senken. Bis zum negativen Bereich ist es nicht mehr weit.
Gerne würde er es nicht tun, stellte der neue Chef der Schweizer Notenbank kürzlich klar. Aber wenn es für die Stabilität des Franken notwendig wäre, würde er den Leitzins wieder unter null Prozent senken. “Niemand mag Negativzinsen – auch wir nicht”, sagte der Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), Martin Schlegel, auf einer Konferenz. “Aber wenn es nötig ist, sind wir bereit, das Instrument wieder einzusetzen.” Diese Notwendigkeit könnte schon bald wieder gegeben sein. Die Schweiz hat – nach Japan – derzeit mit 1,0 Prozent den zweitniedrigsten Leitzins der Welt und mit 0,7 Prozent die niedrigste Inflationsrate aller Industrieländer – Tendenz weiter sinkend.
Unter Ökonomen gilt als ausgemacht, dass die SNB auf ihrer morgigen Sitzung den Leitzins um 25 Basispunkte (0,25 Prozent) senken wird, auch ein 50-Punkte-Schritt ist möglich. Weitere Zinsschritte für die kommenden Quartale werden erwartet. Damit könnte die Notenbank schon Mitte kommenden Jahres die Nullzinslinie erreichen – und eventuell gezwungen sein, den Leitzins weiter in den negativen Bereich zu senken.
Die Schweizer Währungshüter befinden sich derzeit in einer anderen Lage als ihre Kollegen in der Eurozone und in den USA. Auch im Euroraum und in Amerika lässt der Preisdruck zwar nach, aber eine Deflation mit nachhaltig sinkenden Preisen ist nicht absehbar. Zudem liegen die Leitzinsen viel höher, die Notenbanker haben einen entsprechend größeren Spielraum für Zinssenkungen. Zudem steht der Schweizer Franken im Verhältnis zu Euro und Dollar unter starkem Aufwertungsdruck. Das ist nicht nur schlecht für Schweizer Exporteure und die Tourismuswirtschaft, deren Produkte für ausländische Kunden teurer werden, sondern erhöht auch die Deflationsgefahr, da importierte Güter und Dienstleistungen billiger werden.
Dieser Druck auf den Franken dürfte auf absehbare Zeit wohl kaum nachlassen. Die Schweizer Währung ist für Investoren ein sogenannter sicherer Hafen, in den sie in wirtschaftlich unsicheren Zeiten ihr Geld – oder einen Teil davon – bringen möchten. Angesichts der kriselnden Konjunktur in der Eurozone und des vom künftigen US-Präsidenten angekündigten Zoll- und Handelskriegs wird das Interesse am Franken wohl kaum nachlassen.
Ärger mit Trump wegen “Währungsmanipulation”
Die SNB hat zwei wirksame Mittel, um die Aufwertung des Franken und damit die Inflation zu dämpfen. Zinssenkungen und Eingriffe auf dem Devisenmarkt, das heißt den Kauf ausländischer Währungen wie Euro und Dollar im großen Stil. Beide Mittel haben allerdings unerwünschte Nebenwirkungen. Devisenkäufe sind teuer. In der Vergangenheit gab die SNB teils mehrere Hundert Milliarden Franken (ein Franken kostet aktuell rund 1,08 Euro) pro Jahr dafür aus. Auch wenn die SNB die eigene Währung selbst ausgeben kann, können Schwankungen auf dem Devisenmarkt zu Verlusten in der Bilanz der Notenbank führen. Das wiederum kann Löcher in den Haushalt der Schweizer Bundes- und Kantonalregierungen reißen, die gewöhnlich Ausschüttungen aus dem SNB-Überschuss erhalten. Zudem sorgen Eingriffe in den Devisenmarkt bei Handelspartnern der Schweiz für Unmut. Während seiner letzten Amtszeit ließ Trump die Schweiz als “Währungsmanipulator” einstufen und drohte mit zusätzlichen Zöllen.
Zinssenkungen machen Geldanlagen in Franken tendenziell unattraktiver und drücken so ebenfalls auf den Wechselkurs. Die SNB war 2015 eine der ersten Banken, die ihren Leitzins unter null Prozent senkten. Erst 2022 hob sie ihn wieder in den positiven Bereich. Vor allem Banken, Versicherer und Pensionskassen haben die Zeit der Negativzinsen in schlechter Erinnerung. Sie konnten kaum noch Renditen erzielen und mussten teilweise sogenannte Strafzinsen zahlen.
In Finanzgeschäften, Zins-Futures und -Swaps, mit denen Investoren auf Devisenkurse wetten oder sich dagegen absichern können, sind negative Zinsen am Schweizer Geldmarkt ab Ende kommenden Jahres inzwischen wieder eingepreist. Demnach könnte die Zeit positiver Zinsen für die Schweizer nur ein kurzes Zwischenspiel gewesen sein.