Vor 120 Jahren klagten viele Menschen nach einem Aufenthalt auf der Rigi über eine akute Gastroenteritis. Lange Zeit wurde die Luft in der Höhe für die sogenannte Rigi-Krankheit verantwortlich gemacht, bis ein aufsehenerregender Verleumdungsprozess den Schleier über einen schweren Umweltskandal lüftete.
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10. Januar 2025 – 09:31
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Im Jahr 1900 wurde dem noch wenig Beachtung geschenkt Rigi-Krankheit. Die Bevölkerung wirkte fatalistisch. Diese akute Gastroenteritis befiel Hoteliers, deren Familien und deren Mitarbeiter häufig mehrmals pro Saison, teilweise war fast die Hälfte der Gäste betroffen. Hoteliers führten es auf die Bergluft zurück. Als weitere Faktoren wurden insbesondere bei Kindern die übermäßige Aufnahme von Flüssigkeit oder Nahrungsmitteln, insbesondere Obst, oder der Konsum von kaltem Wasser im Falle einer Körperhyperthermie genannt.
Im Jahr 1909 wurde die Rigi-Krankheit wurde jedoch „arroganter“, wie es in einem später veröffentlichten Bericht heißt. Als wir von einem Schulausflug auf die Rigi zurückkehrten, erkrankten ganze Klassen teilweise schwer. In einem Bericht berichtete der Zürcher Stadtarzt von 287 Fällen, die ihm bekannt geworden waren: Eine ganze Klasse sei von einer verheerenden Gastroenteritis betroffen gewesen. In einem anderen Fall waren 21 von 26 Schülern sowie alle Erwachsenen betroffen.
Schulausflüge verboten!
Die Städte Zürich und Winterthur reagierten daraufhin mit einem Verbot für Lehrer, Klassenfahrten auf die Rigi zu organisieren. Das Zürcher Gesundheitsdepartement forderte den Schwyzer Staatsrat zudem schriftlich auf, Massnahmen zu ergreifen, um eine Wiederholung solcher Vorfälle zu verhindern. „Es ist untragbar, dass Hunderte von Menschen während eines Aufenthalts auf der Rigi dem Risiko einer schweren oder gar tödlichen Erkrankung ausgesetzt sind.“
Im 19. Jahrhundert war die Rigi ein beliebtes Reiseziel in Europa. Bereits im Jahr 1840 begrüßte es jeden Sommer fast 40.000 Besucher. Nach dem Bau des ersten Skilifts Europas im Jahr 1871 strömten jedes Jahr 70.000 bis 80.000 Touristen dorthin. Übernachten konnte man damals in den Luxushotels in Rigi-Kulm, Rigi-Staffel, Rigi-Klösterli, Rigi-First, Rigi-Scheidegg oder Rigi-Kaltbad, die insgesamt fast 2000 Betten umfassten.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts lockte die Rigi Zehntausende Besucher an.
Schweizerisches Nationalmuseum
Hoteliers lobten die Vorzüge der Berge. Ob gesund, genesen oder krank, frische Luft und MolkekurenExterner Link waren für ihre Tugenden bekannt. Dort Rigi-Krankheit So wurde dieses idyllische Bild vor allem ab 1909 getrübt. Von da an war es unmöglich, es zu verbergen oder zu verharmlosen. Nach der Ankündigung der Zürcher Behörden leitete der Schwyzer Staatsrat umgehend eine Untersuchung ein, die er dem Bezirksarzt Carl Real anvertraute. Der Ende 1909 veröffentlichte Bericht war eindeutig: die Rigi-Krankheit lag nicht an der Luft, sondern an den teils skandalösen Bedingungen bei der Trinkwassergewinnung. Schuld daran waren E. coli-Bakterien, deren Vorkommen auch in den Folgejahren mehrfach im Wasser nachgewiesen wurde.
Besonders kritisch war die Lage für die Grosshotels in Rigi-Kulm und Rigi-Staffel. Ihr Trinkwasser stammte aus mehreren Quellen und Regenwasser wurde vom Dach gesammelt. Alles würde in einem großen Stausee zusammenlaufen, auch das Abwasser der flussaufwärts gelegenen Hotels, das einfach auf eine Wiese eingeleitet und anschließend in einer Quelle darunter nahezu ungefiltert wieder gesammelt wurde. Höher gelegene Hotels pumpten dann den Inhalt des Tanks ab und nutzten ihn als Trinkwasser.
