Warum hat sich Christian Lindner einfach auf Elon Musk geworfen? Auch die FDP rätselte, was hinter dem Musk-Manöver des Parteichefs steckte. Noch eine heitere Provokation? Vom „D-Day“-Debakel ablenken? Beim traditionellen Dreikönigstag der Liberalen in der Stuttgarter Oper verriet Lindner es. Der Parteichef will Wähler von der AfD zurückholen. Es bleibt zu hoffen, dass hier noch ein paar Prozentpunkte gewonnen werden können.
Angesichts der Umfragewerte von rund vier Prozent würde die FDP gerne ein paar Stimmen erhalten. Laut Lindner gehe es um mehr als das, „um den Charakter unserer Demokratie“, wie er in Stuttgart sagte. Wenn Deutschland seine Probleme jetzt nicht löst, wird die Antwort bei der nächsten Bundestagswahl 2029 kommen. Das heißt: Wenn es der demokratischen Mitte nicht gelingt, die Probleme der Menschen zu lösen, würden 2029 noch viel mehr Wähler zur AfD überlaufen , damit endlich, endlich etwas radikal verändert wird. „Es geht um alles“, sagte Lindner. Im AfD-Wählerumfeld würde man „auf viele gemäßigte Wähler treffen“. Es geht also um die Frustrierten, nicht um die Rechtsextremisten.
Es ist Teil der neuen Strategie der FDP, libertäre Signale zu senden
Die FDP will vor allem in der Wirtschaftspolitik liefern, damit es endlich wieder Wachstum geben kann. Das Dumme der Liberalen ist, dass auch Friedrich Merz, der Kanzlerkandidat der Union, große Wirtschaftsreformen fordert. Unter Angela Merkel hatte die FDP weiterhin die ausschließliche Stellung inne, die die Bundesrepublik zur Modernisierung ihrer Wirtschaftspolitik brauchte. Nun konkurrieren die Liberalen mit ihrem Wunschkoalitionspartner um Wähler, weil beide Parteien etwas ganz Ähnliches wollen. Um sich von der Union zu distanzieren, muss der FDP-Parteichef radikaler werden.
Zu dieser FDP-Strategie gehört es, libertäre Signale zu senden. Libertäre sind Maximierer der individuellen Freiheit; Auch bei Rechtspopulisten gibt es sie. Lindner lobt daher Elon Musk, den umstrittenen Unternehmer. Lindner lobt den argentinischen Präsidenten Javier Milei, um Wähler anzulocken, die mit der Kettensäge und dem Schlachtruf „Afuera“ die deutsche Bürokratie niederreißen wollen. Und er nimmt junge Männer ins Visier, die Kryptowährungen mögen, sogenannte Krypto-Brüder, indem er im Bundestag Bitcoin zur Zukunftstechnologie für Deutschland erklärt.
Den FDP-Plänen zufolge soll das Organigramm der Bundesregierung deutlich beschnitten werden
Diese Strategie ist riskant, weil sie die FDP in die Nähe von Problemmenschen wie Musk bringt. Aber Lindner geht Risiken ein, weil er es muss. Die Vier-Prozent-FDP unterscheidet sich von einer Zehn-Prozent-FDP. Nervöser. Aggressiver. Es geht um das Überleben der Partei. Es gibt auch Fahrer innerhalb der Partei. Wegen der Ampelkatastrophe liegen SPD und Grüne bei den FDP-Wählern ganz unten. Insofern ist ein gewisser Rechtsruck in der wirtschaftspolitischen Position der FDP unvermeidlich. Dies war auch 1982 der Fall, als die FDP die Koalition mit der SPD verließ.
In Stuttgart schlug Lindner die Zusammenlegung mehrerer Bundesministerien vor. Er erwähnte die Kettensäge nicht als Symbol des Libertarismus, aber das Organigramm der Bundesregierung würde erheblich beschnitten. Das Entwicklungsministerium solle im Auswärtigen Amt aufgehen, eine alte FDP-Idee. Neu ist Lindners Vorschlag, das Gesundheitsministerium, das Arbeitsministerium und das Familienministerium in einem Sozialministerium zusammenzufassen. Und die Arbeitsmarktpolitik sollte in das Wirtschaftsministerium verlagert werden. „Unser Staat ist weitgehend dysfunktional geworden“, sagte Lindner, „weil er zu groß geworden ist.“
Vieles davon ist ganz normale liberale Wirtschaftspolitik – doch Lindner belässt es nicht dabei
Die Stärkung des Libertarismus verschiebt die wirtschaftspolitische Wahrnehmung der Partei nach rechts. Dadurch wird es für die FDP schwieriger, marktwirtschaftliche Wähler für die SPD zu gewinnen. Und innerhalb der Partei könnten sich die traditionellen Spannungen zwischen den Wirtschaftsliberalen und den Sozialliberalen verschärfen. Die Situation für die Liberalen ist bereits angespannt, weil es auch bei einer Rückkehr in den Bundestag weniger Mandate geben wird. Der Konflikt wird weder offen ausgelebt, noch hält der Wahlkampfdruck die Partei zusammen. Lindner darf die Weichen stellen.
