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Pamela Anderson in Zürich: Porträt

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Zurich Film Festival

Pamela Anderson erscheint in Zürich wie ein märchenhafter Lichtblick

Der frühere «Baywatch»-Star hat auch die Schattenseite des Showbusiness kennengelernt. Heute geht sie schwungvoll und ungeschminkt in einen neuen Karriereabschnitt – mit dem wundervollen Film «The Last Showgirl». Eine Begegnung am ZFF.

Am Freitagabend erhielt Pamela Anderson das Goldene Auge.

Ennio Leanza / KEYSTONE

Ein Wort, das Pamela Anderson während ihres Besuch in Zürich oft benutzt, ist «Popkultur». «Ich liebte es, Teil der Popkultur zu sein», sagt die 57-Jährige, die am Samstagnachmittag in einem beschwingten weissen Fransen-Dress in einem ansonsten gänzlich glamourfreien Kinosaal in Zürich Sihlcity sitzt. Ihr Kleid ist eine Mischung aus Eisbärfell und Broadwaymusical und versinnbildlicht ihren Lebensbogen zwischen einstiger Tierschutz-Aktivistin und ihrem neuen Film «The Last Showgirl» perfekt.

Mit Popkultur meint sie eine Zeit vor gut dreissig Jahren, Popkultur, das war damals alles, was im Fernsehen lief oder in einem Magazin Platz hatte, das war «Bravo», MTV, Viva. Das waren Serien wie «Baywatch» und «Beverly Hills, 90210», die schamlos schöne junge Menschen aus Amerika bei Jobs zeigten, die immer aussahen wie Freizeit. Popkultur war in den 90ern die grosse postmoderne Sorglosigkeit, die Welt vor 9/11, und mittendrin Pamela Anderson.

«Was ist falsch an einem ungeschminkten Gesicht?»

110 «Baywatch»-Folgen lang spielte sie die Rettungsschwimmerin C.J. Parker, war die blonde Krönung einer hedonistischen Spasskultur, immerzu Bojen und Brüste vor sich hertragend und bei allen beliebt, weil sie sexy war und ein exzentrisches Leben führte und zugleich so nett, so mit Freude freundlich blieb. Ihre Stimme ist heute noch die gleiche wie damals, so könnte es klingen, wenn die Sonne auf ein besonders goldenes Honigbrot fallen würde und über diese ungemein süsse Begegnung lächeln müsste.

Das skandinavische Erbe ist ihr heute viel mehr anzusehen als früher, ihr Grossvater war aus Finnland nach Kanada ausgewandert, «er hat mir alles über Mythologie und Märchen beigebracht». Sie selbst gleicht jetzt nicht mehr der C.J. von einst, sie könnte jetzt in einer Astrid-Lindgren-Verfilmung mitspielen, eine inwendig jung gebliebene, ironische Erwachsenen-Figur vielleicht, ihr Gesicht kündet von viel Erlebtem und einer riesengrossen, allumarmenden Heiterkeit. Sie sieht aus wie ein Lichtblick. Weil Pamela Anderson eines Tages aufgehört hat, sich zu schminken.

«Was ist falsch an einem ungeschminkten Gesicht?», fragt sie, «ich bin mein eigenes Experiment in einer Zeit, da junge Frauen mehrfach gefilterte Gesichter auf Instagram konsumieren und danach enttäuscht sind, wenn sie in den Spiegel schauen.»

Es passt zu ihrem natürlicheren Lebensstil, neben der Schauspielerei betreibt sie jetzt eine Farm auf Vancouver Island, ihre Hände sehen nach viel Gartenarbeit aus, sie ist eine hingebungsvolle Gärtnerin und Köchin und geniesst es, dass ihre Söhne Brandon und Dylan (aus der Beziehung mit Tommy Lee) alles für sie tun. Was sie selbst ein wenig wundert: «Ich hatte nie eine Nanny, sie waren immer überall mit dabei, was vielleicht ein Fehler war, ich fürchte, sie haben sehr viel gesehen.»

Ein echtes Familienunternehmen

Letztes Jahr zeigte Netflix den von Brandon produzierten Dokfilm «Pamela, a Love Story», und am 15. Oktober erscheint Pamela Andersons erstes Kochbuch, zu dem die Jungs sie überredeten, nachdem sie ihnen und ihren Freundinnen mit Karteikarten voller Rezepte geholfen hatte. Natürlich ist es ein veganes Kochbuch, «aber ich habe das nicht draufgeschrieben, ich wollte nicht in die vegane Ecke gestellt werden, ich nenne es lieber eine Feier von all dem schönen Gemüse in meinem Garten». Und eine nachhaltige Hautpflege-Linie betreiben Mutter und Söhne auch noch gemeinsam. Ein echtes Familienunternehmen.

Wie passend, dass sie mit der Arbeit an «The Last Showgirl» mitten in ein anderes Familienunternehmen hineinkatapultiert wurde. In eins der wichtigsten von Hollywood. In eine Königsfamilie hinein quasi. In den Coppola-Clan. Ihre Regisseurin ist 37, heisst Gia Coppola, ist die Enkelin von Francis Ford Coppola und die Nichte von Sofia Coppola. Gias Vater Gian-Carlo Coppola kam 22-jährig bei einem Bootsunfall ums Leben, seine Frau war damals mit Gia schwanger. Kate Gersten, Gias Cousine, schrieb das Drehbuch zu «The Last Showgirl» und dann ging die Suche nach der passenden Besetzung los.

