„Belgien ist kein attraktives Land mehr für Unternehmen“

„Belgien ist kein attraktives Land mehr für Unternehmen“
„Belgien ist kein attraktives Land mehr für Unternehmen“
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Laut dem Ökonomen Geert Noels steht unserem Land weit mehr bevor als nur eine Haushaltskonsolidierung. Wir halten unseren Wohlstand für selbstverständlich, deshalb möchte niemand mehr Risiken eingehen… Nur diese Kombination ist nicht tragbar. Belgien muss den Unternehmergeist wiederentdecken.

Konnte Belgien seine Haushaltskatastrophe in den letzten Jahren noch mit der Gesundheitskrise oder dem Krieg in der Ukraine rechtfertigen, ist die Zeit der Ausreden heute vorbei. Die Europäische Kommission hat uns ein Sparregime auferlegt. Es wird eine Operation in der gleichen Größenordnung sein wie die Rezessionen der 1980er und 1990er Jahre. Damals der globale Plan von 1993, mit dem der damalige Premierminister Jean-Luc Dehaene unser Land in die Europäische Währungsunion führte Sie hatte Aufmerksamkeit erregt. Heute wie gestern ist es erneut Europa, das uns zur Vernunft zurückbringen muss. „Es mag zynisch klingen, aber in Belgien müssen wir fast auf starken Druck aus Europa oder den Finanzmärkten hoffen, Reformen umzusetzen“, erklärt Ökonom Geert Noels, Gründer und Geschäftsführer der Vermögensverwaltungsgesellschaft Econopolis.

Ein weiterer belgischer Klassiker ist die Suche nach neuen Steuern zur Schließung von Haushaltsdefiziten. Im Wahlkampf war beispielsweise von einer Millionärssteuer die Rede. „Belgien ist immer noch dabei, eine neue Steuer zu erfinden“, sagt Geert Noels. „Unser Land ist das perfekte Museum aller möglichen Steuern, die bereits auf der Welt erfunden wurden. Dieses Mal steht die Vermögenssteuer im Mittelpunkt, aber davon gibt es in unserem Land bereits mehr als genug, glaubt Noels. „Wir führen die OECD-Rangliste für die Einnahmen aus der Vermögenssteuer im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) an. Darüber hinaus relativiert ein aktueller Bericht des Planungsbüros die Erwartungen in Bezug auf die Vermögenssteuer.“

Dass Arbeitseinkommen stärker besteuert wird als Kapitaleinkommen, ist insbesondere für Unternehmer keine gute Ausrede. „Wenn ein Unternehmen Gewinn macht – was die erste Herausforderung darstellt –, zahlt es Körperschaftssteuer. Wird der verbleibende Gewinn in Form von Dividenden ausgeschüttet, unterliegt er der Quellensteuer, deren Satz sich seit 2011 auf 30 % verdoppelt hat. Vergleicht man die Gesamtsteuerbelastung von Unternehmen mit den höheren Steuersätzen natürlicher Personen, Wir sehen ein Gleichgewicht. Darüber hinaus profitieren Sparkonten von einer Steuerbefreiung. Und der Finanzminister Vincent Van Peteghem veröffentlichte einen staatlichen Gutschein, der einen auf 15 % reduzierten Quellensteuersatz vorsah. Daher werden risikofreie Anlagen gegenüber risikoreichen Anlagen bevorzugt. Es sollte daher nicht überraschen, dass niemand ein Risiko eingehen und ein Unternehmen gründen möchte, um Arbeitsplätze und Wohlstand zu schaffen.“

Unternehmertum in Belgien

Denn gerade dieser letzte Punkt stellt laut Geert Noels das eigentliche Problem dar. „Belgien ist kein attraktives Land mehr für Unternehmertum. Nach Angaben der Belgischen Nationalbank werden die meisten neuen Arbeitsplätze im öffentlichen bzw. staatlich subventionierten Sektor entstehen. Unsere Wettbewerbsfähigkeit nimmt weiter ab. In fast allen internationalen Rankings fallen wir weiter ab. Und die Brüsseler Börse leert sich, ein Zeichen mangelnder wirtschaftlicher Dynamik. Die aktuelle Situation ähnelt unserer Situation Ende der 1970er Jahre. Wer möchte noch in das Wachstum eines jungen Unternehmens investieren und es an die Börse bringen? Wer möchte in Belgien noch Risiken eingehen?

Diese Risikoaversion ist sogar zu einer Kultur geworden, die in die Politik eindringt. „Wäre Google ein belgisches Unternehmen gewesen, hätte die Debatte über die Einführung einer Google-Steuer zweifellos während des Wahlkampfs gewütet. Wenn jemand Risiken eingeht und einen Mehrwert schafft, fragen wir uns sofort, wie wir ihn besteuern sollen. Diese Mentalität gibt es nicht nur in Belgien. Ganz Europa ist in die gleiche Richtung entgleist. Wir halten Wohlstand für selbstverständlich. Wohlstand dient lediglich der Besteuerung, um die Gesellschaft und den Staatsapparat über Wasser zu halten. Unterdessen nimmt die Bedeutung Europas in der Weltwirtschaft und auf den Finanzmärkten ab.

