Lieber Harry Kane,
es sind nicht nur Deine Elfmeter, über die ich hier schreibe. Zum Elfmeter kann man Dich nachts um drei wecken. „Rund um die Uhr“, hätte Franz Beckenbauer gesagt. „Der Harry verwandelt die auch im Halbschlaf.“
Deshalb ist es ja sooo wichtig, dass Du gegen Paris, in Dortmund und im Pokal gegen Leverkusen auf dem Platz stehst – doch da setzen meine Sorgen ein.
Am Freitag gegen Augsburg froren in der Allianz-Arena selbst die Unverfrorenen – bei gefühlt minus zehn Grad. Bei Jamal Musiala war man versucht, ihm ein paar Schals aufs Spielfeld zu werfen, so schien er im Schneegestöber zu zittern. Und Du, lieber Harry? Du bist kurzärmlig aufgelaufen. Nicht mal bei der Konzentrationsphase vor Deinen Elfmetern schienst Du zu fühlen, wie der Frost die Beine hochzog, so warst Du unter Strom gestanden. Nur Dayot Upamecano und Min-jae Kim trugen ebenfalls kurzärmlige Trikots. Beim Südkoreaner wundert mich ja gar nichts mehr, seitdem er seinen Grundwehrdienst für Südkorea im Home-Office bestreitet, Jahre zuvor schon mal nächtelang mit einem schweren Rucksack beladen auf südkoreanischem Boden robbte.
Doch nun im Ernst, lieber Harry. Hoffentlich schluckst Du genügend Vitamin C. Kaust kiloweise Granatapfelkerne und schwarze Johannisbeeren. Trinkst Pink Grapefruit literweise. Presst Dir Sauerkraut und Hagebutten in den Mund. Denn eines kann sich der FC Bayern im Moment nicht erlauben – dass Du Dich erkältest, dass Du Dich mit einer Grippe oder etwas Ähnlichem rumschleppst, dass Du flachliegst, nachdem Du nun 25 Elfmeter hintereinander verwandelt hast. Auch wenn das beim Anlauf merkwürdig eckig aussieht, so als wärst Du im Theater eine Marionettenfigur, an der ein Puppenspieler zieht. Der Ablauf ist auf den Millimeter exakt. Fast unfehlbar, falls ein Mensch das sein kann.
Wenigstens läufst Du nicht Gefahr, Dich beim Rumstehen zu erkälten. Im Schnitt läufst Du in 90 Minuten 10,13 Kilometer. Das ist für einen Mittelstürmer, ein ungewöhnlich hoher Wert.
Manchmal, glaube ich, bist Du sogar ganz froh, wieder weg zu sein von der englischen Nationalmannschaft, den ganzen Intrigen, der Kritik, dass Du mit 31 zu alt wärst für den Highspeed-Fußball. Dabei haben die Engländer im Rahmen der Nations League sowieso nur in der zweitklassigen B-Liga gespielt, sind gerade erst aufgestiegen, müssen viel nachholen. Wie schön ist es da, bei den Bayern ein bisschen verwöhnt, bzw. wertgeschätzt zu werden. Und einen Trainer um sich herrum zu wissen, für den üble Laune ein Fremdwort ist. Nach dem grüblerischen Thomas Tuchel ist es auffallend, dass Vincent Kompany immer mit einem sanften Lächeln um die Lippen spielt, dass er so schnell nicht aus der Fassung zu bringen ist. Das war es wohl, was den Bayern-Patron Uli Hoeneß zuletzt zu Gefühlsausbrüchen hingerissen hat – weil der Belgier den sprichwörtlichen bayerischen Grant aus der Säbenerstraße vertrieben hat. Weil selbst eine Niederlage bei den unglaublich heimstarken Dortmundern den Klub nicht in den Abgrund reißt.
Was gäbe es Schöneres für Dich, lieber Harry, als gegen die schwarzgelbe Wand des Signal-Iduna-Parks – unter einem gellenden Pfeifkonzert – zum Elfmeter anzulaufen. Falls sich der Schiedsrichter überhaupt einen zu pfeifen traut.
Eines steht jedenfalls fest: Die Borussia ist trotz des Zehn-Punkte-Rückstands der schwerere Gegner als Leverkusen, Frankfurt oder Leipzig. Trainer Nuri Sahin gelingt es immer mehr, die Baustelle BVB zu sanieren.
Doch das schert Dich wenig, lieber Harry. Auch wenn es Dir kaum gelingen wird wieder drei Tore zu erzielen – wie vor einem Jahr beim 0:4. Es sei denn, es gibt drei Elfmeter.
An der Säbenerstraße wird lieber gelacht über folgenden Witz: Der gefeuerte HSV-Trainer Steffen Baumgart hat sich als Co-Trainer bei Bayern beworben. Weil er in der größten Kälte nur halb angezogen ist. Harry: Der hat Dich noch nicht gesehen.
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