Als die junge Regisseurin «Pamela, a Love Story» sah, wusste sie, wer ihre Muse werden musste. Eine Frau, die die Höhen und traurigen Tiefen des Showgeschäfts kannte. Eine, die mit dessen Rück- und Schattenseiten vertraut war und die das Leben zwar halb verdaut, aber dann doch erstaunlicherweise wieder ganz ausgespien hatte. Eine, die sich ihre Träume trotz eskalierender Beziehungen (mit Tommy Lee und Kid Rock), trotz weltweiter Beschämung (der Raub und die Veröffentlichung von Sex-Tapes), trotz eines Jobs, der in der Filmbranche eher mit Belustigung betrachtet wurde, nie hatte nehmen lassen.

Ein Film, bei dem sie sich ihren Idealen nahe fühlte

Und Pamela Anderson klammerte sich an die Rolle der Shelley wie an einen Strohhalm im Meer der Bedeutungslosigkeit. Es war ihr erster «richtiger» Film. Einer, bei dem sie sich ihren Idealen nahe fühlte: «Fellini, Godard, Herzog, Cassavetes.» Kurz davor war sie zum ersten Mal auf einer Broadway-Bühne gestanden, hatte die verbrecherisch veranlagte Roxy im Musical «Chicago» gespielt, gesungen und getanzt. Auch das ein persönlicher Triumph. «Ich weiss gar nicht, was ich eigentlich zwischen ‹Baywatch› und Broadway getan habe», sagt sie, «alles ist wie in einem Nebel, vieles habe ich für Geld gemacht, einiges hätte ich lieber nicht gemacht.» Sie redet schnell – wie der Flügelschlag einer Libelle.

Shelley ist eine alternde Revue-Tänzerin in einem der Casinos von Las Vegas, ihr Antrieb ist der Glaube, dass sie noch eine echte Kunst betreibt, eine, die in den Varietés von Paris geboren wurde. Sie ist eine Nostalgikerin mit einer mehr als prekären Existenz, die sich über die steigenden Preise von Zitronen und Biomilch Sorgen macht. Ihre beste Freundin wird von Jamie Lee Curtis gespielt, einer spielsüchtigen Cocktail-Kellnerin mit der hässlichsten Sprühduschen-Bräune seit Donald Trump. Es ist ein Film über Menschen, die vom Unterhaltungsmoloch Las Vegas wie Abfall behandelt werden.

«Ich hatte irrsinnige Angst, Jamie Lee Curtis zu treffen», sagt Anderson, «sie erschien mit frischer oranger Spray-Bräune zur ersten Leseprobe und als sie mit mir redete, wurde ihr Teint dunkler und dunkler und dunkler, es war unheimlich.» Selbstverständlich wurden die beiden auch im echten Leben Freundinnen. Denn im Gegensatz zum grossen «Baywatch»-Kollegen David Hasselhoff, der Anderson bei Drehs nie in die Augen, sondern immer nur auf die Stirn geschaut hatte, blickte Curtis ihr in die Augen.

War der Crew von «Baywatch» damals eigentlich bewusst gewesen, dass Hasselhoff ausserhalb von Amerika ein ziemlich grosser Popstar war? «Oh ja! Er hat uns zu Weihnachten seine CDs und Poster geschenkt und signiert. Wir hatten keine Chance, das nicht zu wissen.»

Während des Drehs zu «The Last Showgirl» kochte sie für die Crew «nahrhafte Gemüsesuppe» aus eigenem Gartengemüse, «ich habe Hunde-Bisquits für ihre Hunde gebacken und ihnen Socken geschenkt, es war sehr kalt in Las Vegas».

«Dies ist der kreativ wertvollste Teil meines Lebens»

«The Last Showgirl» ist ein berührender kleiner Independent-Film, in 18 Tagen gedreht, und ja, Pamela Anderson ist jetzt eine richtige Schauspielerin, nicht mehr nur das Mädchen, das einen Serien-Job am Strand annahm, weil sie eh am liebsten am Strand abhing. Ist verletzlich, uneitel, experimentierfreudig und enorm erfahren.

Vielleicht noch nicht so sehr im Film, aber im Leben. Einfach eine einnehmende Frau: «Ich bin da, ich habe mehr Energie denn je, dies ist der kreativ wertvollste Teil meines Lebens.» Pläne will sie trotzdem keine machen, die guten Zufälle häufen sich: «Das ist doch der beste Ort, an dem ich sein kann: Ich lebe mitten im Rätsel, was als nächstes geschehen könnte.»

Und dann, als der Kinosaal kollektiv davon träumt, von ihr bemuttert und mit ihrem Lieblingsgericht Piroggen gefüttert zu werden, redet sie über ihre Sauerteigkultur. Sie hat ihr einen Namen gegeben. «Sie heisst Astrid und ist wirklich grossartig.» Astrid. Etwa wie Astrid Lindgren?

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