Krisengeschüttelter Bundeskonzern –
Vom Asylbereich zur Rüstung: Dieser Mann wird neuer Ruag-Präsident
Viola Amherd holt Jürg Rötheli an die Spitze der Rüstungsfirma. Er führte zuvor ein Unternehmen, das lange in den Schlagzeilen war. Zusätzlich will der Bundesrat mehr Kontrolle über die Ruag.
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- Viola Amherd hat Jürg Rötheli als neuen Ruag-Verwaltungsratspräsidenten ausgewählt.
- Rötheli leitete zuvor die ORS-Gruppe, die Geflüchtetenunterkünfte betreibt.
- Die Ruag machte mit zahlreichen Skandalen Schlagzeilen, darunter ein Cyberangriff und fragwürdige Panzergeschäfte.
- Der Bundesrat will auch die Organisationsform der Ruag ändern, um das Unternehmen enger führen und besser überprüfen zu können.
Neun ganze Monate hat sich der Bundesrat Zeit gelassen. Schon Ende Februar gab die Ruag bekannt, dass sich Verwaltungsratspräsident Nicolas Perrin von seinem Amt zurückziehen werde. Dies nach einem Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolleder den Konzern in schlechtem Licht erscheinen liess. Seither lief die Suche nach einem Nachfolger.
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Weil der Konzern vollständig der Eidgenossenschaft gehört, ist es der Bundesrat, der dessen Verwaltungsrat besetzt. Recherchen dieser Redaktion zeigten bereits am Mittwochmorgen, für wen sich Viola Amherd entschieden hat: Jürg Rötheli, aktueller Verwaltungsratspräsident der ORS-Gruppe, die Unterkünfte für Geflüchtete betreibt. Der Gesamtbundesrat hat Röthelis Ernennung bestätigt.
ORS ist eine private, gewinnorientierte Organisation, die Aufträge des Bundes sowie von Kantonen und Gemeinden erhält. Vor einigen Jahren stand sie in der Kritik: unter anderem, weil sie mit tiefen Preisen für die Betreuungsleistungen für Asylsuchende andere Anbieter – wie etwa im Kanton Bern die Heilsarmee und Caritas – schnell verdrängte. 2017 hatten zudem verschiedene Medien – darunter auch diese Redaktion – Missstände in Asylheimen publik gemacht, welche die ORS betrieb. Das Unternehmen ist nicht nur in der Schweiz aktiv, sondern auch in Deutschland, Belgien, Österreich, Italien und Spanien und ist Teil des Serco-Konzerns, der in London an der Börse kotiert ist.
Ruag steht nach fragwürdigen Panzergeschäften in der Kritik
Rötheli war seit 2017 CEO der ORS Schweiz, bis er im vergangenen Juli diese Rolle abgegeben hat – um sich laut Angaben des Unternehmens auf seine Rolle als Verwaltungsratspräsident zu konzentrieren. Er hat die Kommunikationsstrategie des Unternehmens stark verändert, setzte darauf, das Gespräch zu suchen – auch mit Medien. In den letzten Jahren sind die Negativschlagzeilen stark zurückgegangen.
An einer Medienkonferenz in Bern betonte Rötheli denn auch, er sei es sich aus seiner aktuellen Tätigkeit gewohnt, mit öffentlichem und medialem Druck umzugehen. Ruhe ins Unternehmen bringen – oder mindestens öffentlich für Ruhe sorgen: Das dürfte es sein, was sich Verteidigungsministerin Viola Amherd von Rötheli erhofft.
Kein bundesnaher Betrieb hat in den letzten Jahren auch nur annähernd so viele Skandale und Probleme durchlaufen wie die Ruag.