Belgischer Korporatismus

Dass die Umstrukturierungen der 1980er- und 1990er-Jahre endlich Früchte trugen, sei nicht nur den erzielten Einsparungen zu verdanken, so Noels. „Dann begannen die Politiker zu erkennen, wie wichtig ein gesundes Unternehmensnetzwerk für den Wohlstand ist. Sparmaßnahmen belasten kurzfristig die Wirtschaft. Entlasten sie aber die Unternehmen und schaffen Arbeitsplätze, wird das Selbstvertrauen von Unternehmen und Familien gestärkt und die Wirtschaft schnell angekurbelt. Deshalb müssen wir heute nicht nur den Haushalt konsolidieren, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen. Beides geht Hand in Hand. Sie können sich sogar gegenseitig verstärken, wie in der Ära der Regierungen Martens und Dehaene. Natürlich müssen Reformen fair sein. Die stärksten Schultern müssen die schwerste Last tragen. Vor allem aber braucht Belgien viel mehr Schultern. »

Das heißt aber nicht, dass es in der Geschäftswelt nicht sowohl Brot als auch Butter gibt. Die zunehmende Regulierung ist nicht nur das Werk der belgischen Regierung, der Europäischen Union oder der Gewerkschaften, sondern auch der Lobbyarbeit der Unternehmen. Dieser Berg an Zwängen kommt etablierten Unternehmen zugute, da er neue Marktteilnehmer abschreckt und den Wettbewerb schwächt. Dieser Berg an Vorschriften wirkt also als Barriere und ermöglicht etablierten Unternehmen ein ruhigeres Leben. „Als ich Econopolis gründete, habe ich selbst erlebt, wie schwierig es für Neuankömmlinge ist, in Belgien ein Unternehmen zu gründen“, erklärt Noels. „Viele belgische Branchen weisen ein solches Niveau auf, was teilweise auf den Korporatismus etablierter Unternehmen zurückzuführen ist.“ Der Bericht der Europäischen Kommission über Belgien weist ausdrücklich auf dieses Problem hin.

Die belgische Faulheit zeigt sich auch in den öffentlichen Finanzen. Natürlich müssen wir sparen. Vor allem aber müssen wir unsere Einstellung ändern, sagt Geert Noels. „Belgien setzt immer auf kurzfristige Gewinne. Die Gebühren gelten für später. Erinnern Sie sich an den Verkauf und die Vermietung öffentlicher Gebäude unter der Regierung Verhofstadt (wo öffentliche Gebäude verkauft und sofort wieder vermietet wurden, was sich auf lange Sicht als kostspielige Operation herausstellte, Anm. d. Red.). Weitere Beispiele sind die damalige Abschaffung der Pensionskassen. Ebenso werden Investitionen verschoben, um Platz für laufende Ausgaben zu schaffen. Im Gesundheitswesen beispielsweise müssen Investitionen in die Prävention großen Budgets für Medikamente und Behandlungen weichen. Und die Zahl der Beispiele geht in die Hunderte. Die Regierung versucht, jeden Bürger zum Kunden zu machen. Wir müssen diese Einstellung zu einer Zeit ändern, in der sich die Belastung der Wirtschaft durch den Staat auf fast 55 % des BIP beläuft. Wenn so viele Menschen auf das öffentliche System angewiesen sind, stoßen Reformen auf starken Widerstand. Nicht nur von den Gewerkschaften, sondern auch von den vielen Organisationen, die hierzulande die Interessen ihrer Mitglieder vertreten.

Wirtschaftsstrategie

Laut Geert Noels geht es Europa jedoch nicht viel besser. „China entwickelt seit langem eine Wirtschaftsstrategie, was erklärt, warum es mittlerweile in Sektoren wie künstlicher Intelligenz und Elektroautos die Nase vorn hat.“ In den Vereinigten Staaten wächst dank staatlicher Unterstützung durch den Inflation Reduction Act eine grüne Industrie. Und Europa? Viele Industrien sind aus Europa verschwunden, unsere Verteidigung hinkt hinterher und unsere Energieversorgung bleibt anfällig. Unterdessen streitet Europa über die Verteilung verantwortungsvoller Positionen, etwa über die Wiederernennung von Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin. Dies ist offenbar wichtiger als die Entwicklung einer strategischen Vision. Europa hat keinen Plan. Ich finde das entsetzlich. »

Geert Noels über…

Künstliche Intelligenz. „Was Maschinen und Robotisierung für die Industrie bedeutet haben, wird künstliche Intelligenz (KI) für den Dienstleistungssektor bedeuten: eine solide Steigerung der Produktivität. Doch dann muss Europa seinen Regulierungsreflex drosseln. Wenn wir die KI zu stark einschränken, wird sie nicht tief in den Dienstleistungssektor integriert und die innovativen Durchbrüche werden in den Vereinigten Staaten und China stattfinden.“

Zu Elon Musks 56-Milliarden-Dollar-Kopfgeld: „Ein Vertrag ist ein Vertrag. Andererseits zeigt eine so hohe Prämie, dass Tesla auf eine Person angewiesen ist. Ein solches Unternehmen ist kein nachhaltiges Unternehmen. Außerdem bin ich kein Musk-Fan. In seinen Anfängen als Unternehmer war er noch eine frische und inspirierende Persönlichkeit mit positiven Ideen. Heute sieht er eher aus wie ein dunkler Ritter. Die Farbe des Twitter-Hauses, das heutige X, ist symptomatisch: Sie hat sich von Blau zu Schwarz verändert. Ich frage mich, wie die Börse auf all das reagieren wird.“

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