«Als der ‹Blick› (…) am 24. Dezember 2014 mein Foto und meinen Namen veröffentlichte, war dies der schlimmste Tag meines Lebens – nicht die Nacht nach der Feier, denn daran habe ich bis heute aufgrund eines achtstündigen Blackouts keine Erinnerungen.» Das schreibt Jolanda Spiess-Hegglin.
Die Boulevardzeitung hatte getitelt: «Hat er sie geschändet?» – mit Namen und Bild der Betroffenen: Spiess-Hegglin und ein SVP-Kantonsrat. Gegenstand: ein mutmassliches Sexualdelikt.
Was geschah am 20. Dezember 2014?
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Was sich nach der Feier für den neuen Zuger Landammann am 20. Dezember 2014 genau abgespielt hat, ist bis heute nicht geklärt. Davon sei ihr «nur ein bis heute nicht erklärter Filmriss geblieben», schreibt Jolanda Spiess-Hegglin in ihrem Buch.
Statt nach einer fünfminütigen Taxifahrt kam sie in jener Nacht erst nach eineinhalb Stunden zu Hause an – in einem verwirrten Zustand, der vermuten lässt, dass eine unbekannte Täterschaft ihr K.o.-Tropfen verabreicht hat. Weil das Spital erst spät eine Blutprobe nahm und analysierte, war dies nicht zu beweisen. In ihrem Intimbereich fanden die Rechtsmediziner DNA-Spuren von zwei Männern. Wie es zu denen kam, ist nicht bekannt.
«Der ‹Blick›-Artikel verstiess gegen sämtliche Regeln und Grundsätze des Journalismus, wie ich sie einst selbst gelernt hatte», schreibt Spiess-Hegglin, «es folgte immer wieder dasselbe frauenverachtende Framing: Von ‹Sex-Affäre› und ‹Techtelmechtel› wurde geschrieben. Es fand kein Ende».
Medialer Rufmord
Mit dem Artikel setzte ein jahrelanges Kesseltreiben ein. Medien gierten nach Klickzahlen. Im ersten Jahr nach den bis heute ungeklärten Ereignissen erschienen 5’500 Artikel. 2015 und 2016 waren es 12’000.
Mangels Fakten enthielten sie Spekulationen, Falschaussagen und Behauptungen. Allein der «Blick» publizierte in 150 Tagen 350 Artikel und Videos – unter solchen Schlagzeilen: «Was passierte hinter dieser Tür?» oder «Jolanda Heggli zeigt ihr Weggli»
Rechtliche Konsequenzen – ohne Konsequenzen?
Der Ringier-Verlag als «Blick»-Eigentümer wurde 2020 auch in zweiter Instanz von der Zuger Justiz verurteilt: Die Zeitung habe «schwere Persönlichkeitsverletzungen» begangen, die Intimsphäre der Betroffenen «in schwerwiegender Weise» verletzt und müsse den mit vier Artikeln erzielten Gewinn herausgeben.
Beschuldigt haben über all die Jahre allein die Medien.
Spiess-Hegglin lehnte die vom Verlag angebotene aussergerichtliche Einigung ab – und reichte eine Klage auf Gewinnherausgabe ein. Streitpunkt: 430’000 Franken. Das Urteil wird noch dieses Jahr erwartet. Zur Sprache kommt in «Meistgeklickt» zudem das Buch einer «Tages-Anzeiger»-Journalistin, die, so heisst es im Buch, nicht ein Mal persönlich mit ihr, Spiess-Hegglin, gesprochen habe. 2023 wurde die Journalistin aufgrund eines Tweets vom Basler Strafgericht in erster Instanz wegen Verleumdung verurteilt. Die erstinstanzlich Verurteilte ist darauf ans Basler Appellationsgericht gelangt. Dessen Urteil steht noch aus.
Hier geht es nicht um Schuld
Der Limmat-Verlag hat Spiess-Hegglins Skript von zwei Juristinnen und Juristen gegenlesen lassen. Sie nennt in ihrem Text weder Namen von Medienschaffenden, die die Geschichte breitgewalzt haben, noch solche von mutmasslichen Tätern.
«Ich habe (…) bis heute niemanden falsch beschuldigt. Nicht einmal bei meiner ersten polizeilichen Einvernahme. Beschuldigt haben über all die Jahre allein die Medien.»
«Meistgeklickt» erinnert an Heinrich Bölls Roman «Die verlorene Ehre der Katharina Blum», der vor 50 Jahren erschienen ist. Auch er handelt davon, wie die «ZEITUNG», so heisst das Blatt im Roman, eine Frau ohne Faktengrundlage sozial und psychisch vernichtet. Katharina Blum erschiesst den rufmörderischen Zeitungsreporter.
Jolanda Spiess-Hegglin geht konstruktiver vor. Opfern von digitaler Gewalt hilft sie mit dem Verein «NetzCourage», in dem es vor zwei Jahren zu einem Zerwürfnis kam, je nach Position wegen «mangelnder Transparenz» oder «boshaften Intrigen». Und sie hat ihr Buch geschrieben: Eine vernichtende Analyse der Schweizer Boulevardmedien. Und die Qualitätsmedien? Die haben im Shitstorm weitgehend geschwiegen.
Buchhinweis
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Jolanda Spiess-Hegglin: «Meistgeklickt». 208 Seiten. Limmat Verlag, 2024.
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