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Mike Tyson war das Böse in Person – Erinnerungen an die boxende Bestie

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Da willst du nicht der Gegner sein.Bild: www.imago-images.de

Kommentar

Mike Tyson boxt wieder. Der Gegner muss wahnsinnig sein. Denn «Iron Mike» war der böseste Mensch des Planeten. Schwärmerische Erinnerungen.

15.11.2024, 07:3815.11.2024, 09:37

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Fast zwei Jahrzehnte nach seinem letzten Profi-Kampf gibt Mike Tyson ein Comeback. Am frühen Samstagmorgen (Schweizer Zeit) wird er Jake Paul vermöbeln, sofern der Kampf nicht gescripted ist. Denn wie soll denn ein dahergelaufener Boxer, der als Reality-Star bekannt wurde, den bösesten Menschen der Welt besiegen?

Das ist die Ausgangslage für jemanden, der in den 80er-Jahren ein Kind war und für den anderes wichtiger ist als Kampfsport. Aber Mike Tyson: Das war immer DIE Nummer im Boxen. So wie er verkörperte keiner die Kombination aus roher Gewalt und ungestümer Wut.

Aggressiver Blick, goldene Zähne, Muskeln aus Stahl. Eine Fleisch gewordene Maschine. Gemanagt, wenn auch nicht von Anfang an, von Don King, dieser zwielichtigen Gestalt mit Stromfrisur, die zuvor im illegalen Glücksspiel tätig war und wegen Totschlag im Gefängnis sass. Die Wortschöpfung, wonach jemand nicht nur berühmt, sondern auch berüchtigt ist, passte wohl selten besser als bei King.

Illustriertes Trio: Don King, Donald Trump und Mike Tyson (von links) 1988 in New York.Bild: www.imago-images.de

Das wussten wir damals nicht. Aber wir sahen als Kinder Bilder dieses Duos und weil Bilder eine grosse Macht haben, hatten wir unendlich viel Ehrfurcht vor Mike Tyson. «Iron Mike»! Allein schon dieser Name. Ein Mann mit Fäusten aus Eisen. Das personifizierte Böse.

Was wir von Tyson aufschnappten, aus Berichten in Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehbeiträgen, machte Eindruck. Wer gegen ihn in den Ring trat, war gut beraten, sich davor um sein Testament zu kümmern. Wahrscheinlich konnten nicht einmal fünf Imodium-Tabletten die Gegner vor einer vollen Hose retten, wenn Tyson ihnen im Ring gegenüberstand und sie mit Augen voller Hass und Verachtung fixierte. Und der erste Gongschlag war noch nicht verhallt, da hagelte es schon Schläge.

Er war der Inbegriff eines Champions. Ein Mann, der aus jeder Herausforderung ein Opfer machte. «Wenn ich gegen jemanden kämpfe», tönte er einmal, «möchte ich seinen Willen brechen. Ich will ihm seine Männlichkeit nehmen. Ich will ihm das Herz herausreissen und es ihm zeigen.»

Eine unmissverständliche Geste in Richtung des Gegners.Bild: imago sportfotodienst

Wortwörtlich hatte sich Tyson aus der Gosse nach oben geboxt. Er war noch ein Kind, da hatte die Polizei ihn schon drei Dutzend Mal festgenommen, wegen Diebstählen und Raubüberfällen. Mit zwölf Jahren wurde der Bad Boy aus dem rauen New Yorker Stadtteil Brooklyn aufs Land geschickt. An einer Schule für schwer Erziehbare sollte die Bestie gezähmt werden.

Das war Mike Tysons Rettung. Als er in der Schule einen Zacken zulegte, wurde ihm erlaubt, das Boxtraining zu besuchen. Sein Trainer wurde zum Ersatzvater. Er nahm Tyson bei sich auf und wurde dessen Vormund, als die Mutter an Krebs starb. Der Vater hatte die Familie schon früh verlassen.

«Kid Dynamite» brachte alles für eine Weltkarriere mit. Schon mit 18 Jahren wurde er Profi. Wie zuvor bei den Amateuren nagelte Tyson die Gegner auch bei den Berufsboxern um. Er schickte sie reihenweise auf die Bretter, oft gewann er durch K.o. in der 1. Runde.