Natürlich machen die Verweise auf Musk und Bitcoin die FDP nicht zu einer libertären Partei. Viele der großen Strukturreformen, die die FDP will, sind ganz normale liberale Wirtschaftspolitik: weniger Bürokratie, Senkung der Sozialversicherungsbeiträge, Senkung der Steuern. Doch Lindner belässt es nicht dabei.
In der FDP sind die libertären Signale umstritten; Lindner hat nicht seine gesamte Partei hinter sich. Viele FDP-Mitglieder betonen derzeit, wie schlimm sie Musks Verhalten finden. Lindner hatte etwas Pech: Unmittelbar nach seinem Lob für Musk begann er, die AfD in Deutschland stärker als je zuvor zu promoten. Andererseits war es keine Überraschung, dass Elon Musk sich selbst als Anführer der libertär-autoritären Internationale sieht. Wer im Marketing auf eine Person setzt wie Lindner auf Musk, läuft immer Gefahr, gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen zu werden, wenn sich die Person abwendet.
Wetten auf Bitcoin sind ähnlich riskant
Lindner verteidigte sich schnell und erklärte, sein Lob bedeute Musks visionäre Stärke, nicht seine politischen Ideen oder seinen politischen Stil. Allerdings erwähnte er Musk erstmals in der Talkshow von Caren Miosga – als er forderte, dass Deutschland bei Wirtschaftsreformen „etwas ehrgeiziger sein“ sollte. Musk ausschließlich als erfolgreichen, ja klimavisionären Unternehmer zu feiern, weil er mit den Mehrwegraketen von Space-X im Grunde das Dosenpfand für den Weltraum erfunden hat, hat sich als naiv erwiesen – ein technischer Fehler im Wahlkampf.
Auch Wetten auf Bitcoin sind riskant. Die Welt der Kryptowährungen fasziniert Millionen Menschen, die eine neue Technologie ausprobieren möchten. Bitcoin-Fans können aber auch ideologisch staatsfeindlich sein, was mit den Werten der FDP unvereinbar ist. Bemerkenswert ist daher eine FDP-Veranstaltung im Bundestag Ende dieser Woche. Die Gruppe hat Bitcoin-Influencer eingeladen, öffentlich mit ihnen zu diskutieren. Dort soll auch Lindner sprechen.
Laut Einladung wird anschließend Marc Friedrich auf der Bühne sitzen. Er betreibt einen YouTube-Kanal mit Hunderttausenden Abonnenten und veröffentlichte nach Weihnachten ein neues Video. Dort durfte ein Gesprächspartner auf Einladung von Friedrich auf die Frage „Warum wurden wir belogen?“ einen „Verdacht“ gegenüber der Corona-Pandemie äußern, was zur meistgesehenen Szene des langen Videos wurde: Der Plan dahinter „sogenannte Pandemie“ sei: „Um den Globus unter Kontrolle zu bekommen“. Und es gibt verlässliche Hinweise darauf, dass die Schuld dafür bei „Eliten im Hintergrund“ liegt, die entweder einen Großteil der Hauptstadt besitzen oder zumindest beeinflussen können – ein gängiger Code in antisemitischen Verschwörungsgeschichten. In diesem Zusammenhang erwähnt der Interviewpartner auch ausdrücklich „die Rothschilds“, eine jüdische Familie.
Würden andere Fraktionen YouTuber in den Bundestag einladen, die auf ihren Kanälen antisemitische Verschwörungsgeschichten verbreiten, wäre die Empörung in der FDP groß. Auf die entsprechende Passage im Video des FDP-Gasts angesprochen, sagte der Fraktionschef und Organisator der geplanten Gesprächsrunde, MdB Frank Schäffler: „Ziel der Veranstaltung ist es, auch kritische Stimmen zu Wort kommen zu lassen.“ Marc Friedrich verfügt über eine große Reichweite, die einer Partei im Wahlkampf hilfreich sein kann. Andererseits kann die Nähe zu ihm, wie bei Musk, auch der Partei schaden.
Der Libertarismus der FDP bietet SPD und Grünen eine Angriffsfläche im Wahlkampf. Doch Lindner, der fließend Ironie spricht, nimmt das mit Humor. In Stuttgart sagte er zu Beginn: „Darf ich mich vorstellen, mein Name ist Christian Lindner, ich bin immer noch 45 Jahre alt und offensichtlich der schlimmste Albtraum des linksgrünen Mainstreams in Deutschland.“
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