Skizze der Quellen von Rigi-Kulm und Rigi-Staffel aus dem Jahr 1909. Ihr Autor ist wahrscheinlich Professor Oskar Wyss vom Institut für Hygiene in Zürich.
Zentralbibliothek Zürich, legs d’Albert Heim.
Das Wasser einer der Quellen wurde aus einem sumpfigen Gebiet entnommen. Diese Wasserstelle, die im Bericht in Anführungszeichen als Quelle bezeichnet wurde, war durch die Exkremente von Menschen und Kühen verunreinigt. Eine andere Quelle floss zunächst in einen offenen Viehtrog und der Überlauf wurde dann zum Trinkwassertank geleitet.
Parallel zur Forschung von Carl Real machte sich auch Professor Oskar Wyss, Direktor des Instituts für Hygiene in Zürich, an die Arbeit. Sein Freund, der Hotelier aus Kulm, hatte ihn um eine Stellungnahme gebeten. Oskar Wyss konsultierte daraufhin den berühmten Geologieprofessor Albert HeimExterner Linkdessen Urteil sofort und eindeutig war: Die Wasserversorgung sei „extrem gefährlich und gesundheitsschädlich“.
Typhus auf Rigi-Klösterli
Tatsächlich sind seit langem verschiedene Maßnahmen notwendig. Zusätzlich zum Rigi-KrankheitIn den Hotels von Mont kam es regelmäßig zu Typhus-Epidemien. Im Jahr 1893 erkrankten dort 17 MenschenHotel Sonne von Rigi-Klösterli. Vier von ihnen, darunter der Türsteher, kamen ums Leben. Anschließend wurde festgestellt, dass die Epidemie auf die Verunreinigung der Quellen durch Gülle und Abwasser aus dem weiter flussaufwärts gelegenen First Hotel zurückzuführen war. Die von Schwyz geforderten Massnahmen wurden jedoch nur zur Hälfte umgesetzt.
-Im Jahr 1909 kam der Umweltskandal ans Licht. Über die Störungen in der Wasserversorgung hatten bereits mehrere Zeitungen berichtet. Im Jahr 1910 beschloss der Gemeinderat der Stadt Zürich (damals noch Grosser Stadtrat genannt), dass Schulausflüge erst nach einer Analyse der Verhältnisse der Trinkwasserversorgung durch den Stadtarzt wieder aufgenommen werden durften oder Schularzt. Auf der Rigi ging es allerdings zaghaft voran. Einige besonders belastete Quellen wurden nicht mehr als Trinkwasser genutzt und das Abwasser des Kulm-Hotels wurde nun durch die Felswand nach Osten abgeleitet. Allerdings dienten im Jahr 1912 oft noch alte vergrabene Ölfässer als Quellwassersammler.
Ansicht von Rigi-Klösterli auf einem gedruckten Stich aus dem 19. Jahrhundert.
Schweizerisches Nationalmuseum
Im Jahr 1914 eskalierte die Affäre und sorgte in der ganzen Schweiz für Aufsehen. Alles begann während einer Sitzung des Zürcher Stadtparlaments. Gemeinderat Friedrich Ehrismann beklagte, dass der Kanton Schwyz eine Analyse durch die städtische Gesundheitsbehörde verboten habe. Er beantragte daher, das Besuchsverbot für Studierende aufrechtzuerhalten. Jean Bürgi, ein Chemiker aus dem Kanton Schwyz, veröffentlichte daraufhin einen umfangreichen Artikel im NZZ. Ihm zufolge hätten die Behörden seines Kantons alles getan, was in ihrer Macht stand, wollten aber nicht, dass sich andere Behörden in ihre Angelegenheiten einmischten. Die Debatte war damit abgeschlossen und sowohl der Bezirksarzt als auch der Kantonschemiker waren fortan dafür verantwortlich, die Quellen mindestens einmal im Jahr zu überprüfen.
