Martin Schlegel startet mit einem Paukenschlag. Beim ersten Zinsentscheid unter seiner Präsidentschaft senkt er den Leitzins stärker als erwartet. Ob die Strategie aufgeht, ist keineswegs sicher.
So schnell kann es gehen. Noch vor zwei Jahren war die Schweizerische Nationalbank (SNB) vor allem damit beschäftigt, mit Zinserhöhungen die damals zu hohe Inflation in den Zielbereich von 0 bis 2 Prozent zu drücken. Heute dominiert die umgekehrte Sorge. Nachdem die Inflation wieder gesunken ist, befürchtet man eine zu tiefe Teuerung – und damit eine Rückkehr zu Null- oder gar Negativzinsen. Um dies zu verhindern, hat die SNB den Leitzins um überraschend hohe 0,5 Prozentpunkte auf 0,5 Prozent gesenkt.
Keine Krisensituation
Eine Zinssenkung war zwar erwartet worden. Die SNB hatte einen solchen Schritt bereits vor drei Monaten angedeutet – und ihre Absicht mehrfach bestärkt. Die meisten Ökonomen hatten aber nur mit einer Reduktion um 0,25 Prozentpunkte gerechnet. Eine solche Schrittlänge entsprach in der Vergangenheit der Norm. Eine Zinssenkung um 50 Basispunkte wurde hingegen zumeist nur dann vorgenommen, wenn sich die Konjunktur sehr rasch eintrübte und die Preisstabilität bedrohte – etwa aufgrund einer Finanzkrise, einer Rezession oder einer deutlichen Überbewertung des Frankens.
Nichts davon ist derzeit zu beobachten: Die Finanzmärkte sind gut gelaunt. Die Schweizer Wirtschaft wächst zwar unterdurchschnittlich, ist aber weit von einer Rezession entfernt. Die Inflation – der wichtigste Indikator für die Nationalbank – liegt mit 0,7 Prozent komfortabel im geldpolitischen Zielbereich. Und der Franken ist nominal zwar erstarkt, doch bereinigt um die tiefere Teuerung in der Schweiz entwickelt sich der reale Wechselkurs erstaunlich stabil – selbst die Industrie klagt kaum noch über einen überbewerteten Franken.
Warum also dieser Paukenschlag? Warum diese Dringlichkeit? Es ist zu befürchten, dass die Wirkung der markanten Zinssenkung eng begrenzt bleiben wird. Ein Investor, der in diesen global unsicheren Zeiten einen sicheren Hafen für sein Geld sucht, wird sich wegen einer leicht tieferen Verzinsung nicht vom Franken abschrecken lassen. Entsprechend dürfte die Auswirkung des Zinsschritts auf den Frankenkurs kaum nachhaltig sein. Die Erfahrung zeigt, dass die mit solchen Lockerungen angestrebte Abwertung rasch wieder verpufft.
Neue Führung, neuer Kurs?
Gewiss, guter Rat für das derzeit billige Geld ist teuer. Martin Schlegel stand bei seiner ersten Lagebeurteilung als SNB-Präsident vor einer schwierigen Ausgangslage: Denn die Inflation fiel in jüngerer Vergangenheit stärker als prognostiziert. Ob beim Erdöl, im Tourismus, bei verarbeiteten Lebensmitteln oder bei den von Notenbanken so gefürchteten Zweitrundeneffekten: Überall ist der Inflationsdruck geringer als erwartet. Und 2025 dürften niedrigere Strompreise und Bestandesmieten den Trend noch verstärken.
Doch die SNB hat ein Problem: Viel zinspolitischer Spielraum zum Gegensteuern existiert nicht, das Zinsniveau liegt schon bedrohlich nahe bei null. Was in einer solchen Situation zu tun ist, ist umstritten: Die einen empfehlen, sich den wenigen Spielraum zu erhalten und auf grosse Schritte zu verzichten. Die anderen fordern, ein starkes Signal zu setzen und die Zinsen deutlich zu senken – dies mit der Begründung, dass ein Zuwarten das Risiko erhöhe, später mit einer noch stärkeren Zinssenkung korrigieren zu müssen.
Die SNB hat sich – offenbar nach längerem Hin und Her – für die zweite Variante entschieden. Ob sie damit richtig liegt und mit diesem grossen Schritt einen Rückfall in ein Regime mit Negativzinsen oder massiven Devisenkäufen verhindern kann, wird sich zeigen. Noch ist es zu früh, um den Stab über die neue Führung zu brechen. Es lässt sich aber feststellen, dass die neu zusammengesetzte Direktion in einem Dilemma die expansivere von zwei Varianten gewählt hat. Ob sich daraus Rückschlüsse auf eine künftig lockerere Geldpolitik ziehen lassen, dürfte an den Märkten noch zu reden geben.
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