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Neuzugelassener Antikörper hilft bei Alzheimer

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„Ja, natürlich werde ich Patienten mit Lecanemab behandeln“, sagt Katharina Bürger. Sie leitet die Gedächtnisambulanz an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und hat bereits Studien mit diesem Antikörper durchgeführt. Lecanemab, betonte sie im vergangenen März, sei ein „Meilenstein“ in der Alzheimertherapie. „Bisher hatten wir keine Wirkstoffe, die Alzheimer kausal beeinflussen.“ Mit Lecanemab aber ändert sich das.

Das Medikament, das unter dem Namen Leqembi bereits seit dem vergangenen Jahr in den USA, Japan und China auf dem Markt, solle im Frühjahr in der EU zugelassen werden. Viele Alzheimerpatienten warten darauf, Ärzte und Gesundheitsmanager versprechen sich Einiges von der Therapie. Sie kann das Vergessen aufhalten, verhindern, dass die kognitiven Fähigkeiten der Menschen schnell abnehmen.

Doch es gibt auch warnende Stimmen: Denn bei aller Hoffnung wird das Mittel längst nicht allen Patienten helfen können. Diejenigen zu identifizieren, die für eine Therapie infrage kommen, ist alles andere als trivial. Und wie sie versorgt werden sollen, und wer dafür aufkommt, ist ebenfalls unklar. Im Juli lehnte die europäische Zulassungsbehörde EMA den Antrag ab: die zu erwartende Wirkung sei nicht groß genug, um das Risiko von Nebenwirkungen aufzuwiegen. Während in den USA und in Großbritannien bereits behandelt werden durfte, mussten Patienten in der EU weiter warten.

Doch der Hersteller des Wirkstoffes forderte eine neuerliche Bewertung – und nun gab die EMA grünes Licht. Lecanemab, das unter dem Namen Leqembi vermarktet wird, darf nun auch in Europa eingesetzt werden.

Warum wird nun zugelassen, was im Sommer noch abgelehnt wurde? Gabor Petzold, Direktor der Klinik für Vaskuläre Neurologie am Universitätsklinikum Bonn und Direktor der Klinischen Forschung am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE): „Die Hersteller haben eine neue Analyse der Daten bei der EMA eingereicht. Daraus geht hervor, dass Patienten, die zwei Kopien einer speziellen Genvariante in ihrem Erbgut tragen, ein deutlich höheres Risiko für Nebenwirkungen haben. Nimmt man diese raus, so sind die Nebenwirkungen für die Patienten, die nur eine oder keine Kopie haben, deutlich geringer.“ Ein Gentest vor der Antikörpertherapie sei also dringend zu empfehlen.

Petzold betont auch, dass mit der Zulassung die Forschung einen Schritt nach vorne macht. In kleinen Zulassungsstudien könnten nicht alle Effekte erkannt werden, sagt er. „Wir können auch nicht sehen, welche Wechselwirkungen mit anderen Therapien, etwa gegen Diabetes, auftreten. Es ist gut, wenn wir diese Daten nun gewinnen können.“

Vor allem für die Patienten ist er aber froh. „Es ist eine neue Ära in der Alzheimerbehandlung.“ Der kognitive Abbau werden signifikant verlangsamt. „Natürlich würde man sich einen noch größeren Effekt wünschen. Aber es ist das erste Mal, dass wir ursächlich therapieren können – und ich hoffe, dass es nun bei der Alzheimertherapie schneller voran geht.“ Möglicherweise sei es so, wie bei den ersten neuen Krebsmedikamente, die vor 20 Jahren zugelassen wurden, und damals nur eine Lebensverlängerung von wenigen Monaten erreichten. Sie wurden mittlerweile weiterentwickelt, und manche Krebsarten seien deshalb mittlerweile kein Todesurteil mehr.

Doch so viel Hoffnungen auf dem Antikörpermedikament liegen, so kompliziert ist die Anwendung. „Der Wirkstoff muss sehr früh im Laufe der Erkrankung eingesetzt werden“, erklärt Peter Berlit. Er ist Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und vertritt somit auch die niedergelassenen Neurologen. Wenn Menschen bereits drastische kognitive Ausfälle haben, könne der Antikörper nichts mehr ausrichten. „Infrage kommen Menschen mit sehr milden kognitiven Beeinträchtigungen, die also nur leichte Gedächtnisstörungen haben.“ Bei diesen Menschen sei die Alzheimerkrankheit meist noch nicht diagnostiziert worden. Bestünde der Verdacht, dass ihre Vergesslichkeit Zeichen einer Alzheimerdemenz ist, wäre ein Bluttest sinnvoll. Allein: Bislang gibt es keinen.

Infrastruktur muss aufgebaut werden

Wie geht man vor, wenn ein Mittel in sehr viele Menschen Hoffnungen weckt, aber nur für einen geringen Anteil überhaupt infrage kommt? Zunächst prüfen Ärzte die Kognition mit einem standardisierten Gedächtnis-Test, der etwa eine Stunde dauert. Lässt sich daraufhin Alzheimer nicht ausschließen, folgen neurologische und psychologische Untersuchungen. Als dritte Stufe folgt dann eine Bildgebung: Sind bereits die typischen Amyloid-beta-Plaques im Gehirngewebe zu erkennen – und wenn ja, wie weit verbreitet sind sie. Mit der Bildgebung kann aber auch ausgeschlossen werden, dass die Gedächtnisstörungen eine andere Ursache haben, etwa auf Durchblutungsstörungen zurückgehen. „Im letzten Schritt kommt dann eine Lumbalpunktion, bei der wir Nervenwasser entnehmen. Darin suchen wir nach Biomarkern für Alzheimer.“ Eine Nervenwasseruntersuchung ist invasiv, weshalb sie erst am Ende durchgeführt wird – wenn andere Ursachen für die kognitiven Probleme ausgeschlossen sind.

