Unter der Oberbaumbrücke, der grandiosen neugotischen Brücke über die Spree, die die alte Grenze zwischen West-Berlin (Bezirk Kreuzberg) und Ost-Berlin (Friedrichshain) markiert, stehen wir in dieser Oktobernacht Schlange, um das Watergate zu betreten. Das Warten im Dunkeln auf den Eintritt in den berühmten Club ist ein Ritual der Berliner Nacht. Fast ein Übergangsritus von einer Welt in eine andere, der seine genauen Codes hat. Nach bestandenem Bouncer-Test werden die Telefonkameras sorgfältig mit einem blickdichten Aufkleber abgedeckt. Auf den beiden Etagen des Clubs mit seiner riesigen Glasfassade mit Blick auf den Fluss legen an diesem Abend vier Star-DJs unter buntem Neonlicht auf. Wir tanzen, wir toben und wir konsumieren exzessiv, abseits sozialer Netzwerke. Jede Nacht, von Donnerstag bis Sonntag, reißt der Techno-Rhythmus Körper mit sich, trennt Geister und löscht jede Vorstellung von Zeit aus. Dieses Erlebnis, international ein Wahrzeichen der deutschen Popkultur, ist auch ein wesentlicher wirtschaftlicher Gewinn für die Stadt.
Geht diese Ära zu Ende? Watergate, neben dem Berghain einer der berühmtesten Berliner Clubs der Welt, wird nach 22 Jahren seines Bestehens zum Jahresende seine Pforten schließen. Die Ursache: der Schock der Covid-19-Pandemie, der die Dynamik des Berliner Nachtlebens lahmlegte, aber auch die vom Eigentümer der Räumlichkeiten geforderten Mieten, die wie in der gesamten Stadt explodierten. Wilde Renate, eine weitere bekannte Adresse desselben Investors, soll ebenfalls im Jahr 2025 geschlossen werden.
Die Millionen, die Techno jagen, haben ein einfaches Bild. Das ist nur ein Teil der Wahrheit: Historisch gesehen sind Clubs im Zuge ihrer Entwicklung immer in die Stadt abgewandert. Die Schließung von Watergate markiert jedoch eindeutig einen Bruch. Die seit langem verehrte deutsche Hauptstadt „arm, aber sexy“so formulierte es 2004 sein ehemaliger Oberbürgermeister Klaus Wowereit, steckt in der Krise. Als Spiegelbild Deutschlands, das so sehr von der offenen Welt nach dem Fall der Mauer vor gerade einmal 35 Jahren, im Jahr 1989, profitiert hat, hat das liberale Berlin deutlich an Glanz verloren.
Kreuzberg, „es ist ein Horrorfilm“
Von der Zeitung befragt Berliner ZeitungMitte September begründete Ulrich Wombacher, einer der drei Gründer von Watergate, die Schließung des Clubs damit, dass sich vor allem der Bezirk Kreuzberg verschlechtert habe. „Da ist nichts mehr sexy, es ist ein Horrorfilm. (…) Kreuzberg hat ein echtes Drogenproblem, mit viel Obdachlosigkeit, Kriminalität, Dreck und anderen sichtbaren sozialen Missständen. Wenn der Club- und Partytourismus aufhört, ist das offensichtlich.“erklärt der ehemalige DJ. Die Besucherzahlen in den Clubs sind zurückgegangen; Festivals, bei denen große DJs vor einem größeren Publikum auftreten, konkurrieren mittlerweile mit ihnen. „Lange Zeit dachten wir, wir seien unersetzlich. Aber warum sollten Clubs kein vorübergehendes Phänomen sein? „Die Clubkultur ist äußerst fragil“, schneidet Herrn Wombacher, der 2023 seinen 50. Geburtstag feierte.
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