Pro-Senectute-Präsidentin im Interview –
«Senioren werden für die Nein-Kampagne benutzt – dagegen wehren wir uns»
Alt-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf schaltet sich in den Abstimmungskampf um Efas ein. Die Reform ermögliche es den Menschen, dank Spitex-Pflege länger zu Hause zu bleiben.
Publiziert heute um 13:11 Uhr
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Die Gegner der einheitlichen Finanzierung ambulanter und stationärer Behandlungen (Efas) warnen vor einer Verschlechterung der Langzeitpflege. Und argumentieren, der Einbezug der Pflege in die Reform werde zudem zu stark steigenden Prämien führen. Eveline Widmer-Schlumpf, frühere Bundesrätin und heutige Präsidentin von Pro Senectute, hält diese Befürchtungen für verfehlt.
Frau Widmer-Schlumpf, warum schalten Sie sich als Pro-Senectute-Präsidentin in den Abstimmungskampf um Efas ein?
Wir stellen fest, dass nun die Seniorinnen und Senioren für die Gegenkampagne benutzt werden. Die Gegnerschaft behauptet, dass Efas für Menschen in der Langzeitpflege Nachteile bringe und sie von der Reform besonders betroffen seien. Das können wir nicht stehen lassen, weil es schlicht falsch ist. Pro Senectute setzt sich dafür ein, dass die älteren Menschen zu Hause leben dürfen, solange sie das mit der nötigen Unterstützung und Pflege können und wollen.
Was hat das mit Efas zu tun?
Mit der Efas-Vorlage wird der ganze ambulante Bereich gestärkt, weil sich die Kantone an diesen Kosten ebenfalls beteiligen werden. Gerade der ambulante Bereich spielt für die älteren Menschen eine grosse Rolle. Die Spitex-Pflege hilft, dass Seniorinnen und Senioren selbstbestimmt und bei guter Lebensqualität möglichst lange zu Hause leben können. Wir sind der Auffassung, dass Efas da eine grosse Verbesserung bringt.
Sie sagen, Efas begünstige die Pflege zu Hause. Besteht denn heute tatsächlich ein finanzieller Druck, dass die Leute ins Heim verlegt werden, obwohl sie eigentlich in ihrer Wohnung bleiben möchten?
Heute wird die Langzeitpflege im Heim durch die Krankenkassen finanziell bevorzugt. Das kann dazu führen, dass alte Menschen angehalten werden, ins Pflegeheim zu ziehen, anstatt mit mehr Spitexunterstützung zu Hause zu bleiben. Im Heim wird die Finanzierung mehr als zur Hälfte vom Kanton getragen.
Die Efas-Gegner warnen aber: Wenn die Langzeitpflege verstärkt über die Krankenkassenprämien finanziert werde, steige der Druck, die Pflege kostengünstiger zu erbringen als heute.
Ich möchte zuerst generell etwas zu Efas sagen. Die Reform wird die Kostensteigerung im Gesundheitswesen zulasten der Prämienzahler dämpfen. Denn die ambulante medizinische Behandlung nimmt auch in Zukunft im Vergleich zur stationären Spitalbehandlung stetig zu. In der Schweiz werden erst etwa 20 Prozent der medizinischen Eingriffe ambulant durchgeführt, im Ausland ist der Anteil viel grösser. Diese Entwicklung, die Verlagerung der medizinischen Behandlungen von stationär zu ambulant, wird auch in der Schweiz stattfinden. Mit Efas müssen sich die Kantone an diesem stark wachsenden Bereich finanziell beteiligen und entlasten so die Prämienzahler.
Wenn aber auch die Pflege älterer Menschen zum grössten Teil durch die Kassen bezahlt werden muss, werden doch die Versicherer auf eine möglichst effiziente Pflege drängen. Geht das nicht zulasten der Pflegequalität?
Nein. Hier setzt ja die Pflegeinitiative an, die nun umgesetzt werden muss. Diese verlangt gute Arbeitsbedingungen für die Pflegepersonen. Ich bin im Gegenteil der Überzeugung, dass das Pflegepersonal entlastet wird, wenn mehr Menschen von Spitex-Mitarbeitenden und Angehörigen zu Hause betreut werden. Denn in den Heimen wird es weniger Pflegepersonal brauchen.
«Die einheitliche Finanzierung führt zu mehr Transparenz.»
Für die Langzeitpflege braucht es künftig einen Tarifvertrag, um mit den Kassen abzurechnen. Künftig soll also menschliche Zuwendung im Pflegeheim in Taxpunkten und Zeiteinheiten gemessen werden. Das führt doch dazu, dass das Pflegepersonal noch mehr unter Druck steht.
Die Frage des Tarifvertrags für die Langzeitpflege muss mit oder ohne Efas diskutiert werden. Ich finde es nicht sinnvoll, wenn alle anderen Fragen, die sich auch noch stellen, mit der Diskussion über Efas vermischt werden. Jetzt müssen wir zuerst die Frage der Finanzierung mit einem einheitlichen Verteilschlüssel regeln.
Der Kassenverband Santésuisse war gegen die verstärkte Finanzierung der Pflege über die Krankenversicherung und warnt vor stark steigenden Prämien.
Diese Befürchtung teile ich nicht. Die Langzeitpflege wird nicht so stark zu Buche schlagen. Die einheitliche Finanzierung führt zu mehr Transparenz und wird aufzeigen, wo noch versteckte Kosten im System sind. Das wird dazu beitragen, die Prämienzahlenden zu entlasten.
Die Diskussionen in den Räten zu dieser Vorlage dauerten 14 Jahre, vor allem weil die Kantone erst zustimmten, als die Pflege in Efas integriert wurde. Das nährt den Verdacht, die Kantone wollten sich bei der Langzeitpflege finanziell entlasten und sparen. Was sagen Sie als einstige kantonale Finanzdirektorin und Finanzministerin dazu?
Dem möchte ich aus meiner Erfahrung widersprechen. Die Kantone sind der Bevölkerung gegenüber direkt verantwortlich, und sie nehmen ihre Aufgabe wahr. Die Kantone tragen zudem künftig auch die medizinischen Kosten im ambulanten Bereich mit. Also insgesamt werden mit Efas mehr Leistungen über Steuergelder finanziert. Wir müssen das Gesamtsystem anschauen. Wenn die Kantone mehr mittragen, ist das gewollt. Das wird dazu führen, dass die Kantone auch im ambulanten Bereich ein Interesse haben, das Angebot und die Entwicklung zu steuern.
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Markus Brotschi ist Bundeshausredaktor von Tamedia, Schwerpunkt seiner Berichterstattung ist die Sozial- und Gesundheitspolitik. Er arbeitet seit 1994 als Journalist und Redaktor. Mehr Infos
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