In Thüringen brachte das BSW eine eigensinnige Landeschefin auf Linie. Es praktiziert demokratischen Zentralismus, der an die DDR erinnert. Dubiose Methoden haben dabei System.
Sie lesen einen Auszug aus dem werktäglichen Newsletter «Der andere Blick», heute von Susanne Gaschke, Autorin im Berliner Büro der NZZ. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.
Um was für eine Sorte Partei es sich beim Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) handelt, sagt eigentlich schon der Name: Es ist eine Führerinnenpartei. Eine Art Unternehmen, das komplett auf seine Gründerin und Vorsitzende ausgerichtet ist. Endlich muss Wagenknecht keine Rücksichten mehr nehmen, keine kleinlichen Kompromisse mehr eingehen, endlich keine Parteifreunde mehr in ihrer Nähe dulden, die anderer Meinung sind als sie.
Wie brutal sie ihren Willen durchsetzt, kann man derzeit im ostdeutschen Bundesland Thüringen besichtigen. Dort wird das BSW – wie auch in Sachsen und Brandenburg – für die Mehrheitsbildung gebraucht, weil niemand bereit ist, mit der Rechtspartei AfD zu koalieren.
Als Preis für die BSW-Stimmen verlangt Wagenknecht russlandfreundliche Friedensbekenntnisse der Koalitionspartner, obwohl Aussen- und Sicherheitspolitik auf Landesebene keine Rolle spielen. In Brandenburg haben die Sozialdemokraten unter Ministerpräsident Dietmar Woidke diese Forderung eilfertig erfüllt.
Die spezifische Friedensfreundlichkeit des BSW
In Thüringen hingegen einigte sich die BSW-Spitzenkandidatin und ehemalige Oberbürgermeisterin von Eisenach, Katja Wolf, mit CDU und SPD darauf, die unterschiedlichen Überzeugungen in der Ukraine-Frage in einer Präambel zum Koalitionsvertrag festzuhalten. So wäre die spezifische Friedensfreundlichkeit des BSW dokumentiert gewesen, ohne dass die politischen Partner die Westbindung der Bundesrepublik oder die Politik des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Olaf Scholz hätten verleugnen müssen.
Wagenknecht erklärte diesen klassischen demokratischen Kompromiss Anfang der vergangenen Woche umgehend zum «Fehler». Wolf sagte da noch aufmüpfig, «formal» komme es auf die Zustimmung der Bundesvorsitzenden gar nicht an. Das war sachlich zwar richtig, aber eben auch Majestätsbeleidigung.
Umgehend begannen Wagenknecht-Getreue, Wolf zu schmähen; der BSW-Generalsekretär Christian Leye, ein langjähriger Wagenknecht-Handlanger, reiste schon Mitte vergangener Woche nach Erfurt, um Druck auf sie auszuüben und ihr «die Instrumente zu zeigen», wie es ein Wolf-Vertrauter formuliert.
Ebenfalls in der vergangenen Woche nahm der BSW-Bundesvorstand 21 neue thüringische Mitglieder in die Partei auf – das bedeutet für den Landesverband einen Mitgliederzuwachs um 25 Prozent. Die Neuzugänge sind anscheinend stramm auf Wagenknecht-Linie, die Mehrheitsverhältnisse sind in Erfurt damit gegen Wolf gekippt.
In demokratischen Parteien ist es normalerweise üblich, dass Ortsvereine oder Ortsverbände, also untere, dezentrale Organisationseinheiten, über die Aufnahme von neuen Mitgliedern entscheiden. Das BSW hingegen praktiziert demokratischen Zentralismus, indem die Führung die Mitglieder nominiert und aufnimmt.
Diese Praxis erinnert ein wenig an ein Diktum Walter Ulbrichts. Der frühere Vorsitzende des Zentralkomitees der SED der DDR sagte, alles müsse demokratisch aussehen, «aber wir müssen es in der Hand haben».
Am vergangenen Wochenende stand Leye dann neben Wolf und erklärte, wie die Dinge künftig zu laufen hätten: Man gehe geschlossen in die Regierung, das wäre dann gut – oder man gehe eben geschlossen in die Opposition, das wäre auch gut. Wolf machte betretene Miene zum bösen Spiel und muss jetzt auf irgendeinem Weg doch noch versuchen, Friedensbekundungen in den Koalitionsvertrag mit CDU und SPD hineinzubeten.
Eine Spaltung wäre für Wagenknecht ein Risiko
Dabei ist sie «formal» natürlich im Recht: In Deutschland gibt es kein imperatives Mandat. Zum Ministerpräsidenten können die Abgeordneten theoretisch wählen, wen immer sie wollen. Eine Spaltung der Erfurter BSW-Fraktion wäre durchaus auch für Wagenknecht ein Risiko. Aber Wolf fehlt wohl der Mut und spätestens seit dem gelenkten Eintrittsmanöver auch die Mehrheit in ihrem Landesverband, um sich durchzusetzen.
Dort, wo Wolf schwächelt, müssten andere stark sein. Man darf davon ausgehen, dass das ganze Politunternehmen Sahra Wagenknecht vor allem auf die Bundestagswahl im kommenden Jahr zielt. CDU und SPD in Thüringen müssen überlegen, ob sie sich wirklich zu Bütteln von dessen Marketingstrategie machen wollen.
Die deutschen Medien, die Wagenknecht als quotenträchtige Mitspielerin im Talkshowtheater schätzen oder sie peinlich als Polit-Ikone feiern (wie vor kurzem in der opulenten ZDF-Dokumentation «Inside Bündnis Wagenknecht»), sollten sich lieber mit der Frage befassen, wie demokratisch das BSW eigentlich ist.
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