Der einstige Schweizer Skandalautor Urs Allemann ist tot
Er sorgte mit seiner Erzählung «Babyficker» für einen Eklat. Doch der Autor und Text-Performer Urs Allemann beherrschte auch die feineren Töne. Er wurde 76 Jahre alt.
Es ist der letzte Tag beim Wettlesen um den Bachmannpreis 1991, als ein Schweizer für einen Eklat sorgt. Urs Allemann, der bisher in breiten Kreisen besonders als Kulturredaktor der «Basler Zeitung» aufgefallen ist, liest einen Text vor, der heute keine Chance mehr hätte.
Er präsentiert darin wilde Hirngespinste eines Pädophilen. Später ist daraus die Erzählung «Babyficker» entstanden. Wie sehr sich die Zeiten doch geändert haben: Damals erhält dieser umstrittene Text über pädophile Fantasien sogar noch den zweiten Preis in Klagenfurt.
Als «Babyficker» entstand, gab es noch kaum Missbrauchsdebatten
Das Jurymitglied Hellmuth Karasek rühmt das Werk als Provokation. Und Literatur, so argumentiert er, müsse alle Grenzen der Fantasie und Erfahrungen ausloten. Sie dürfe nicht bloss auf gewohntem Terrain zu Hause sein.
Viele Skandalwerke in Film, Literatur und Kunst haben sich in den 1990er-Jahren noch auf diese Weise rechtfertigen lassen. Die Forderung nach politischer Korrektheit ist erst als harmlos fernes Donnergrollen zu vernehmen.
Vor allem aber werden damals noch kaum grosse Debatten über Kindesmissbrauch geführt. Später zeigt etwa das Beispiel um die deutsche Odenwaldschule, dass auch in kulturaffinen Milieus Pädophilie lange verharmlost oder stillschweigend toleriert wurde.
Allemann hat immer wieder Freude am Obszönen
Der Name des 1948 in Schlieren geborenen Urs Allemann ist seither untrennbar mit dem provokativen Titel «Babyficker» verbunden. Zu Unrecht. Er hat sich besonders in Lyrikkreisen einen guten Namen erworben. Schon der Titel seines Gedichtbandes «Fuzzhase» von 1988 verrät eine Freude an Obszönem.
In diesen Tagen hätte ihm, der seit längerem in Goslar in Deutschland lebte, der Erich-Fried-Preis in Wien überreicht werden sollen. Die Jury wollte den «experimentell-anarchistischen Ansatz» in Allemanns Werken würdigen. Der Autor habe es verstanden, traditionelle Gedichtformen aufzubrechen. So habe er zu einem eigenständigen Stil gefunden.
Er gilt als Vorläufer heutiger Text-Performer
Immer hat er in seinen Büchern Gewalt und Zerstörungsfantasien beschrieben, die sich zuletzt selbst gegen die Sprache richten. Insofern kann er den Ansatz des Perfekten, Harmonischen und Formvollendeten der Klassik nicht mehr gelten lassen, hat sich aber doch intensiv mit ihr auseinandergesetzt, etwa mit Hölderlin.
Die Jury des Erich-Fried-Preises lobt Allemann auch als Vorläufer heutiger Performer. Dessen Lesungen seien oft anarchistische Happenings gewesen, weit entfernt von traditionellen Wasserglaslesungen. Urs Allemann ist, wie seine Witwe bekannt gab, am vergangenen Sonntag mit 76 Jahren gestorben.
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