„Trink keinen Tropfen!“
Dieser Artikel brachte Professor Albert Heim aus seiner Zurückhaltung. Zu glauben, dass ein oder zwei Analysen pro Jahr ausreichen würden, sei seiner Meinung nach „gefährliche Naivität“, schrieb er seinerseits in einer langen Kolumne in der NZZ. Eine kleine Quelle könnte bei trockenem Wetter lange Zeit gesund bleiben, bei einsetzendem Regen jedoch sofort wieder verunreinigt werden. Die umgesetzten Maßnahmen waren zwar relevant, aber keineswegs ausreichend. Stellvertretend für Tausende schwer erkrankte Menschen appellierte er an die Zürcher Bevölkerung: „Wenn ihr zur Rigi geht, trinkt keinen Tropfen Wasser!“
Albert Heim im Jahr 1908.
E-Bilder
Der Artikel von Albert Heim sorgte für Aufsehen und wurde in zahlreichen Schweizer Zeitungen veröffentlicht. In der Rubrik „Leserbriefe“ des Schwyzer ZeitungEs kam zu einer Kontroverse gegen Albert Heim, den „Zürcher Wasserverkoster“, dessen „Wehklagen“ die schöne Rigi verunglimpften. Joseph Fassbind betrieb damals ein Hotel in Rigi-Klösterli und war Mitglied des Schwyzer Staatsrates. Es war nicht ausgeschlossen, dass er den Artikel vom Kantonschemiker initiiert hatte NZZ in dem sein Hotel seltsamerweise nicht erwähnt wurde.
Albert Heim zeigte sich in seinem Artikel darüber überrascht. Joseph Fassbind verklagte ihn umgehend auf Kreditschäden. In der Beschwerde wurde argumentiert, dass der Artikel von Albert Heim wie eine Bombe gewirkt und erheblichen Schaden verursacht habe. Die Hotelreservierungen gingen zurück. Albert Heim bestritt den seinem Artikel zugeschriebenen Schaden. Ihm zufolge hing der Rückgang der Besucherzahlen im Jahr 1914 eher mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs zusammen.
Artikel über Rigis Krankheit und die Bekanntgabe der Kreditklage gegen Albert Heim, erschienen 1914 in der Zeitung „Der Bund“.
E-Zeitungsarchive
Das Wasser der Rigi wurde nun jedes Jahr kontrolliert. Diese Analysen verschärften sich 1914 „unter dem Anstoß der berühmten Kontroverse in der Presse“. Zwei Hoteliers hatten Filteranlagen angeschafft. Allerdings war das Lokal im Hotel Kulm bereits während der August-Analyse außer Betrieb und das Haus hatte kriegsbedingt bereits geschlossen. Während der Tests regnete es und in verschiedenen Quellen wurden E. coli-Bakterien gefunden. Die Situation verbesserte sich in den folgenden Jahren nicht wesentlich.
Die Beschwerde von Joseph Fassbind wurde am 3. Oktober 1917 vom Zürcher Bezirksgericht abgewiesen. Es sei nachgewiesen worden, dass das von ihm verwendete Wasser aus einem äußerst kritischen Gebiet stammte. Joseph Fassbind legte Berufung beim Obersten Gerichtshof ein, einigte sich jedoch schließlich mit Albert Heim. Die Beschwerde wurde zurückgezogen und Albert Heim erklärte, die Wasserversorgung im Klösterli sei „soweit menschenmöglich“ saniert worden.
Der Erste Weltkrieg hatte alle Hotels auf der Rigi an den Rand des Bankrotts gebracht. Die wohlhabende ausländische Kundschaft hatte den Ort verlassen. Die meisten Betriebe erholten sich von diesem harten Schlag nicht; Anschließend wurden die Gebäude abgerissen und teilweise vollständig durch die Flammen zerstört. Der letzte Typhusfall wurde 1932 registriert, diesmal auf Luzerner Seite, in Rigi-Kaltbad. Dort wurden auch Maßnahmen zur Verbesserung der Trinkwasserqualität umgesetzt.
Der Autor
Adi Kälin ist ein unabhängiger Historiker und Journalist.
Der Originalartikel auf dem Blog des Schweizerischen NationalmuseumsExterner Link
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