Die Schweiz in Serbien
Bitte schenkt uns ein normales Fussballspiel!
Seit 2018 geht es zwischen Serbien und der Schweiz um mehr als Fussball. Nun gibt’s Anzeichen, dass es dieses Mal anders ist.
Der junge Mann an der Hotelrezeption verdreht die Augen und sagt dann mit gequältem Lächeln: «Wissen Sie was? Es ist mir egal! Früher habe ich viel geschaut, aber so wie sie zuletzt gespielt haben, habe ich kein Interesse mehr an der Mannschaft.»
Wir sind in Leskovac, einer Kleinstadt im Süden Serbiens, nur eine gute Autostunde entfernt vom Kosovo. Das Spiel der serbischen Nationalmannschaft? Die politische Brisanz wegen der kosovarischen Wurzeln einiger Schweizer Nationalspieler? Scheinen hier, wenn überhaupt, nur am Rande zu interessieren.
Die Auftritte Serbiens in jüngerer Vergangenheit haben dazu geführt, dass sich die Massen in der Heimat vom Team abwenden. Mit Ach und Krach hat sich das Team von Trainer Dragan Stojkovic für die EM 2024 qualifiziert – und dort als Gruppenletzter hinter Slowenien, Dänemark und England Schiffbruch erlitten. Einen Pflichtspielsieg gab’s in diesem Jahr noch keinen.
Offiziell ist der Grund, warum das Spiel gegen die Schweiz im 8000 Menschen fassenden, 2023 eröffneten Kleinstadion in Leskovac stattfindet, eine neue Verbandsstrategie: rausgehen aus dem Zentrum Belgrad, auf Tuchfühlung gehen zu den Leuten in allen Landesteilen – wie es auch die Schweizer Nati mit Spielen in den kleineren Arenen in Sion, St.Gallen und Luzern tut. Inoffiziell, so ist zu hören, will sich der serbische Verband die Blamage ersparen, vor leeren Rängen im Nationalstadion Marakana spielen zu müssen. Weil sich eben das Publikum wegen des ausbleibenden Erfolgs zunehmend abwendet. Beim Gastspiel von Europameister Spanien Anfang September war das Marakana nur zur Hälfte gefüllt.
Nach einem rauschenden Turniersommer, wie ihn die Schweiz ihren Fans kürzlich in Deutschland bescherte, nach einem sportlichen Exploit wie den zwei EM-Viertelfinalteilnahmen der Schweizer 2024 und 2021 sehnt man sich in Serbien vergeblich.
Seit Gründung des serbischen Fussballverbands im Jahr 2006 kam das Team an einer EM oder WM nie über die Gruppenphase hinaus. Dabei suggerieren Qualität der einzelnen Spieler und ihre prominenten Arbeitgeber (AC Milan, Porto, Aston Villa) beim serbischen Publikum, aber auch bei den Spielern, dass man einem Team wie der Schweiz auf Augenhöhe begegnet. Zum Vergleich: Seit 2006 stand die Schweizer Nati sechsmal in der K.-o.-Phase eines Turniers.
Deeskalationsstrategie im Schweizer Lager
Zweimal wurde das Weiterkommen in Duellen gegen Serbien gesichert. 2022 an der WM in Katar (3:2) und 2018 in Russland (2:1). Das Spiel in Kaliningrad vor sechs Jahren stand am Anfang der Brisanz, die seither über Spielen zwischen der Schweiz und Serbien liegt. Keine Brisanz aus sportlichen, sondern aus politischen Gründen: Wegen der kosovarischen Herkunft der Nati-Stars Granit Xhaka und des mittlerweile zurückgetretenen Xherdan Shaqiri, die an der WM 2018 ihre Tore mit dem Doppeladler bejubelten, als Reaktion auf die Anfeindungen der serbischen Fans.
Seither geht’s bei Schweiz – Serbien um mehr als um Fussball. Auch wenn die Akteure dem vehement Gegensteuer geben wollen. «Eine alte Geschichte», nennt es Murat Yakin vor dem dritten Aufeinandertreffen mit Serbien seit 2018. Und Pierluigi Tami sagt: «Unser Job ist Fussball, alles andere können wir nicht beeinflussen.»
Der Natidirektor ist es dann aber auch, der einräumt, dass man mit Granit Xhaka vor dem Spiel in Leskovac sehr wohl das Gespräch suchen werde. Komplett ausradiert kann die Brisanz nicht werden. Und dass Granit Xhaka erst nach und nicht schon vor dem Spiel in Serbien sich medial äussern wird, ist auch den Ereignissen der Vergangenheit geschuldet.
Die wahre Brisanz liegt auf dem Platz
Es gilt aber auch festzuhalten: Gründe, auch dieses Mal einen Eklat herbeizureden, sind in den letzten Tagen keine aufgetaucht. Man muss sie proaktiv suchen, was es ja auch nicht sein kann. Keine Provokationen aus einem der beiden Lager, kein mediales Zündeln. Und weil alles in der Provinz in kleinem Rahmen stattfindet, darf der Fussballfan guten Mutes sein, dass es am Samstagabend im Dubocica-Stadion beim Fussball bleiben wird.
Denn auch sportlich ist Pfeffer drin. Für beide Teams: Serbien hat punkto Gunst beim Publikum vieles gutzumachen. Und die Schweizer sind nach dem Fehlstart in die Nations League drei Monate nach dem EM-Furioso schon wieder an einem kritischen Punkt: Es droht der erstmalige Abstieg aus der Liga A. Und ein Verpassen der ursprünglich zum Ziel ausgerufenen Viertelfinals in der Nations League könnte unangenehme Folgen für die Qualifikation für die WM 2026 haben: Eine Versetzung in Lostopf 2 erschwert den steinigen Weg ans Turnier in den USA, Mexiko und Kanada zusätzlich.
Bleibt die Frage: Wie kann der Schweizer Mannschaft der Turnaround in der Nations League gelingen? Die Aussage von Mittelfeldspieler Remo Freuler bringt’s auf den Punkt: «Defensiv müssen wir uns klar verbessern. Vorne sind wir immer für ein Tor gut.» Die sechs Gegentore in den Startspielen gegen Dänemark (0:2) und Spanien (1:4) sind ungenügend. Und überraschten – war die Abwehr an der EM doch noch das Prunkstück in Murat Yakins Team.
Auch der Natitrainer ist gefordert, den Umbruch nach den Rücktritten von Shaqiri, Sommer und Schär weiter zu gestalten und gleichzeitig für Resultate zu sorgen, die Stimmung und Tabellenlage ins Positive wenden. Der Natitrainer stellt klar: «Wir haben alle Spieler an Bord, wir haben gut trainiert – das Spiel in Serbien wird ein Gradmesser und ist wegweisend.»
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