„Opfer werden oft stigmatisiert, was sie davon abhält, sich zu offenbaren“

„Opfer werden oft stigmatisiert, was sie davon abhält, sich zu offenbaren“
„Opfer werden oft stigmatisiert, was sie davon abhält, sich zu offenbaren“
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Finanzen News Hebdo: Wie definiert die Kif Mama Kif Baba Association digitale geschlechtsspezifische Gewalt im marokkanischen Kontext?

Ghizlane Mamouni: In Marokko manifestiert sich technologiegestützte geschlechtsspezifische Gewalt (TFGBV) in einer Vielzahl beunruhigender Formen. Zu den häufigsten gehören Rachepornos und Sextortion, bei denen Personen damit drohen, intime Fotos oder Videos zu teilen, um ihre Opfer zu manipulieren oder zu erpressen. Auch das nicht einvernehmliche Teilen intimer Fotos und Doxxing, bei dem persönliche Informationen online preisgegeben werden, sind weit verbreitet. Cybermobbing und Mobbing sexueller oder geschlechtsbezogener Natur sind weitere weit verbreitete Formen von TFGBV. Diese Gewalt wird oft auf beliebten Plattformen wie Facebook, Instagram und WhatsApp sowie anderen Instant-Messaging-Diensten und Online-Foren verübt.

Diese Technologien bieten den Tätern Anonymität und eine große Reichweite, um ihre Opfer leichter ins Visier zu nehmen als mit herkömmlichen Mitteln. Ein Beispiel für Racheporno ist, wenn ein Ex-Partner intime Fotos teilt, um sein Opfer öffentlich zu demütigen. So wurden etwa die intimen Fotos einer jungen Marokkanerin nach der Trennung von ihrem Ex-Partner in mehreren Facebook-Gruppen gepostet, was zu sozialer Isolation und erheblichem psychischem Stress führte. Bei Sextortion werden auch Technologien eingesetzt, um die oft jungen Opfer auszubeuten, indem ihnen mit der Veröffentlichung intimer Bilder gedroht wird, wenn sie nicht finanzielle oder sexuelle Forderungen erfüllen. So schickte eine marokkanische Studentin, die von einem gefälschten Instagram-Profil angelockt wurde, ihrem Angreifer intime Fotos. Dieser drohte dann, sie zu veröffentlichen, wenn sie ihm kein Geld schicke, und stürzte das Opfer in eine Spirale aus Angst und Scham.

FNH: Auf welche Schwierigkeiten stoßen marokkanische Frauen, wenn sie digitale Gewalt melden oder anprangern wollen?

Gh. M.: Marokkanische Frauen stehen vor vielen Hindernissen, wenn sie versuchen, digitale Gewalt zu melden oder anzuprangern. Eine der größten Herausforderungen ist das Fehlen spezifischer Gesetze zur Bekämpfung von Online-Gewalt, wodurch die Opfer oft keinen angemessenen Rechtsschutz haben. Das Bewusstsein und die Aufklärung über GBV sind sowohl in der Bevölkerung als auch bei den Behörden unzureichend. Opfer werden oft stigmatisiert und haben Angst vor Repressalien, was sie davon abhält, sich zu offenbaren. Beispielsweise könnte eine junge Marokkanerin, deren intime Fotos als Erpressungsmittel verwendet werden, zögern, Anzeige zu erstatten, da sie Gefahr läuft, nach Artikel 490 des Strafgesetzbuchs angeklagt zu werden, da das Foto als Beweis für eine außereheliche Beziehung verwendet werden kann, was sie einer Strafverfolgung aussetzt. In unserer heutigen Gesellschaft ist digitale Gewalt genauso zerstörerisch wie traditionelle physische oder psychische Gewalt. Das Kontinuum von Online-/Offline-Gewalt fügt Frauen und damit der Gesellschaft als Ganzes erheblichen Schaden zu. Diese Realität erfordert erkennen Sie digitale Gewalt als ein öffentliches Problem an, das anhaltende Aufmerksamkeit und Maßnahmen erfordert.

FNH: Welche Maßnahmen empfiehlt der Verein Kif Mama Kif Baba, um Frauen in Marokko vor digitaler Gewalt zu schützen?

Gh. M.: Um Frauen und Mädchen für die potenziellen Gefahren der Nutzung von Technologie zu sensibilisieren, führt Kif Mama Kif Baba verschiedene Aufklärungs- und Interessenvertretungskampagnen durch, sowohl online als auch offline. Es gibt mehrere Schritte, die Frauen unternehmen können, um sich vor GBV zu schützen. Es ist wichtig, die Datenschutzeinstellungen in sozialen Medien so zu konfigurieren, dass der Zugriff auf persönliche Informationen beschränkt ist und keine Freundschaftsanfragen oder Nachrichten von unbekannten Personen angenommen werden. Die Verwendung starker Passwörter und Zwei-Faktor-Authentifizierung zur Sicherung von Online-Konten ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Es ist wichtig, keine sensiblen persönlichen Informationen online weiterzugeben und über die Rechte und Verfahren zur Meldung von Missbrauch informiert zu sein. Kif Mama Kif Baba unterstützt Opfer von GBV durch eine Vielzahl von Ansätzen. Unsere Unterstützungsdienste bieten Beratung und Coaching an, um Opfern zu helfen, das erlebte Trauma zu überwinden. Wir haben auch Selbsthilfegruppen eingerichtet, in denen Opfer ihre Erfahrungen austauschen und Trost und gegenseitige Hilfe finden können. Wir verweisen Frauen und Mädchen, die Opfer von GBV sind, an feministische Vereinigungen, die ihnen Rechtsbeistand leisten und es ihnen ermöglichen, ihre Rechte zu verstehen und Beschwerden einzureichen.

Parallel dazu plädieren wir dafür, Druck auf die Behörden auszuüben, damit diese die Gesetzgebung und den Opferschutz verbessern und mit anderen Organisationen und Institutionen zusammenarbeiten, um ein sichereres Umfeld für alle zu schaffen. Es ist zwingend erforderlich, dass sich die Behörden fest dazu verpflichten, robuste Präventions- und Schutzmaßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, und dass sie die Angreifer angemessen bestrafen, um der Straflosigkeit, die mit diesen Taten oft einhergeht, ein Ende zu setzen. Es müssen umfassende und integrierte Strategien zur Bekämpfung digitaler Gewalt entwickelt und deren Umsetzung streng überwacht werden. Es ist auch von entscheidender Bedeutung, weiblichen Opfern digitaler Gewalt kostenlose und multidisziplinäre Dienste anzubieten, um ihnen in verschiedenen Regionen die notwendige Unterstützung zu bieten. Die Umsetzung bestehender Rechtstexte muss auf eine Weise erfolgen, die die Würde der Opfer wahrt und gleichzeitig die Verfahren zur Einreichung von Beschwerden in Bezug auf digitale Gewalt vereinfacht. Schließlich ist es notwendig, sich für die Hinzufügung neuer Rechtstexte einzusetzen, die digitale Gewalt, ihre Erscheinungsformen und Beweismittel klar definieren, sowie für die Schaffung einer elektronischen Plattform zur Meldung digitaler Gewalt und Einreichung von Beschwerden, um den Opfern den Zugang zur Justiz zu erleichtern.

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