Ebenso unerwartet wie der klare Wahlsieg Trumps, verkündete der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz wenige Stunden später die Auflösung der Ampel-Koalition beziehungsweise der deutschen Bundesregierung. Während in den Schweizer Medien über die Präsidentschaftswahlen der USA grossflächig berichtet wurde, war das Aus der Ampel-Regierung lediglich eine Randnotiz. Warum es für die Schweiz aber wichtig wäre nach Deutschland zu schauen, erklärt Lenz Jacobsen, Podcaster und Redaktor bei der deutschen Wochenzeitung «die Zeit».
Lenz Jacobsen
Podcaster und Redaktor bei «die Zeit»
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Lenz Jacobsen hat Ökonomie, Politik und Soziologie in Köln und Istanbul studiert und ist seit 2012 Redakteur bei «Zeit Online». Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit Politik und Demokratiethemen. Zudem betreibt er den transalpinen Podcast «Servus. Grüezi. Hallo.».
SRF News: Was in Deutschland geschieht, scheint viele in der Schweiz nicht allzu sehr zu interessieren. Warum nicht?
Jens Jacobsen: Wir sind halt langweiliger als die Österreicher und nicht so wichtig wie die Amerikaner. Möglicherweise liegt es auch daran, dass die Schweizer lange das Gefühl hatten, sich dafür nicht interessieren zu müssen, weil Deutschland einigermassen funktioniert. Zumindest so, dass man sich keine Sorgen machen muss und sich relativ sicher sein kann, dass man seine Güter weiterhin über die Grenze schicken kann und diese auch offen bleibt.
Mit Blick nach Deutschland kann die Schweiz lernen, wie problematisch es ist, wenn man alles über Geld löst.
Dazu kommt das politische System. Beim US-Wahlkampf geht es um zwei Personen, die sich gegenüberstehen. Das ist viel leichter von aussen zu verstehen als bei diesen deutschen Koalitionsfragen.
Das ist in Deutschland passiert
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Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat den Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner entlassen. Scholz warf Lindner vor, in der gemeinsamen Regierungszeit Kompromisse durch öffentlich inszenierten Streit übertönt und Gesetze sachfremd blockiert zu haben. Als Reaktion auf die Entlassung Lindners hat die FDP angekündigt, alle ihre Minister aus der Bundesregierung zurückzuziehen. Sie wollten ihren Rücktritt geschlossen beim Bundespräsidenten einreichen, sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr. Damit beendet die Partei das Dreierbündnis der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP.
Scholz hat angekündigt, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen. Er fügte hinzu: «So können die Mitglieder des Bundestages entscheiden, ob sie den Weg für vorgezogene Neuwahlen freimachen.»
Weshalb sollte es für uns Schweizer dennoch wichtig sein, über die Landesgrenze zu schauen?
Ganz konkret, weil Deutschland leider nicht mehr so stabil ist. Die Schweiz könnte so auch erkennen, was möglicherweise auf sie zukommt, und zwar im doppelten Sinne. Erstens als konkret Betroffene: Wenn Deutschland instabiler wird, hat das Auswirkungen auf die Schweiz. Beispielsweise auf die Wirtschaft. Denn diese ist stark mit den Exporten nach Deutschland verbunden.
Wenn Deutschland hustet, dann hat die Schweiz Schnupfen.
Dann gibt es eine zweite Art von Betroffenheit: Die deutsche Regierung hat sehr lange Kompromisse geschlossen, indem sie alles mit Geld zugeschüttet hat. Wenn zwei oder drei Parteien was wollten, hat man einfach mehr Geld ausgegeben. Mit Blick nach Deutschland kann die Schweiz lernen, wie problematisch es ist, wenn man alles über Geld löst, und dass man besser darin werden muss, Kompromisse zu finden, die nicht nur darauf basieren, mehr Geld auszugeben.
Warum ist Deutschland wirtschaftlich wichtig für die Schweiz?
Es gibt das Sprichwort: Wenn Deutschland hustet, dann hat die Schweiz Schnupfen. Denn wirtschaftliche Veränderungen, die an sich gar nicht so gross sind, haben Auswirkungen auf die Schweiz.
Je chaotischer Deutschland aussieht, desto friedlicher, ziviler und zufriedener sieht die Schweiz aus.
Also sie kann nicht so tun, als würde das, was in Deutschland passiert, sie nicht betreffen. Das ist das Schicksal von kleineren Ländern. Und auch wenn die Schweiz wirtschaftlich stark ist, ist sie aufgrund der Grösse nicht so stark wie Deutschland. Dazu kommen natürlich diese ganzen Grenzpendlergeschichten. Also die vielen Menschen, die in Deutschland leben und in der Schweiz arbeiten und umgekehrt.
Was macht diese Regierungskrise mit den Schweizerinnen und Schweizern?
Womöglich gibt es ihnen das Gefühl, dass sie es eigentlich ganz gut haben. Je chaotischer Deutschland aussieht, desto friedlicher, ziviler und zufriedener sieht die Schweiz aus. Das ist ein ganz normaler Wahrnehmungseffekt. Das Problem wäre, wenn man daraus folgern würde, dass man deshalb auch nichts tun muss, dass alles so weiterlaufen kann. Die Schweiz hat ihre eigenen Probleme und ihre eigenen Herausforderungen.
Das Gespräch führte Ramona Kayser.
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