Alzheimer-Medikamente LeqembiReuters

Alleine die Diagnostik würde niedergelassene Neurologen überfordern, sagt Berlit. „Sie müssen alle Tests durchführen, das ist zeitaufwändig. Zudem muss die Nervenwasserentnahme ambulant erfolgen, stationär wird sie nicht mehr erstattet. Dafür braucht man aber die entsprechende Logistik.“ Die Probe müsse zeitnah in ein spezielles Labor gebracht werden, die Infrastruktur gibt es oft noch nicht. Kommen noch Gentests und anderen Untersuchungen hinzu, die das Risiko von Nebenwirkungen ausschließen sollen, steigt der Aufwand zusätzlich. „Wenn man die Kosten für Diagnostik zusammenzählt, kommt ein vierstelliger Betrag zusammen“, sagt der Neurologe. „Eine angemessene Vergütung ist bislang aber nicht gesichert. Da kann ein niedergelassener Arzt nur abwinken.“

Es ist aber klar, dass der Ansturm auf Leqembi enorm sein wird. In Deutschland leiden etwa 250.000 Menschen an einer Alzheimer-Erkrankung. Von denen, die untersucht werden, wird maximal jeder zehnte für eine Antikörpertherapie infrage kommen. Für sie aber verspricht der Wirkstoff Hoffnung: Der Antikörper bindet an die Beta-Amyloid-Plaques im Gehirn der Patienten und dieser Molekülkomplex wird dann vom Immunsystem abgebaut. Im Vergleich zu einer Gruppe von Patienten, die alle zwei Wochen Infusionen mit einer Placebo-Flüssigkeit erhalten hatten, verringerte sich der kognitive und funktionale Abbau bei den Probanden, die Infusionen mit dem Wirkstoff bekamen, um 27 Prozent.

Gesunde Lebensweise schützt genauso gut

Die Therapie muss laufend überprüft werden – auch das macht sie teuer und aufwändig. Aber die Nebenwirkungen können fatal sein: Werden die Beta-Amyloidplaques aufgelöst, können sich Ödeme im Gehirn bilden. Experten sprechen von ARIAs (Amyloid-related Imaging Abnormalities, radiologisch feststellbaren Veränderungen im Gehirn). Bei etwa einem Viertel der Behandelten tritt das auf, nur die wenigsten Patienten bemerken das. „Es kann auch zu Mikroblutungen kommen“, sagt Neurologe Berlit, „im schlimmsten Fall zu einem Schlaganfall“. Das bedeute auch, dass die Therapie für Menschen mit erhöhtem Schlaganfallrisiko oder für solche, die stärkere Blutverdünner etwa wegen Vorhofflimmerns einnehmen müssen, nicht geeignet ist. Auch schlecht oder nicht eingestellte Patienten mit Hypertonie oder anderen Gefäßrisikofaktoren kommen für die Antikörpertherapie nicht infrage.

Wegen des ARIA-Risikos müssen aber auch die Patienten, bei denen die Antikörper eingesetzt werden können, engmaschig überwacht werden. Alle drei Monate sollten Kernspinaufnahmen von ihrem Gehirn gemacht werden, um Veränderungen rechtzeitig zu sehen. „Da Mikroblutungen zu Verwirrtheit, Epilepsien und anderen Symptomen führen können, ist es auch wichtig, dass die Patienten sozial eingebunden sind“, betont Katharina Bürger, die aus der Studie auch die Nebenwirkungen kennt. Es sei auch wichtig, dass die Patienten daran denken, andere Ärzte darüber zu informieren, wenn sie die Antikörpertherapie bekommen.

Mit der Zulassung des Wirkstoffs allein ist es also nicht getan, die Patienten müssen in eine Versorgungskonzept eingebettet werden. Und alles muss finanziert werden. „Wenn Lecanemab zugelassen wird, wird es ein paar Monate dauern, bis die Fläschchen wirklich da sind“, sagt Bürger. Für ein halbes Jahr werden dann die Kosten übernommen, danach wird im Amnog-Verfahren der Zusatznutzen gegenüber anderen Behandlungsformen und über die Kostenübernahme beraten.

Peter Berlit sagt, auch er würde die Mittel einsetzen – aber nur bei sehr streng ausgewählten Patienten. Das Fortschreiten der Alzheimerdemenz um fast 30 Prozent zu verlangsamen, sei beachtlich. Jeder solle sich aber auch zwei andere Zahlen vor Augen führen: „Wer sich ab einem Alter von 45, 50 Jahren regelmäßig bewegt und gesund ernährt, kann sein Demenzrisiko ebenfalls um 30 Prozent verringern. Und selbst wer schon älter ist und bereits kognitive Einbußen hat, kann mit einer gesunden Lebensführung die Demenz auch ohne Antikörper bremsen.“

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