Schweiz
«Sugus»-Kündigung: Alleinerziehender Vater hat schlaflose Nächte – doch es gibt Hoffnung
Nach der Leerkündigung dreier Häuser der «Sugus»-Siedlung bleiben die Sorgen der betroffenen Mietenden gross. Nach einem Info-Anlass schöpfen einige von ihnen jedoch Zuversicht.
Der Mieter-Horror
Auch zwei Wochen, nachdem die Kündigungen in den drei «Sugus»-Häusern an die Öffentlichkeit gelangt sind, sitzt der Schock bei den Mietenden tief.
Besonders einschneidend ist die Kündigung für Felix Brunner (Name der Redaktion bekannt). Der alleinerziehende Vater ist erst vor einem Jahr mit seinen Töchtern im Primarschul- und Teenageralter in eine der «Sugus»-Wohnungen gezogen. Vier Zimmer, rund 1800 Franken Mietzins. Viel mehr liegt für den selbstständig Erwerbenden nicht drin, wie er im Gespräch mit watson sagt.
Brunner gehört zu 105 Mietparteien, die auf Ende März die Kündigung erhalten haben. Insgesamt sind weit über 200 Personen betroffen.
Die drei «Sugus»-Häuser gingen nach dem Tod des bekannten Bauunternehmers Leopold Bachmann als Erbe an seine Tochter Regina. Diese setzte diesen Herbst die Allgood Property AG als neue Verwaltung ein, welche in der Folge die Kündigungen aussprach.
Die Wohnungen seien in einem schlechten Zustand und müssten totalsaniert werden, heisst es im Kündigungsschreiben als Begründung.
Ganz anders sehen dies die Mietenden und auch Architekt Jürg Fontana. Für Jürg Fontana, Wohnberater des Zürcher Mieterinnen- und Mieterverbandes, gibt es keinen Grund für eine Totalsanierung. Seiner Meinung nach handelt es sich dabei um eine Gewinnmaximierung, die es erlaubt, durch Leerstände mehr Miete zu verlangen.
Brunner gehört zu zwei Mietparteien in den betroffenen «Sugus»-Häusern, die exklusiv für watson anonym ihre Türen geöffnet und ihre Wohnungen von Fontana unter die Lupe nehmen lassen haben. Beim Gespräch in seiner Wohnung macht Felix Brunner einen erschöpften Eindruck. Das kommt nicht von ungefähr.
Vor fünf Jahren haben sich Brunner und seine Ex-Frau getrennt. Zuvor lebte die Familie seit 2008 in einer Wohnung gleich gegenüber der «Sugus»-Häuser. Die Töchter würden fortan mehrheitlich bei ihm leben, so die Vereinbarung. «Also begann 2018 die Wohnungssuche», so Brunner.
Er fand im Kreis 6 eine «schöne, günstige Wohnung». Für seine Töchter sei es jedoch «schlimm» gewesen. Zu langer Schulweg, entwurzelt vom ehemaligen Quartier, weg von der Mutter, weg von den Freunden. Brunner musste handeln.
Die nächste neue Heimat wurde 2019 eine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung bei der Josefwiese. «Die war klein und teuer, aber immerhin waren meine Töchter wieder in ihrem Umfeld, das sie seit Geburt kannten.»
Ein halbes Jahr später eröffnete sich Brunner die Möglichkeit, in der Nähe eine viel geräumigere und erst noch günstigere Eigentumswohnung eines Bekannten zu mieten. Allerdings bestand diese praktisch nur aus einem grossen Raum. Ähnlich wie ein Loft. Es war keine Wohnsituation, die sich für eine Familie langfristig eignete. Brunner sagt:
«Als meine ältere Tochter in die Pubertät kam, wünschte sie sich mehr Privatsphäre, was ich absolut verstehen konnte.»
Mit viel Glück fand er 2023 an der Limmatstrasse eine passende Wohnung. Diese war allerdings befristet, weil eine Kernsanierung bevorstand. Nach zwölf Monaten ging die Suche nach einem Dach über dem Kopf erneut los.
«Ich habe mich über die Jahre per Brief immer wieder bei der Verwaltung der «Sugus»-Häuser gemeldet», sagt Brunner. Er habe schon immer dort wohnen wollen.
Kündigung ist Thema auf dem Pausenplatz
Aus dem Nichts kam im vergangenen Jahr der rettende Anruf, eine Wohnung war vakant. Er und vier andere Parteien gingen zur Besichtigung, leider hatte er kein Glück, die Wohnung ging an jemand anderes.
Brunner war verzweifelt. Lange konnte er an der Limmatstrasse nicht mehr bleiben. Die ältere Tochter litt bereits zuvor so stark unter der Situation, dass sie sich in psychologische Behandlung begeben musste.
Dann ein zweiter Anruf. Sehr kurzfristig, Ende 2023, wurde eine Vier-Zimmer-Wohnung in der «Sugus»-Siedlung frei. Brunner zog sofort ein, war erleichtert, überglücklich und versprach seinen Töchtern:
«Das war die letzte Züglete, hier bleiben wir, bis ihr gross seid.»
