„Let it sink in“, sagen Amerikaner, lass es sacken. Die Wendung drückt gut aus, dass es in historischen Momenten diesen vielleicht nur kurzen, aber intensiven Augenblick gibt, an dem die Welt stillsteht, weil man erst realisieren muss, dass wirklich wahr ist, was man da gerade wahrgenommen hat, weil man es zunächst gar nicht glauben kann.
Staunen kann in diesem Augenblick sein, auch gelinder Schrecken, aber auch eine Steigerung des Lebensgefühls. Am Mittwoch gab es einmal wieder so einen historischen Moment. Trumpwahl, wahrlich eigentlich historisch genug. Und dann poppten aber abends auch noch die Eilmeldungen auf, und man starrte auf den Bildschirm und erfuhr vom Ende der deutschen Regierungskoalition. Wahnsinn. Dieses Das-kann-doch-gar-nicht-sein-Gefühl.
Sobald die Nachricht gesackt war, fing vieles schnell wieder zu sprudeln an: der Strom von Meinungen, Spins und politischen Einschätzungen, mit deren Wahrnehmung man Aufregung in Aktion übersetzt. Die Nachrichtenkanäle drehten auf, die sozialen Medien brodelten.
Wie ein Bösewicht bei Shakespeare
Endlich konnten alle Lindner wie einen Bösen von Shakespeare ausbuhen; für einen Abend stand Scholz dagegen wie ein tragischer Held da. Übersprudelnde Meinungsproduktion gehört zu historischen Momenten. Aber auch dieser kontemplative Moment des Sackenlassens gehört dazu.
Er sensibilisierte für aufblitzende Details. Wie textsicher Olaf Scholz plötzlich war! Wie gut er dastand als die Verkörperung des aggressiv Staatsmännischen, innerlich simmernd vor Empörung, und zugleich des pflichtbewussten Kapitäns, der das sinkende Schiff noch im Untergang aus der Gefahrenzone steuern will.
Über Lindner: „Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.“ Drama pur. Emotionaler können Hanseaten nicht. Wie ungewohnt fahrig dagegen Wirtschaftsminister Robert Habeck in seinem ersten Statement wirkte, auch er musste das alles offenbar erst einmal sacken lassen. Und wie aufdringlich dieser Zaun dabei im Hintergrund wirkte.
Andere Details: Korrespondenten vor Ort, die, um Wartezeiten zu überbrücken, analysierend vor sich hin plapperten. Moderatorinnen, die sie rüde unterbrachen, wenn es Neues zu vermelden gab. Oder die Geschichte der Krawatte. Bei seinem Statement trug Scholz sie selbstverständlich, später, als er vor der SPD-Fraktion seinen Beifall abholte, hatte er sie abgenommen. Wann nehmen Spitzenpolitiker an so einem historischen Tag ihre Krawatte ab? Im Fahrstuhl? Und wohin stecken sie sie? In die Jacketttasche? Oder gibt man sie einem Referenten?
Neben den großen Fragen – Ampelkoalition: von vornherein zum Scheitern verurteilt oder vertane gesellschaftliche Chance?, Neuwahlen: richtig oder falsch?, und überhaupt: Wie geht es jetzt weiter? – lässt man auch solche Details sacken. Wahrscheinlich vergisst man sie wieder. Aber an die Energie dieses Tages, die sie einen hat wahrnehmen lassen, wird man sich erinnern.
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