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Heinrich ruft zu engagiertem Christentum auf

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Evangelische Christen in aller Welt erinnerten am Donnerstag an den Beginn der Reformation 1517. In diesem Jahr stand vielerorts die Ökumene im Mittelpunkt. Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), rief zu einem engagierten Christentum auf, das Verantwortung in der Gesellschaft und Welt übernimmt.

Am Reformationstag erinnern Protestant:innen in aller Welt an den Beginn der Reformation durch die Veröffentlichung der 95 Thesen von Martin Luther am 31. Oktober 1517. Mit seiner Kritik an der Kirche seiner Zeit hat Luther Veränderungen angestoßen, die später zum Entstehen der evangelischen Kirche führten. Während der Gedenktag früher zur Abgrenzung der Protestanten gegenüber katholischen Christen genutzt wurde, wird er inzwischen im Geist der Ökumene gefeiert.

“Luthers gnädiger Gott lädt nicht zum Wegsehen ein! Ist mir egal, ist keine Option angesichts der Not auf dieser Welt”, heißt es in einem am Mittwoch vorab veröffentlichten Redemanuskript von Präses Heinrich. Das Thema “Gnade” stand laut EKD im Mittelpunkt der Predigt von Heinrich am Donnerstag in der Schlosskirche zu Wittenberg. Geprägt von den Erfahrungen einer Reise an die EU-Außengrenze, sagte Heinrich demnach: “Warum ertrinken Menschen im Mittelmeer? Warum überlassen wir Menschen diesem grausamen Schicksal? Ich bin ratlos. Ich will ungnädig sein. Mit dieser Welt, mit ihren Verantwortungsträgern, mit mir selbst.”

Manchmal habe sie das Gefühl, dass eine klare Kante, ja Ungnade, die einzig ehrliche Reaktion sei, fügte Heinrich hinzu: “Wenn ich Unrecht spüre, ja, wenn Ungerechtigkeiten greifbar werden, dann fordert mich mein Glaube auf, ungnädig zu sein – nicht aus Wut, sondern aus Liebe zur Wahrheit.” Eine aus dem Glauben heraus angetriebene Ungnade sei keine “Vergeltung, kein Hass, keine Wut. Es ist eine innere Klarheit darüber, dass etwas falsch läuft und ich zur Umkehr aufgefordert bin”.

Der katholische Ökumene-Bischof Gerhard Feige rief am Reformationstag zu einer stärkeren Zusammenarbeit der katholischen und evangelischen Kirchen auf. “Unsere Kirchen stehen mitten in großen Herausforderungen und sind vielfach mit sich selbst beschäftigt”, sagte Feige am Donnerstag in seiner Predigt in der Hamburger St.-Petri-Kirche. Vertrauensverlust und Glaubensschwund hätten dramatisch zugenommen. Es sei unbestreitbar, dass die Kirchen in der Gesellschaft besser wahrgenommen würden, wenn sie mit einer Stimme sprächen, sagte der Magdeburger Bischof.

Dennoch dürfe nicht vergessen werden, die Kirchen verbinde längst schon mehr, als sie trenne, “ob im gottesdienstlichen und seelsorglichen Bereich, der Vermittlung christlicher Werte oder im Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung”, sagte Feige in dem ökumenischen Gottesdienst.

Der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, äußerte sich zuversichtlich, dass die Erinnerung an den Thesenanschlag Martin Luthers im Jahr 1517 auch in Zukunft nicht verschwinde. Die evangelische Kirche mache es richtig, wenn sie an der Bedeutung dieses Tages festhalte, sagte er dem Evangelischen Pressedienst. Viele Gemeinden bezögen die Erinnerung an die Reformation auch an den Sonntagen rund um den Feiertag mit ein. “Deshalb bin ich zuversichtlich, dass die Erinnerung an die Reformation und ihre Gegenwartsbedeutung nicht verlorengeht”, sagte der frühere Berliner Bischof.

Der Leitende Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), Ralf Meister, erinnerte laut Redemanuskript an die “Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre”, die vor 25 Jahren von Protestanten und Katholiken in Augsburg unterzeichnet wurde. Diese Erklärung sei ein Durchbruch in der Ökumene gewesen, weil durch sie Jahrhunderte alte gegenseitige Lehrverurteilungen aufgehoben worden seien. Auch Feige bezeichnete sie in seiner Predigt als “bahnbrechendes ökumenisches Ereignis”.

Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre gilt bis heute als das einzige ökumenische Konsensdokument in der westlichen Kirche, das offiziell anerkannt und bestätigt wurde. Praktische Auswirkungen im kirchlichen Leben gibt es bislang allerdings nicht.

Theologe Körtner wirbt für Kultur des Verzeihens

Der Wiener Theologe Ulrich Körtner wirbt angesichts einer zunehmend von Gnadenlosigkeit geprägten Lebenswelt für eine Kultur des Erbarmens und des Verzeihens. Im modernen Weltgericht “ist jeder Ankläger, Richter und Angeklagter zugleich”, heißt es einem Gastbeitrag des Hochschullehrers an der Universität Wien für die österreichische Tageszeitung “Die Presse” (Donnerstag) zum Reformationstag: “Die Gerichtsshows und öffentlichen Lebensbeichten im Privat- sind die Farce auf das moderne gnadenlose Weltgericht.”

Mit dem religiösen Begriff der Sünde sei der modernen Welt auch die Dimension der Gnade abhandengekommen: “Der Mensch als Letztverantwortlicher und Angeklagter kann auf keine Instanz hoffen, die ihn freispricht.” So gesehen habe sich die Frage nach dem gnädigen Gott, die Martin Luther und seine Zeit bewegte, keineswegs erledigt, fügte Körtner hinzu: “Die reformatorische Rechtfertigungsbotschaft richtet sich an den Menschen, der, modern gesprochen, um seine Anerkennung kämpft.”

“Nun ist der Mensch selbst Richter und Angeklagter zugleich”, so der Theologe. “Weil Gott fehlt, tritt an die Stelle der Rechtfertigung des Menschen eine Unkultur des Rechthabens”, greift er einen Gedanken des Schriftstellers Martin Walser (1927-2023) auf.

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