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Nach dem Tod von Hassan Nasrallah herrscht in Beirut Trauer und Ungläubigkeit

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Nach dem Tod des Hisbollah-Führers trauern seine Anhänger auf den Straßen der libanesischen Hauptstadt. Andere Bewohner hoffen auf ein Ende des Krieges. Aber Israels Bombenangriffe gehen weiter. Ein Spaziergang durch eine Stadt im Schockzustand.

Rauch über Beirut. Israel hat hier am Freitag den Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah getötet.

Fadel Itani / Imago

Der Kampf sei noch lange nicht vorbei, sagt ein Mann namens Hussein. Der Familienvater floh mit seiner Frau und seinen Kindern mitten in der Nacht aus dem schiitischen Vorort Dahiyeh in Beirut, um israelischen Bomben zu entkommen, und ins Zentrum der libanesischen Hauptstadt. Jetzt sitzt er vor dem schicken Yachthafen in der Zeytuna Bay, umgeben von anderen Flüchtlingen, und will es einfach nicht glauben.

Vielleicht sind das alles Gerüchte, ruft er aus. „Der Sayed lebt. Wir werden es wie 2006 machen und den Israelis zurückschlagen.“ Aber es hilft nicht. Der Sayed – wie Hassan Nasrallah, der allmächtige Anführer der Hisbollah, von seinen Anhängern immer genannt wurde – ist tot. Er starb am Freitag bei einem massiven israelischen Luftangriff auf einen Bunker im von schiitischen Milizen kontrollierten Bezirk Beirut. Offenbar wurde auch eine unbekannte Anzahl Zivilisten getötet.

Frauen weinen, Männer laufen schreiend durch die Straßen

Die ganze Nacht über war unklar, ob Nasrallah – der von einem Teil der libanesischen Gesellschaft als Verkörperung des Kampfes gegen Israel angesehen wird – noch am Leben ist oder nicht. Doch am Samstagnachmittag war klar: Der mythische Anführer der Hisbollah war tot. Sofort brachen einige der zahlreichen schiitischen Flüchtlinge in den Straßen Beiruts in lautes Geschrei und Jammern aus.

Frauen weinen verzweifelt, Männer laufen schreiend durch die Straßen. Andere brechen einfach zusammen und starren ins Nichts. Für seine überwiegend schiitischen Anhänger war Nasrallah mehr als nur ein Anführer. Er war ihr Leitstern, ihre Sonne, ihr Blut und ihre Seele – wie ihn das große Publikum seiner öffentlich übertragenen Reden manchmal nannte. Dass er nicht mehr unter den Lebenden ist, ist für sie unverständlich.

Am Tag nach dem Tod des mächtigsten Mannes des Libanon schwankt die Stimmung in der Hauptstadt Beirut irgendwo zwischen Wahnsinn, Panik, Trauer, Schock, Realitätsverleugnung und totalem Chaos. Viele Libanesen hatten fast ihr ganzes Leben im Schatten Nasrallahs verbracht. Sein Tod erscheint ihnen daher fast surreal. Überall in der Stadt kampierten wegen israelischer Luftangriffe auf schiitische Wohngebiete nachts Tausende im Freien. Ganze Familien sitzen an der Corniche, der Uferpromenade, an der normalerweise braungebrannte Jogger entlanglaufen und runzlige Männer stoisch fischen.

Über der Stadt liegt extreme Spannung

In Hamra, dem alten Zentrum Westbeiruts, sitzen derweil ein paar Männer in einem Café. Einer von ihnen weint. Es sei das Ende der Welt, sagt er über Nasrallahs Tod. „Sie haben Sayed getötet, genau wie sie Hussein getötet haben“, fügt er hinzu und bezieht sich auf den ersten Märtyrer des schiitischen Islam, der 680 in der Schlacht von Kerbela starb. Dann kommt der Cafébesitzer, ein massiger Mann in einem schwarzen T-Shirt. „Der Sayed ist tot, das ist es, vorbei, erledigt“, schnaubt er. „Jetzt verschwinde am besten von hier und geh nach Hause. Es wird bald Ärger geben.“

Tatsächlich herrscht in der Stadt extreme Spannung. Auf der Ost-West-Achse, die knapp südlich des Stadtzentrums durch Beirut verläuft, fahren Schützenpanzerwagen und Jeeps der libanesischen Armee. Normalerweise bleiben Soldaten im Kriegsfall in den Kasernen, um nicht selbst zum Ziel israelischer Angriffe zu werden. Doch nach dem Tod von Nasrallah, der den Libanon jahrzehntelang regiert hatte, gibt es nun Befürchtungen, dass das gespaltene, multikonfessionelle Land im Chaos versinkt.

Aus diesem Grund verbarrikadieren Ladenbesitzer überall ihre Läden und selbst die geschäftigen Geldwechsler, die rund um die Uhr ihre Dienste anbieten, sind geschlossen. Die Angst vor Unruhen ist nicht unbegründet – denn nicht alle trauern um Nasrallahs Tod. Im sunnitischen Viertel Tarik al Jadida, wo das Leben ganz normal weitergeht, zuckt Choror Jafaati mit den Schultern: „Es ist mir überhaupt egal, dass er tot ist. Im Gegenteil, es ist gut. Er hat das alles über uns gebracht.“

„Andere sollten jetzt für Gaza sterben“

Der Taxifahrer sagt, seit er denken kann, herrscht im Libanon Krieg. «Ich habe mein Haus verkauft, um meinen Sohn zur Universität zu schicken. Er ist Ingenieur – aber er findet hier keine Arbeit.“ Er hat es satt. „Wir wollen wie die Menschen in den Golfstaaten leben. Andere sollten jetzt für Gaza sterben. Es reicht.“ Viele Christen denken ähnlich. Jetzt beginne ein neuer Libanon, sagt ein ehemaliger Soldat im Bezirk Ashrafieh in Ostbeirut. „Ich respektiere Nasrallah. Aber das ist das Ende der Hisbollah. Jetzt sollte die Armee übernehmen und den Krieg beenden.“

Doch davon ist Beirut weit entfernt. Dahiye, der von der Hisbollah kontrollierte Bezirk tief im Süden Beiruts, wurde die ganze Nacht über bombardiert und ist nun erneut Ziel von Angriffen. Die Autobahn, die darüber führt, ist leer. In den scheinbar menschenleeren Gassen wehen Wimpel mit Porträts der jüngsten Märtyrer im Wind. Hisbollah-Leute sollen nun von Haus zu Haus gegangen sein und die Bewohner aufgefordert haben, das Gebiet zu verlassen.

Am frühen Abend hört man plötzlich das Knattern von Schnellfeuerwaffen über Beirut. Zunächst ist unklar, was passiert ist. Dann taucht plötzlich das Gerücht auf, der Hisbollah-Fernsehsender al-Manar habe versehentlich eine alte Nasrallah-Rede ausgestrahlt. Einige seiner Anhänger glaubten daraufhin fälschlicherweise, ihr Anführer sei noch am Leben – und schossen vor Freude in die Luft.

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