DieseEditorial zu den US-Wahlen –
Nun ist moralische Abrüstung gefragt
Egal, wer gewinnt: Die Apokalypse kann warten. Weder ist Donald Trump ein Faschist, noch ist Kamala Harris eine Kommunistin. Aber die US-Wahlen sind vor allem eine gute Show.
Publiziert heute um 09:12 Uhr
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Eigentlich bieten die Amerikaner wieder einmal das, was sie am besten können, nämlich spannende Unterhaltung. Wenn Hollywoods Drehbuchschreiber einen Wahlkampf designen müssten, könnten sie das kaum besser, als er in der Realität ablief. Zuerst ist Donald Trump abgeschrieben. Als schlechter Verlierer der letzten Wahlen, der das Ergebnis nicht akzeptieren kann und Lügen um Lügen verbreitet. Im Januar 2021 sieht er endgültig aus wie ein Mann der Vergangenheit.
Doch dann macht Joe Biden, was er in seiner Karriere immer wieder machte: Fehler. Von Beginn seiner Amtszeit an unterschätzt er, genau wie seine Vizepräsidentin Kamala Harris, die illegale Einwanderung und lässt es zu, dass unkontrollierte Menschenmassen illegal über die Grenze rennen. Dann verbockt er – ausgerechnet er als Vietnamkriegs-Veteran – den Abzug aus Afghanistan dermassen, dass sich Amerika vor der ganzen Welt blamiert wie seit der Flucht aus Saigon nicht mehr. Kaum ein Jahr im Amt, scheint Joe Biden erledigt. Doch wieder kommt es anders. Kurz vor den Zwischenwahlen erzielen die Republikaner vor dem Obersten Gericht einen Sieg. Die Richter kippen die liberale Abtreibungspraxis, und konservative Bundesstaaten beginnen die Abtreibungen weitgehend zu verbieten.
Das ist keine gute Idee, denn damit liefern sie den Demokraten einen Wahlkampfschlager, der diesen zu einem der besten Zwischenwahl-Ergebnisse der jüngsten Zeit verhilft. Doch auch diese Wende hält nicht lange. Das liegt an der «Cheapflation». Dieses Phänomen ist der Grund, warum Biden so unbeliebt ist. Nicht nur, dass unter ihm generell alles teurer wird, die Preise für günstige Waren steigen auch viel schneller als bei den teureren Varianten derselben Waren. Und das bleibt so.
Die «Cheapflation» bestraft jene Konsumenten, die wenig haben. Und das sind viele. 47 Prozent der amerikanischen Haushalte haben ein Einkommen unter 75’000 Dollar, die Schwarzen im Schnitt gar unter 56’500 Dollar. Das sind eigentlich Wähler der Demokraten. Das sind Konsumenten, die traditionell die Taktik anwenden, bei Inflation auf günstigere Produkte umzusteigen, um Geld zu sparen. Doch sie finden wegen der «Cheapflation» keine Alternativen. Ein Beispiel für das Phänomen ist Fleisch. Seit 2019 erhöhte McDonald’s den durchschnittlichen Preis eines Big Mac um 21 Prozent. Die Hamburger sind das Fleisch der Armen, und billigere Alternative gibt es kaum.
Dass gleichzeitig der Ukraine-Krieg Milliarden verschlingt und Biden immer weniger verbergen kann, dass er zu alt ist für sein Amt, verschafft Trump plötzlich einen schon fast phänomenalen Vorsprung. Und wieder geschieht das Unerwartete. Biden zieht sich zurück, und Harris entfacht eine Begeisterung unter den Demokraten, die sie ins Weisse Haus zu tragen scheint. Trump erscheint nur noch «weird» (seltsam), bis er es eben doch wieder schafft, viele davon zu überzeugen, dass es ihnen ja während seiner Präsidentschaft besser ging als unter dem Duo Harris/Biden. Harris hat nichts dagegenzusetzen als Horrorgeschichten über Trump. Es fehlt das Feuer des «Yes, We Can», mit dem Barack Obama 2008 die Jugend begeisterte.
Plötzlich setzen alle auf Trump. Aktien seiner Social-Media-Plattform Truth Social steigen in Erwartung einer erneuten Präsidentschaft Trump seit September auf ungeahnte Höhen, genauso wie die meisten Aktien in den USA. Bis vor fünf Tagen. Plötzlich dreht Trumps Geldmaschine leer und verliert über 40 Prozent an Wert. Ein Indikator dafür, dass es ihm vielleicht doch nicht reicht? Nächste Woche wissen wir es, hoffentlich, wenn sich bis dann nicht die Legionen von Anwälten streiten und endlose Nachzählungen verlangen. In der Zwischenzeit malen beide Seiten die Apokalypse an die Wand für den Fall, dass der Gegner die Wahl gewinnen sollte.
Egal, wer gewinnt: Es wird knapp, vielleicht auch zufällig. Zu hoffen ist, dass nach der Wahl endlich die rhetorische Abrüstung beginnt. Die Apokalypse kommt nicht, genauso wenig wie sie unter den hinter uns liegenden Präsidentschaften des Duos Biden/Harris oder jener von Trump kam. Weder ist Trump ein Faschist, noch ist Harris eine Kommunistin. Und die amerikanische Demokratie mit ihren Institutionen ist sowieso viel stärker als beide. Wenn eine Wette zu gewinnen ist, dann diese, nämlich, dass sich die Welt auch nach dem 5. November weiterdreht.
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