Sie machen die Wohnung zu ihrem Zuhause. Sofa und Klavier kommen rein, die Familie streicht die Wände, die Mutter ist ganz in der Nähe, «alles war perfekt».
Ein Jahr später der Brief von der Allgood Property GmbH, der neuen Verwaltung der «Sugus»-Häuser. Kernsanierung. Kündigung per Ende März. Brunner ist am Ende, hat zahlreiche schlaflose Nächte, weiss nicht mehr, wie weiter.
Das Gedankenkarussell dreht. Hätte er die erste Wohnung in der Siedlung erhalten, könnte er jetzt bleiben. Sie fällt in die Erbmasse eines der beiden Bachmann-Söhne und bleibt mit der alten, allseits beliebten, Verwaltung bestehen. Das bestätigt die SIMO Immobilien GmbH auf ihrer Webseite.
Auch Brunners Mädchen sind wütend und traurig. Eine der besten Freundinnen der älteren Tochter wohnt mit ihrer Familie im selben Haus. Sie weint den ganzen Tag, als sie von der Kündigung erfährt. Die Kündigung der «Sugus»-Häuser ist sogar Thema auf den Pausenplätzen in den umliegenden Schulen.
«Es fühlt sich ungerecht an», sagt ein konsternierter Brunner. Die Schweiz habe bestimmt, dass mit Wohneigentum nicht spekuliert werde, «doch das System mit dem Referenzzinssatz scheint nicht mehr zu funktionieren».
«Perfekt und absolut fair»
Auch Alexandra Steffen (Name der Redaktion bekannt) ist niedergeschlagen. «Die Situation beschäftigt mich sehr», sagt sie, als sie watson durch ihre Wohnung führt. «Als der eingeschriebene Brief kam, dachte ich an die zuvor von der neuen Verwaltung angekündigte Mietzinserhöhung, aber nicht an die Kündigung.»
«Bislang war die SIMO Immobilien GmbH für die «Sugus»-Häuser zuständig», sagt Alexandra Steffen. Es sei alles «perfekt und absolut fair» gewesen. «Als ich vor sieben Jahren einzog, erhielt ich einen neuen Geschirrspüler und eine neue Waschmaschine. Nach einigen Jahren stieg der Kühlschrank aus, er wurde zügig und unkompliziert ersetzt.»
Steffen bezahlt für ihre Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung mit Waschturm 1675 Franken Miete. «Wegen der Bahngeleise ist es manchmal etwas laut, im Sommer zudem ziemlich heiss. Ansonsten gibt es jedoch gar nichts an der Wohnung auszusetzen.»
Deswegen hat sie nicht vor, aufzugeben. Und auch Felix Brunner gibt sich kämpferisch. Aus gutem Grund.
Die Hoffnung
Montagabend, 18.30 Uhr. Im Zollhaus findet ein Info-Anlass statt. Walter Angst, Experte des Zürcher Mieterverbandes, erklärt den betroffenen Mietenden, wie sie die Kündigung anfechten können und welches weitere Vorgehen der Mieterverband mit den «Sugus»-Häusern plant. Gemeinsam mit Anwältinnen und Anwälten beantwortet der ehemalige AL-Gemeinderat zudem offene Fragen.
Auch Alexandra Steffen und Felix Brunner wohnen der Veranstaltung bei. Brunner fährt es richtig ein:
«Man hat das Ausmass dieser Kündigungen erstmals so richtig gesehen. Mir wurde fast schlecht. Der Raum war proppenvoll, fast alle Parteien waren da. Ein alter Mann am Stock, einer im Rollstuhl, zahlreiche Familien mit Migrationshintergrund. Viele Menschen, die vor viel grösseren Schwierigkeiten stehen als meine Töchter und ich.»
Doch durch den Anlass schöpfte Brunner neue Hoffnung. Angst und die Anwälte teilten den Anwesenden mit, dass es sich um eine missbräuchliche Kündigung handeln könnte und die Chance bestehe, dass sie in ihren Wohnungen bleiben könnten. «Sie sagten uns, dass wir uns vorerst keine neue Wohnung suchen sollten.»
Brunner kann erstmals seit Wochen wieder etwas ruhiger schlafen. Nun blickt er einigermassen optimistisch in die Zukunft. «Ich habe mir so viel Mühe gegeben, eine für meine Kinder passende Wohnung zu finden. Müssten wir hier gehen, würden wir alle ein Stück Heimat verlieren.»
Auch Steffen atmet auf. «Der Info-Anlass machte etwas Hoffnung.» Für sie ist seit dem Einzug klar:
«Ich möchte für immer hier wohnen bleiben.»
Steffen kann mit dem Velo zu ihrer Arbeitsstelle fahren, ihre Freunde leben im Quartier, sie engagiert sich gemeinsam mit Nachbarinnen und Nachbarn.
«Die «Sugus»-Siedlung ist toll, bunt, divers», erzählt Steffen. «Als der Hausabwart vor einigen Jahren in Pension ging, haben wir Geld für ein Geschenk gesammelt und ein Abschiedsfest organisiert. Wo sonst gibt es das?»
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