Man zeigt, was man hat.Bild: www.imago-images.de

Mike Tyson war 20 Jahre und 144 Tage alt, als er zum jüngsten Schwergewichts-Weltmeister der Geschichte wurde. Der Titelhalter Trevor Berbick schaffte es immerhin in die 2. Runde, ehe Tyson die Lichter löschte.

All das erfuhren wir in der fernen Schweiz eher am Rande. Was wir wussten: Weit weg in Amerika gab es eine Bestie, die vor nichts und niemandem Angst hat. Die jeden umhaut, der sich ihr in den Weg stellt.

Mit jedem Sieg wuchs die Faszination für den eisernen Mike. Und sie nahm auch nicht ab, als sich am 10. Februar 1990 eine der grössten Sensationen der Sportgeschichte ereignete. Der krasse Underdog James «Buster» Douglas fügte Tyson dessen erste Niederlage bei den Profis zu.

Nach 37 Kämpfen mit 37 Siegen (davon 33 durch K.o.) war der Nimbus der Ungeschlagenheit weg. Und weg war wenig später auch Tyson: Im Gefängnis, verurteilt zu sechs Jahren Haft wegen Vergewaltigung. Die Frage, wie man einen Helden lieben kann, der schwere Fehler gemacht hat, stellte sich für viele Fans trotzdem nicht. Tyson blieb ihr Idol. Eines, das eine düstere, mythische Aura umgab.

Die Bestie mit einem Weltmeistergürtel.Bild: www.imago-images.de

Hatte man einst von einer «ewigen» Dominanz fabuliert, so war diese schon nach einigen Jahren vorbei. Aufhören kam für Mike Tyson indes nicht in Frage und so kam es zum grossen Comeback – und zu dem Boxkampf, den die Generation jener, die für Muhammad Ali zu jung waren, nie vergessen wird.

Tyson war nach der Rückkehr noch einmal Weltmeister geworden, hatte aber den Titel an Evander Holyfield verloren. Der schlug ihn zwar nicht K.o., aber der Ringrichter schützte den aussichtslosen Tyson in der 11. Runde und brach den Kampf ab.

Vorhang auf für den Rückkampf am 28. Juni 1997. Er blieb nicht aus sportlicher Sicht in Erinnerung, sondern weil Mike Tyson zubiss. Und weil er Mike Tyson ist, nicht bloss ein bisschen, sondern richtig: Holyfield verlor ein Stück seines rechten Ohres, Tyson wurde disqualifiziert.

Was für ein durchgeknallter Bastard!

Klar, wo ich gleich als erstes hinschaute, als ich Evander Holyfield einige Jahre später für ein Interview traf.

Als Tyson zu beissen begann, war das nicht nur ein dramatisches, nie dagewesenes Ereignis. Es war das endgültige Symbol für einen Boxer, der seine innere Bestie nicht mehr unter Kontrolle hatte.

Der Ausraster war Mike Tysons Abschied von der Boxbühne. In den Schlagzeilen tauchte er dennoch regelmässig auf, es waren fast durchs Band unerfreuliche. Der Strassenschläger, der erst ein Wunderkind war und dann zur Ikone seines Sports aufstieg, war nun ein Mann, den persönliche Krisen verschlangen.

Ein Filmauftritt führte 2009 zur neuerlichen Wende und zu frischer Popularität. Tyson, mittlerweile mit charakteristischem Tattoo im Gesicht, sorgte mit seinem selbstironischen Auftritt im Kultfilm «Hangover» für Lacher.

Mike Tyson mit den anderen «Hangover»-Darstellern und dem Golden Globe (Alan organisierte gerade Roofies, als das Bild geschossen wurde).Bild: www.imago-images.de

Vielleicht ist der böseste Mensch der Welt ja doch nicht so böse – und vielleicht war das alles ohnehin nur eine Rolle, die der Showman viel zu gut spielte. Aber aus Sicht des Nostalgikers hat hoffentlich selbst eine gezähmte Bestie immer noch genug Biss, um einem Influencer zu zeigen, wer der Chef im Ring ist.

Was will dieser Vogel gegen Iron-Mike? Jake Paul beim Training am Dienstag.Bild: Schlussstein

Vor dem Kampf sind die Gemüter bereits erhitzt

Video: youtube/ESPN

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