Der erste Zinsentscheid, den das Direktorium der Schweizerischen Nationalbank seit vielen Jahren ohne Thomas Jordan gefällt hat, ist ein aussergewöhnlicher. Er zeigt, dass die neue SNB-Führung ein Abgleiten in Richtung Deflation energisch bekämpfen will.
Werden es 0,25 oder 0,5 Prozentpunkte, mit der die Schweizerische Nationalbank (SNB) der gesunkenen Inflation entgegentreten will? Das war die Frage, die vor dem letzten vierteljährlichen Zinsentscheid der Schweizerischen Nationalbank (SNB) im 2024 alle Marktteilnehmer und Beobachter umgetrieben hatte.
Nun hat am Donnerstagfrüh das neu zusammengesetzte Direktorium unter Leitung von Martin Schlegel sein Votum für eine Reduktion des SNB-Leitzinses gleich um 0,5 Prozentpunkte auf bloss noch 0,5 Prozent bekanntgegeben. Es signalisiert damit in erster Linie, dass es deutlichen Handlungsbedarf erkennt und ähnlich wie bei einer rasch ansteigenden Inflation nun mit einem starken Zinsschritt den Franken schwächen und die Wirtschaft energisch stimulieren will.
Zudem ist die Nationalbank auch weiterhin gewillt, bei Bedarf am Devisenmarkt zu intervenieren, wie sie in ihrer Medienmitteilung schreibt. Damit kann sie bis zu einem gewissen Grad den Franken weiter schwächen und so das Ausmass der importierten Inflation beschränken. Im ersten Halbjahr hat sie davon allerdings kaum Gebrauch gemacht (neuere Daten liegen noch nicht vor) und ihr neuster Schritt gibt ebenfalls dem Zinsinstrument Priorität.
Von stärker sinkender Inflation überrascht
Die Teuerung lag in der Schweiz im November gegenüber dem Vorjahresmonat zwar bei 0,7 Prozent und damit noch klar innerhalb des Zielbandes der SNB von 0 bis 2 Prozent. Die Preise hatten sich aber gegenüber Oktober um 0,1 Prozent reduziert. Der Rückgang war hauptsächlich auf die tieferen Energiekosten und die wegen des Wechselkurseffekts gesunkenen Importpreise zurückzuführen.
Doch die SNB-Ökonomen sind seit dem 2. Quartal 2023 jedes Mal vom Ausmass des Preisrückgangs überrascht worden und mussten ihre Inflationsprognose nach unten korrigieren. Das scheint sie nun zum Setzen eines starken Signals bewogen zu haben.
Für das laufende Jahr rechnet die SNB nun zum Leitzins von 0,5 Prozent mit einer Teuerung von 1,1 Prozent, für das kommende Jahr erwartet sie 0,3 und für 2026 von 0,8 Prozent.
Dass eine Zinssenkung anstand, war zu erwarten gewesen und von der SNB bereits im Herbst verklausuliert in Aussicht gestellt worden. Für eher zurückhaltende 0,25 Prozentpunkte sprach, dass weder von der Inflation her noch von der Wirtschaftslage eine aussergewöhnliche Dringlichkeit bestand, und dass die Nationalbank in der Vergangenheit ihren Leitzins jeweils in Viertelprozentpunktschritten gesenkt hatte.
Für 0,5 Prozentpunkte hatten vor der Entscheidung diejenigen expansiv orientierten Finanzmarktbeobachter votiert, die es für dringlich halten, die Teuerung in der Schweiz mit einem starken Stimulus davon abzuhalten, in negatives Territorium zu sinken und die glauben, so die Erwartungen über die mittelfristige Teuerung nach oben treiben und am ehesten noch einen erneuten Rückgriff auf Negativzinsen verhindern zu können. Das neue SNB-Direktorium hat sich nun dieser Sichtweise angeschlossen.
Wird das Signal die beabsichtigte Wirkung erzielen?
Für die nächsten Quartale erwartet die SNB einen weltweit nachlassenden Inflationsdruck und eine wieder etwas stärker wachsende Weltwirtschaft, wobei sie festhält, dass dieses Szenario bedeutenden Risiken unterliegt. Zunehmende oder nachlassende geopolitische Spannungen und Politikänderungen nach dem Machtwechsel in den USA könnten die Aussichten substanziell verändern. In ihrem Basisszenario erwartet die SNB für die Schweiz im 2025 nun ein leicht schwächeres Wachstum von 1,0 bis 1,5 Prozent.