Es fing an mit einem grossen Cyberangriff im Jahr 2016, der auch für die Armee ein Sicherheitsrisiko darstellte. Im selben Jahr kaufte die Ruag 96 veraltete Leopard-Panzer in Italien, um sie als Ersatzteillager zu nutzen. Jahrelang passierte wenig damit – ausser, dass sich mutmasslich ein Mitarbeiter daran bereicherte. Dann wurde ein Teil weiterverkauft – ohne formelle Bewilligung durch die Geschäftsleitung und den Verwaltungsrat, wie die Finanzkontrolle bei einer Untersuchung feststellte. Als der Untersuchungsbericht vorlag, zog Perrin die Konsequenzen und kündigte seinen Rücktritt an.
Die Ruag wollte zudem den Verkauf der Leopard-Panzer an Deutschland forcieren. Und Berlin plante wiederum, diese an die Ukraine weiterzugeben. Die Ruag-Spitze trieb das Geschäft voran, obwohl das Staatssekretariat für Wirtschaft klargemacht hatte, dass es dafür keine Bewilligung geben würde. Der Bundesrat stoppte die Pläne schliesslich.
Hinzu kam, dass die damalige CEO Brigitte Beck – kaum im Amt – ungeschickt kommunizierte, was die Ukraine anging. Sie war nur rund ein halbes Jahr im Amt. Der neue CEO der Ruag, Ralph Müller, fing im letzten Frühling an. Wie Beck war auch Perrin wegen eines Medienauftritts bereits in Kritik geraten. Er sagte 2023 in einem Interview mit der NZZeine Diskussion über einen Nato-Beitritt sei für die Schweiz unumgänglich.
Jürg Rötheli war vor seiner Zeit bei der ORS der CEO des Werbeunternehmens Clear Channel. Dieses gehört seit 2023 zur TX Group, der auch Tamedia angehört. Wichtiger für seine Ernennung dürfte aber gewesen sein, dass er bereits Erfahrung hat bei einem bundesnahen Unternehmen: Der Jurist war zehn Jahre lang in der Konzernleitung der Swisscom.
Bundesrat will Ruag besser kontrollieren können
Eine neue Spitze einzusetzen, reicht dem Bundesrat aber nicht. Er will noch mehr Kontrolle über das krisengeschüttelte Unternehmen. Deshalb gibt er Amherds Leuten den Auftrag, zu prüfen, welche neue Rechtsform die Ruag erhalten soll. Er schreibt in seiner Medienmitteilung, die geopolitische Lage verlange «eine dynamischere politische Steuerung, als dies bei einer privatrechtlichen AG möglich ist».
Seit 30 Jahren ist die Ruag eine privatrechtliche Aktiengesellschaft. Der Bund erhoffte sich ursprünglich, dass sich auch Private daran beteiligen würden. Er ist aber bis heute der einzige Aktionär. Als solcher kann er zwar den Verwaltungsrat und die strategischen Ziele vorgeben – aber nicht den CEO einsetzen oder über die Strategie entscheiden. Auch ist offenbar unklar geregelt, worüber die Ruag den Bund genau informieren muss. Dies war jüngst bei den Panzer-Geschäften ein Problem.
Eine erste Prüfung durch den ehemaligen Direktor des Bundesamts für Justiz hat ergeben: Eine öffentlich-rechtliche Organisationsform wäre für die Ruag deutlich besser geeignet. Diese soll das VBS nun noch einmal prüfen. Und gleichzeitig abklären, ob es sinnvoll wäre, die Ruag direkt ins VBS zu integrieren respektive sie zu einem Bundesamt zu machen. Bis Mitte 2025 werden Amherds Leute dazu eine Vorlage ausarbeiten, zu der sich dann Kantone, Parteien und andere Akteure äussern können.
Amherd machte vor den Medien bereits klar, dass sie die Option einer Integration ins VBS skeptisch sieht. Die Ruag solle aus ihrer Sicht kein «grosses Zeughaus» werden. Vielmehr halte sie es für sinnvoll, dass die Unternehmensspitze nah an den Marktentwicklungen sei.
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