Für Domenico Tedesco war die Europameisterschaft zu ehrgeizig

Für Domenico Tedesco war die Europameisterschaft zu ehrgeizig
Für Domenico Tedesco war die Europameisterschaft zu ehrgeizig
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Die Red Devils schieden gegen Frankreich aus (0:1), konnten aber nicht überspielt werden. Nach einer Europameisterschaft mit einem Sieg in vier Spielen kann man auf dieser Beobachtung jedoch keine Zukunft aufbauen.

Könnte es nach dem dramatischen Spiel der Red Devils gegen die Ukraine einen Moment gegeben haben, in dem sich Domenico Tedesco einer strengen Gewissensprüfung unterzog? Was ging vor dem Spiel gegen Frankreich wirklich im Kopf des Deutschen vor? Dass er sich nach der Niederlage gegen die Ukraine dafür entschuldigt hat, dass der Bus zu spät am Stadion ankam, weil die Begleitpolizei kein Blinklicht eingesetzt hatte, ist einfach lächerlich.

Und es macht deutlich: Dieses Turnier erwies sich für Tedesco als zu ambitioniert. Kaum Kommunikation mit den Medien, nichtssagende Texte. Vielleicht sollte er seinem zwei Jahre jüngeren Landsmann Julian Nagelsmann nacheifern, der vor jedem Spiel mehr als zehn Minuten verbringt, um dem deutschen Fernsehen am Spielfeldrand ein Interview zu geben.

Spitzentrainer sollten nach Ausrutschern mit Würde behandelt werden. Fußballspieler übrigens auch. Dass Kevin De Bruyne die Spieler nach dem Spiel gegen die Ukraine in die Umkleidekabine schickte, als die Fans zu pfiffen begannen, war ebenso bedauerlich wie die Haltung von Romelu Lukaku, der sich weigerte, mit den Medien zu sprechen. Der Stürmer steht bei Erfolgen immer in der ersten Reihe.

Kevin De Bruyne, enttäuscht nach dem Ausscheiden bei der Europameisterschaft. © Isosport

Doch die Qualifikation für das Viertelfinale könnte alles wiedergutmachen. Je näher das Spiel gegen Frankreich rückte, desto größer wurde der Optimismus im belgischen Lager. Domenico Tedesco ließ sich erneut eine andere Feldformation einfallen. Zwei defensive Mittelfeldspieler gegen die Slowakei, aber nur einer gegen Frankreich, was viele überraschte. Genauso wie die Tatsache, dass Luïs Openda neben Romelu Lukaku als Stürmer auflaufen durfte.

Im Vorfeld hieß es, die Red Devils müssten gegen Frankreich Mut beweisen, doch davon war wenig zu spüren. Tatsächlich schien das Team zu wenig an sich selbst zu glauben. Gegen das langsame Frankreich, das zunächst kaum Fußball spielte, hielt man dennoch lange durch und die Hoffnung auf ein Tor blieb bestehen. Es gab zwar zwei Torchancen, diese waren im gesamten Spiel jedoch zu gering. Den meisten Ballbesitz und die besten Chancen hatten die Franzosen. Ihr Sieg war nicht unverdient.

Die Red Devils begrüßten die mitgereisten belgischen Fans. © IMAGO/Revierfoto

Diese Europameisterschaft war für die Belgier eine Suche nach der richtigen Balance und der richtigen Feldbesetzung. Dafür muss man in erster Linie Domenico Tedesco verantwortlich machen. Sein Bericht ist daher unzureichend: ein Sieg, ein Unentschieden und zwei Niederlagen. Und immer mit dem Torhüter Koen Casteels als bestem Mann. Zwar gab es im Vorfeld Zweifel an ihm. Der Glaube von Tedesco, dem Bundesliga-Experten, an Casteels ist eine große Stärke. Thibaut Courtois wurde zu keinem Zeitpunkt vermisst.

Aber ist das eine Grundlage, um weiterzumachen? Die Red Devils brauchen Stabilität und Wiedererkennbarkeit, klare Muster, eine Spielphilosophie. Und schon gar nicht das häufige Gedränge und der nervöse Fußball, den man bei dieser Europameisterschaft allzu oft sah. Tedesco wird dies in einer Bewertung zweifelsohne in die Schuhe geschoben werden. Aber wird es eine Wende geben? Der Deutsche, der nach seiner Ernennung neuen Schwung und Dynamik in die Mannschaft zu bringen schien, steht noch für zwei Jahre unter Vertrag, eine Entlassung würde viel Geld kosten. Und lag es nicht am Glauben an sein Projekt, dass diese Vereinbarung vorzeitig verlängert wurde? Allerdings ist derzeit unklar, um welches Projekt es sich handelt.

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VAR beweist seinen Wert

In der Zwischenzeit bleibt diese Europameisterschaft ein Fußballereignis. Nach der WM 2006 ist es in Deutschland ein neues Fußballmärchen, obwohl man das nicht für möglich gehalten hätte. Alle sind erstaunt darüber, welche Kraft der Fußball nach wie vor ausstrahlt, über den verbindenden Charakter, den man in diesen dunklen Zeiten überall sieht.

Ein großer Teil dieser stets aufkeimenden Begeisterung hat mit dem frischen Spiel der deutschen Nationalmannschaft zu tun, die nach einer Reihe enttäuschender Leistungen bei dieser Europameisterschaft wieder auf die Beine kommt. Dieses Turnier schafft eine optimistische Stimmung in einem Land mit einer stagnierenden Wirtschaft und einer gespaltenen Gesellschaft. Für Freitag ist das Viertelfinale gegen Spanien geplant. Mit Abstand die beste Mannschaft, mit Technik, Ideenreichtum und Opportunismus und der Fähigkeit, Fußball in einem wahnsinnig hohen Tempo zu spielen. Und mit dem 16-jährigen Dribbling-Wunderkind Lamine Yamel und dem 41-jährigen Verteidiger Pepe liegen zwischen dem jüngsten und dem ältesten Spieler 25 Jahre.

Bei dieser Europameisterschaft kommt es teilweise zu einem Machtwechsel an der Spitze. Titelverteidiger Italien wurde mit entsetzlichem Fußball nach Hause geschickt, England humpelte bis ins Viertelfinale, Portugal überzeugte nicht und Frankreich glänzte trotz des Sieges gegen die Red Devils kaum. Die Niederlande, die unter Nationaltrainer Ronald Koeman wieder zu einer schwingenden Mannschaft werden mussten, spielen Fußball wie ein kopfloses Huhn, wobei Koeman regelmäßig seine Prinzipien aufgibt. Stattdessen bieten Österreich und die Schweiz andere Anreize. Genauso wie Rumänien, das früher von vielen als eines der schwächsten Teams angesehen wurde.

Dies ist auch die VAR-Europameisterschaft, die wieder einmal ihr Können unter Beweis stellt und die Vorschriften buchstabengetreu anwendet. Schnelle Entscheidungen zeigen, wie es zu machen ist, und die Regel, dass wie im Rugby nur Kapitäne mit dem Schiedsrichter kommunizieren können, ist ein Segen für den Fußball. Auch wenn sich viele daran gewöhnen müssen. Vor allem, wenn es um VAR geht. Insofern bleibt der Fußball eine konservative Welt, die sich hier und da vor technologischen Entwicklungen verschließt.

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