Volker Wissing verlässt die FDP. Er bleibt aber in der Ampelregierung, die sowieso dem Untergang geweiht ist. Damit stößt Wissing Partei-Chef Lindner vor den Kopf.
Ist das Willensstärke oder klebt da jemand am Amt? Volker Wissing verlässt die FDP, der er 26 Jahre lang angehörte, um Bundesverkehrsminister zu bleiben. Zusätzlich soll er den Posten des Justizministers bekleiden, den sein Parteifreund Marko Buschmann zuvor geräumt hatte. Nachdem das FDP-Personal der Ampelkoalition ausnahmslos den Rücken gekehrt hatte, bleibt Wissing im Amt – zumindest, bis Scholz am 15. Januar die Vertrauensfrage stellen wird. Als einziger Liberaler weigert sich Wissing also, das sinkende Schiff zu verlassen. “Die Entscheidung ist eine persönliche Entscheidung von mir, die meiner Vorstellung von Übernahme von Verantwortung entspricht. Ich möchte mir selbst treu bleiben”, sagt Wissing. Damit bezichtigt er FDP-Chef Christian Lindner indirekt der Verantwortungslosigkeit.
Wissing begeht damit nichts weniger als politischen Selbstmord. Das ist umso bemerkenswerter, als er gar nicht viel gewinnt. Gerade einmal drei Monate kann er nun noch im Amt bleiben. Nach den erwarteten Neuwahlen dürfte seine Ministerzeit endgültig vorbei sein. Er selbst stellt es so dar: Verantwortungsvoll zu handeln hat für ihn einen höheren Stellenwert, als sich den Vorstellungen eines Parteivorsitzenden für die eigene Karriere zu beugen. Wissings Entscheidung hat also, wie er selbst sagt, ganz “persönlich” mit ihm selbst zu tun.
Wer ist dieser Freie Demokrat, der sich der Parteidisziplin widersetzt, um ausgerechnet SPD-Kanzler Olaf Scholz treu zu bleiben? Bereits in seiner Kindheit in dem Rheinland-Pfalz kam Wissing mit den Ideen der Liberalen in Berührung. Er soll aber auch geprägt durch seinen protestantischen Glauben sein, genauer durch die Ethik des Calvinismus, schreibt die “Zeit”. Denn Wissings Vater war nicht nur FDP-Mitglied und Hobby-Winzer, sondern auch Deutsch- und Religionslehrer. Wie sein Vater war Wissing in der Kirche aktiv, spielte unter anderem Orgel bei der Kirchengemeinde Heuchelheim.
Lindner wurde von Wissing “über Weiteres nicht informiert”
Calvinisten wie Wissings Vater streben in ihrem Glauben nach Fleiß und Effizienz. Dieses Pflichtbewusstsein könnte bei Wissings Entscheidung eine Rolle gespielt haben. In einem Gastbeitrag der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” vom Freitag betont Wissing, ein Rückzug der FDP aus der Regierung sei sowohl “albern” als auch “respektlos” den Wählern gegenüber. Bei Lindner dürfte der Beitrag auf wenig Begeisterung gestoßen sein. Er veröffentlichte am selben Tag ein Wirtschaftswende-Papier, das im politischen Berlin als Scheidungsurkunde von den Ampelpartnern gelesen wurde.
Doch Wissing geht es nicht nur um einen Angriff auf Linder. Er verteidigt in seinem Gastbeitrag auch seine ethische Überzeugung: “Eine lebendige Demokratie verfolgt auch nicht das Ziel, einseitig Interessen gegen andere durchzusetzen. Im Mittelpunkt müssen immer die Menschen stehen.” Diese Haltung ist mit dem skrupellosen Taktieren von Parteien in einer Regierungskrise nur schwer vereinbar. So lässt Wissings Gastbeitrag erkennen, wie sehr ihn das Chaos in der Ampel geärgert haben dürfte.
Für Lindner als Vorsitzenden ist Wissings Schritt ein Tiefschlag, der ihn offensichtlich unvorbereitet traf. Er habe diesen “zur Kenntnis genommen”, sei aber “über Weiteres nicht informiert” gewesen, sagte Lindner. Lob bekam Wissing hingegen vom Koalitionspartner. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bewunderte seine “schwierige persönliche” Entscheidung. “Mich beeindruckt es, dass er das Amtsverständnis, seine innere Haltung jetzt vor die Partei stellt”, so Habeck.
Jetzt macht Wissing also lieber gemeinsame Sache mit Habeck und Scholz. Der Kanzler habe ihn “in einem persönlichen Gespräch” gefragt, ob er sein Amt weiter ausüben wolle, erzählt Wissing. “Ich habe darüber nachgedacht und dies gegenüber Herrn Bundeskanzler Scholz bejaht.”
Wissing sammelte Erfahrung mit Ampel in Rheinland-Pfalz
Die letzten Monate seiner Amtszeit waren etwa von seinem Kampf gegen das Verbrenner-Aus der EU geprägt. Allerdings könnte hier nicht Wissing selbst, sondern Lindner der Initiator für die Verteidigung des Verbrennermotors gewesen sein. In Brüssel jedenfalls begegnen Wissing auch diejenigen mit Respekt, die politisch gegensätzliche Positionen vertreten. Er sei als Verhandler im Umgang angenehm, munkelt man dort.
Einen guten Ruf genießt Wissing auch in seiner Heimat Rheinland-Pfalz. Wissing war Richter und Bundestagsabgeordneter, bevor er 2016 Verkehrs- und Wirtschaftsminister von Rheinland-Pfalz wurde. Unter Ministerpräsidentin Malu Dreyer war Wissing Teil der ersten Ampelkoalition auf Landesebene, die eine komplette Wahlperiode lang Bestand hatte. Dazu habe Wissing seinerzeit einen essenziellen Beitrag geleistet, sagen Beobachter. Die Ampel wurde in Mainz sogar zum Erfolgsmodell: Bis heute regieren Grüne, Sozialdemokarten und Liberale miteinander. Wissing hat also einige Erfahrung mit der erfolgreichen rot-grün-gelben Zusammenarbeit – die eine gänzlich andere ist als die in Berlin.
Als Verkehrsminister versuchte Wissing, Reformen sowie Investitionen in Schienen, Straßen und Brücken voranzutreiben. Keine einfache Aufgabe, nachdem seine CSU-Vorgänger einen Scherbenhaufen hinterlassen hatten. Wissing setzte sich auch vehement für die Einführung des Deutschlandtickets ein – wenn er dessen Zweck auch etwas anders verstand als die Grünen. “Das Deutschlandticket richtet sich ausdrücklich auch an alle, die ein Auto haben”, sagte Wissing im Interview mit ntv.de. Er wolle mit dem Ticket all jenen Pendlern ein Angebot machen, die mit dem Auto von zu Hause losfahren und dann für den Rest der Strecke in den ÖPNV umsteigen. “Denn die Verbindung von Auto und ÖPNV ist gerade im ländlichen Raum ein realistischer”, sagt Wissing.
Die Menschen erwarten von Politikern, “dass Probleme angepackt und gelöst werden und dass alle die Chance auf ein gutes Leben haben”, schreibt Wissing in der FAZ. Das allerdings kann Wissing aus seiner Sicht mit der Lindner-geführten FDP nicht mehr erreichen. Er sieht sich selbst lieber in der Rolle als Paria, denn als Mitläufer mit Parteibuch. Dafür bleibt der auf dem sinkenden Schiff, auf dem die Ampelkoalition nur noch einige Wochen lang dümpelt. Das hätte nicht jeder so gemacht.
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