Auf der Tagesordnung des Bundestag steht in nüchternem Beamtendeutsch: „13 Uhr: Beratung des Antrags des Bundeskanzlers gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes, Drucksache 20/14150 – Namentliche Abstimmung“. Klingt nicht gerade aufregend.
Dabei ging es um eine höchst politische, für die rot-grüne Rumpfkoalition keineswegs rühmliche Angelegenheit: Der mit seiner Ampel-Koalition gescheiterte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stellte die Vertrauensfrage. Mit dem Ziel, auf diese Weise den Weg freizumachen für Neuwahlen.
Theaterstück im Bundestag
Das Ganze glich einem Theaterstück, dessen Ausgang man kennt. Dass außer der SPD-Fraktion und ein paar versprengten AfD-Abgeordneten niemand aus den Reihen von CDU/CSU und FDP Scholz das Vertrauen aussprechen würde, stand fest. Ebenso die Enthaltung der Grünen, womit die angestrebte Abwahl gesichert war.
Auch in dieser Plenarsitzung kam es, wie bei jedem Schauspiel auf die Inszenierung an. Und die war überwiegend auf schwere Säbel angelegt, nicht auf Florett.
Als SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich nach einer Stunde mahnte, eine Debatte zur Vertrauensfrage erfordere „Würde und Anstand“, war es bereits zu spät. Auch Mützenich verstieß mit seinen Attacken auf die FDP gegen die eigene Forderung.
Scholz richtet sich nicht an den Bundestag, sondern die Bürger
Die Hauptrollen in diesem Stück waren mit dem Noch-Kanzler und seinem Herausforderer Friedrich Merz (CDU) besetzt. Scholz hielt eine Wahlkampfrede. Sein Appell, „lassen Sie uns im Wahlkampf ehrlich miteinander sein“, ging zu Recht in schallendem Gelächter unter.
Aufschlussreich, dass Scholz in seiner Rede nicht – wie im Bundestag üblich – die Damen und Herren beziehungsweise die Kolleginnen und Kollegen im Plenarsaal adressierte. Zwischendurch sprach er immer wieder die Bürgerinnen und Bürger direkt an, ganz so, als säße halb Deutschland vor dem Bildschirm.
Scholz hätte dieselbe Rede auf jedem Marktplatz halten können. Doch gab er nicht den wütenden, wild um sich schlagenden Kirmesboxer wie nach dem Rauswurf von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Auf Tiefschläge gegen die FDP wollte er aber nicht verzichten.
Ohne Lindner namentlich zu erwähnen, philosophierte Scholz darüber, dass Politik kein Spiel sei. Und: Zum Regieren brauche man „sittliche Reife“ und Verantwortung. Offenbar hatte Scholz trotz erst kürzlich bemerkt, dass dem Koalitionspartner dies seit Ende 2021 gefehlt haben soll.
Merz verteidigt Lindner
Der FDP-Vorsitzende Lindner ging auf die Scholz-Attacken erst gar nicht ein, demonstrierte so, über dessen persönlichen Angriffen zu stehen. Die Verteidigung von Lindner übernahm überraschenderweise Merz und sagte zu Scholz: „Das, was Sie an die FDP und Christian Lindner hier heute adressiert haben, ist nicht nur respektlos, sondern eine blanke Unverschämtheit“.
Scholz trat auf wie ein überaus erfolgreicher Kanzler, der ganz überraschend und unverschuldet plötzlich ohne Mehrheit dasteht. Er malte ein insgesamt rosiges Bild der Bundesrepublik. Die schwerste Wirtschaftskrise seit zwei Jahrzehnten und die rückläufige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie kamen darin nicht vor.
Merz verpasste freilich die Chance, sich im Kontrast zu Scholz als ein potentieller Kanzler mit einem klaren Zukunftsprogramm zu präsentieren. Merz begnügte sich in erster Linie mit der Rolle des Oppositionsführers, der die Regierung scharf attackierte.
Habeck teilt gegen Union aus
Scholz sprach, wie schon im Wahlkampf 2021, viel von Respekt. Das gab Merz Gelegenheit, dem Kanzler dessen „Lüge“ vorzuhalten, die CDU/CSU wolle Renten kürzen. Merz: Des Kanzlers Respekt ende bei anderen politischen Ansichten.
Die Schlachtordnung in diesem Stück war klar: Jeder gegen jeden und alle – mit Ausnahme der FDP – gegen die CDU/CSU. Der Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck versuchte sich in seiner Lieblingsdisziplin: Mit einer Neuwahl werde sich nicht alles von heute auf morgen plötzlich positiv verändern. Doch hielt er den Versuch, über parteipolitischen Niederungen zu schweben, nicht lange durch.
Recht bald ging auch mit dem Wirtschaftsminister der Wahlkämpfer durch. Die CDU stehe für unsolide Finanzen, ein Ende von Klima- und Naturschutz und die Bevorzugung derer, die schon alles haben. Wenn Habeck den Eindruck vermeiden wollte, er bemühe sich um einen Platz in einem Kabinett Merz, ist ihm das gelungen.
Tiefpunkt: Rede von AfD-Mann Chrupalla
Für den absoluten Tiefpunkt der Debatte sorgte – nicht unerwartet – der Co-Vorsitzende AfD. Tino Chrupalla lobte zunächst Scholz ob dessen „Besonnenheit“, der Ukraine keine Taurus-Marschflugkörper zu liefern. Das müsste dem Noch-Kanzler eigentlich peinlich sein.
Dann zog Chrupalla über die „Kriegsverliebten“ in CDU/CSU, Grünen und FDP her. Bei einem Kanzler Merz, so der Anführer der Rechtsaußen, „können wir unsere Kinder auf dem Friedhof besuchen“. Im Kreml dürften sie begeistert genickt haben.
Manche Politiker und Kommentatoren bezeichneten die Sitzung zur Vertrauensfrage – die sechste in der Geschichte der Bundesrepublik – bereits vorab als historisch.
Eine Sternstunde des Parlamentarismus war diese mehr als dreistündige Auseinandersetzung nicht. Dafür war sie zu sehr vom Wahlkampf geprägt.
Apropos historisch: Der 16. Dezember bedeutet das Ende der als Fortschrittskoalition gestarteten Ampel. Es darf jedoch bezweifelt werden, dass Historiker dem gescheiterten rot-gelb-grünen-Bündnis in künftigen Geschichtsbüchern mehr einräumen werden als eine Fußnote.
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