Der deutlich gesenkte Leitzins wird absehbar die Kosten für Hypotheken senken, die Bestandesmieten wieder etwas reduzieren und die Hauspreise erneut in die Höhe treiben. Die SNB hält dazu in ihrer Lagebeurteilung in unverändertem Duktus fest, der Hypothekar- und Immobilienmarkt bleibe verwundbar.
Aufgabe der SNB ist es, für Preisstabilität zu sorgen und dabei die Konjunktur zu berücksichtigen. Am schnellsten wirken sich Veränderungen im Wechselkurs auf die Inflation aus. Wird der Franken stärker, verbilligt das die Importe, verliert er an Wert, erhöht es den Preisauftrieb (und den Wert der von der SNB gehaltenen Devisenreserven). Zinssenkungen, die die Zinsdifferenz zum Ausland erhöhen, machen den Franken weniger attraktiv und schwächen ihn in der Tendenz. Dies dürfte die erste Absicht der nun erfolgten deutlichen Leitzinssenkung um 0,5 Prozentpunkte sein.
Die Entscheidung ist allerdings vor dem Hintergrund besonders bemerkenswert, dass sich die Zinsdifferenz des Frankens zum Euro mit dem Inflationsschub deutlich ausgeweitet hat. Die Renditedifferenz von deutschen und Schweizer Staatsanleihen mit zweijähriger Laufzeit waren schon vor der Zinssenkung wieder deutlich grösser als die gegenwärtige Inflationsdifferenz.
Der Franken ist in diesem Jahr im Verhältnis zum Euro zwar nominal etwas stärker geworden, sein realer Wert hält sich aber seit einem Dutzend Jahren auffällig stabil. So gesehen kann er nicht als deutlich überbewertet bezeichnet werden.
Das zweite Motiv der SNB-Führung für die starke Zinssenkung ist konjunktureller Natur. Zinssenkungen vergünstigen Investitionen und geben Vermögenswerten wie Immobilien, den Buchwerten von Anleihen und im Prinzip auch Aktien Auftrieb. Marktteilnehmer sollen sich kaufkräftiger fühlen und die Wirtschaft mit Investitionen und zusätzlichem Konsum stimulieren. Die dadurch steigende Nachfrage soll den Teuerungsdruck erhöhen und die Arbeitslosigkeit senken.
Der konjunkturelle Mechanismus braucht allerdings Zeit und es ist unklar, wie schnell und nachhaltig er wirkt. Zudem präsentiert sich die Schweizer Wirtschaft nach wie vor in recht guter Verfassung. Für die nächsten Quartale erwartet die SNB einen weltweit nachlassenden Inflationsdruck und eine wieder etwas stärker wachsende Weltwirtschaft, wobei sie festhält, dass dieses Szenario bedeutenden Risiken unterliegt. Zunehmende oder nachlassende geopolitische Spannungen und Politikänderungen nach dem Machtwechsel in den USA können die Aussichten substanziell verändern. In ihrem Basisszenario erwartet die SNB für die Schweiz im 2025 nun ein Wachstum zwischen 1.0 und 1,5 Prozent.
Prävention von Deflation und Negativzinsen
Der grösser als übliche Schritt der SNB signalisiert entweder eine ernsthafte Angst vor Deflation, also dass die Preisentwicklung über längere Zeit negativ werden könnte, oder aber den Willen, die Teuerung und damit die Inflationserwartungen nicht mehr in der unteren Hälfte des Zielbandes bzw. in der Nähe von null zu tolerieren. Die veränderten Erwartungen sollten in der Theorie auch die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die SNB nicht erneut zum Mittel von Negativzinsen Zuflucht nehmen muss.
Doch Sorge und Unsicherheit erhöhen auch die Kauf- und Investitionszurückhaltung. In Zeiten der Negativzinsen hatte sich die Sparneigung teilweise erhöht und ist nicht gesunken. Es gibt zudem valable Argumente dafür, dass das reale Wirtschaftswachstum von der Geldpolitik längerfristig nicht beeinflusst werden kann und zu viel Stimulus bloss zu mehr Inflation führt.
Die neue Führung der SNB hat sich in ihrem ersten Entscheid in neuer Zusammensetzung als geldpolitische «Taube» erwiesen und erheblich Pulver verschossen. Bleibt bloss zu hoffen, dass dieses sein Ziel erreicht und nicht bloss verpufft.
Mehr folgt.