Dass es bei der traditionell letzten Station in einem Kalenderjahr auf der selektiven Stelvio-Piste wohl eher keinen Zufallssieger geben wird, zeigten aber die Trainingsläufe. Denn die ohnehin schon herausfordernde WM-Strecke von 1985 und 2005 präsentiert heuer ihre brutale Seite. Im zweiten Training am Freitag wurde mit dem Franzosen Cyprien Sarrazin ein heißer Kandidat auf den Sieg mit einem schweren Sturz ein Opfer der Stelvio. Der Italiener Pietro Zazzi erlitt außerdem einen Schien- und Wadenbeinbruch, der Schweizer Josua Mettler verletzte sich bei einem Sturz am rechten Knie.
Sarrazin hatte nicht nur das Donnerstag-Training für sich entschieden, sondern im Vorjahr auch die Abfahrt gewonnen. Diesmal hob Sarrazin bei der Einfahrt in den Schlussteil ab und schlug aus großer Höhe heftig mit dem Rücken und dem Kopf auf der vereisten Piste auf. Der Franzose schlitterte regungslos den Steilhang hinunter, durchschnitt mit seinen Ski das Sicherheitsnetz und wurde per Hubschrauber ins Spital gebracht. Dort stellten die Ärzte ein Subduralhämatom (Hirnblutung) fest. Sarrazin wurde noch am Freitagabend operiert.
AP/Alessandro Trovati
Die Trainingsbestzeit des Kanadiers Cameron Alexander rückte daher in den Hintergrund. „Wenn es einen anderen so zerlegt, gibt es Wichtigeres“, sagte auch Vincent Kriechmayr, der unmittelbar hinter Sarrazin gestartet und abgewunken worden war. Sarrazins Teamkollege Nils Allegre nahm die Organisatoren in die Pflicht. „Meiner Meinung nach wissen sie nicht, wie man eine Piste präpariert“, kritisierte der 30-Jährige die ruppige und eisige Piste, auf der 2026 auch um Olympiagold gefahren wird, scharf: „Ich weiß nicht, was man beweisen will, aber sie haben sich Olympiarennen nicht verdient.“
Guter Boden, starker Babinsky
Kriechmayr, 2022 Österreichs bis dato letzter Sieger in Bormio, hielt sich mit Kritik zurück. Denn der Oberösterreicher fühlt sich auf einer der schwersten Pisten im Weltcup wohl. So wie Rot-Weiß-Rot generell: In bisher 31 Abfahrten auf der Stelvio im Weltcup stand bisher 15-mal ein Österreicher auf der obersten Stufe des Podests. 2012 teilte sich Hannes Reichelt diese mit Bormio-Rekordsieger Dominik Paris. Der Südtiroler gewann auf seiner Lieblingsstrecke in der Heimat bisher sechs Abfahrten und einen Super-G. Apropos: Von den bisher acht Super-Gs gingen ebenfalls drei – und zwar gleich die ersten drei Ausgaben – an Österreich.
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Was ist für Ski Austria in der WM-Saison drin?
Aus österreichischer Sicht empfahl sich vor allem Stefan Babinsky mit Platz drei im Training hinter Alexander und dem Schweizer Stefan Rogentin, den ersten ÖSV-Podestplatz in der Abfahrt in dieser Saison einzufahren. Im Super-G steht der dritte Platz von Lukas Feurstein in Beaver Creek in der österreichischen Bilanz. Der Vorarlberger muss Bormio aber aufgrund einer Handoperation auslassen. „Ich habe versucht, Gas zu geben, um zu sehen, wie es sich anfühlt“, sagte Babinsky. Sein Gefühl auf der „schwierigen, knackigen und anspruchsvollen Strecke“ sei ein gutes.
ÖSV-Cheftrainer Marko Pfeifer setzt in der Podestfrage vor allem auf Kriechmayr und hofft zudem auf Babinsky. „Die Jungen sollen nicht sinnlos riskieren, da sind die Ziele kleiner zu setzen.“ Sein Team sei nach Ausfällen jedenfalls dünn aufgestellt. Daniel Hemetsberger nährte als Neunter im zweiten Training aber immerhin ebenfalls die Hoffnungen auf einen Spitzenplatz. Otmar Striedinger schwang zudem im ersten Training am Donnerstag als Elfter ab. Eichberger, zuletzt in Gröden mit hoher Nummer Sechster, fuhr am Freitag auf Rang 21, seine Teamkollegen Stefan Rieser (18.) und Vincent Wieser (19.) waren noch etwas schneller.
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„Kein Kindergeburtstag“
Nicht nur in der Hoffnung auf ein Ende der Podestflaute, auch im Zugang zum Rennen waren sich die ÖSV-Abfahrer einig: Zu viel Respekt vor der Stelvio sei teilweise genauso gefährlich wie zu viel Risiko. Schon im Training sei es wichtig gewesen, auf Anschlag zu fahren, so Kriechmayr: „Das ist von der Spannung her angenehmer.“ Auch Hemetsberger nahm etwa die Stelle, an der Sarrazin so schwer gestürzt war, im Renntempo. „Es ist ein Fahrfehler (von Sarrazin, Anm.) gewesen. Das ist das einzige, was mich interessiert. Daher bin ich normal reingefahren“, sagte der Oberösterreicher.
Striedinger hob hervor, dass viel auch auf die richtige Materialwahl ankommen werde. „Es ist sehr unterschiedlich – eisig und unruhig, an vielen Stellen aber auch aggressiv. Bormio ist wie jedes Jahr kein Kindergeburtstag, es geht zur Sache“, meinte der Kärntner. Der 33-Jährige habe bei der Generalprobe im unteren Teil Kräfte gespart. „Heuer fühle ich mich wohler auf der Stelvio und möchte Gas geben“, ließ Striedinger wissen. Nach den ersten zwei nicht so gut von der Hand gegangenen Rennwochenenden stünde man jedenfalls als Team zusammen. Striedinger: „Wir haben einen guten Spirit und werden unseren Weg sicherlich weitergehen – hoffentlich bald erfolgreich.“
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