Der 1. FC Heidenheim zeigte mit Patrick Mainka (links) und Paul Wanner (rechts), dass er in der Europa League mit dem FC Chelsea, vertreten durch Christopher Nkunku (Mitte), mithalten kann.
Der FC Chelsea und der 1. FC Heidenheim spielten lange Zeit in völlig unterschiedlichen Welten. Doch in der Europa League trafen die beiden Vereine zum ersten Mal aufeinander und es zeigte sich, dass der Abstand zwischen ihnen nicht so groß ist wie bisher angenommen.
Es gab vielleicht noch nie einen aufregenderen Moment für den 1. FC Heidenheim als diesen. Eineinhalb Jahre ist es her, dass der Verein auf spektakuläre Weise erstmals in die Bundesliga eingestiegen ist.
Viele sprachen damals von einem Märchen und bezweifelten, dass der Verein dieser Herausforderung gewachsen wäre. Spulen wir vor bis zum November 2024: Der 1. FC Heidenheim nimmt an einem europäischen Wettbewerb teil und trifft zum ersten Mal in einem offiziellen Spiel auf den FC Chelsea. Wie erlebt der FCH das zweifellos größte Spiel seiner Geschichte?
Wenige Kilometer von Heidenheim entfernt, wenige Stunden vor dem Spiel, deutet kaum etwas darauf hin, dass das Spiel des Jahres oder gar des Jahrzehnts bevorsteht. Im Zug sind ein paar Menschen mit Heidenheim-Schals zu sehen, neben einigen gegnerischen Anhängern. „Dass Chelsea nach Heidenheim kommt, ist sensationell“, sagt ein Fan im Zug und spricht so, als würde er über den bevorstehenden Besuch der Schwiegereltern sprechen. Vielleicht eignet sich der schwäbische Dialekt nicht für große Dramen.
Pragmatismus ist gefragt. „Wovor müssen wir Angst haben? Mal sehen, wie weit wir gehen können, und wenn es nicht klappt, müssen wir es akzeptieren“, sagte Heidenheims Präsident Holger Sanwald im Mai 2023 in einem Interview mit unserer Teamredaktion ihren Aufstieg in die Bundesliga.
Sanwald war eine zentrale Figur in Heidenheims bemerkenswerter 29-jähriger Reise und führte den Verein Schritt für Schritt von den lokalen Ligen in die Bundesliga. Die Devise bei jeder Promotion lautete, Ruhe zu bewahren und abzuschätzen, ob die Grenzen des Möglichen erreicht wurden. Bis heute hat der Verein diese Grenzen nicht gefunden, und vielleicht ist diese Einstellung sein größtes Geheimnis.
Und jetzt Chelsea. Zu Beginn des Abends scheint die Stadt ein wenig den Pragmatismus des Vereins zu verkörpern. Ein paar Heidenheim-Schals hier, ein paar Fahnen da – ansonsten sieht man in der Innenstadt kaum Anzeichen dafür, dass das Chelsea-Spiel in irgendeiner Weise etwas Besonderes ist. Die Warteschlangen an den Glühweinständen sind kurz und die Fans warten an einer roten Ampel vor dem Einkaufszentrum. Kein Grund, sich eitel zu fühlen.
Die gegnerischen Anhänger versammelten sich offiziell im Kongresszentrum Heidenheim. Inoffiziell haben sie bereits eine Kneipe in der Innenstadt übernommen. Bis zum Schloss Hellenstein, das über der 50.000-Einwohner-Stadt thront, sind Chelsea-Fans zu hören. Abgesehen von Sprechchören über „deutsche Bomber“, die bei den Fans in England beliebt sind, bleibt die Atmosphäre locker und freundlich.
Chelsea und seine Fans reisten nicht nur aus einem anderen Land auf die Ostalb, sondern scheinbar auch aus einer anderen Dimension. Chelsea-Besitzer Todd Boehly hat in der Saison 2022/23 über 600 Millionen Euro für Neuverpflichtungen ausgegeben. Am Ende belegte der Verein den 12. Platz.
Ein Jahr später schaffte man es zumindest für Europa, doch das entspricht immer noch nicht den Erwartungen. Der zweifache Champions-League-Gewinner will mit Real Madrid und Bayern München konkurrieren und kein frisch aufgestiegener Außenseiter aus der Fußball-Provinz.
Trotz der offensichtlichen Unterschiede zwischen den Vereinen wird dieser Unterschied im Stadion weniger deutlich – ebenso wie das freundliche Image, das man allgemein mit Heidenheim verbindet.
„Schaffen Sie den Brexit, schicken Sie Chelsea heute Abend nach Hause“, erklärten die Fans beim Tanzen. An diesem bemerkenswerten Abend in der Ostalb war lauter Jubel zu hören, lauter als bei vielen Begegnungen in der Bundesliga, bei denen manchmal der Stolz die Oberhand gewinnt.
Auf dem Platz zeigte sich, dass der 1. FC Heidenheim und der FC Chelsea an diesem Abend tatsächlich auf einem ähnlichen Niveau spielten. Allerdings scheinen Heidenheims Spieler das Spiel aufgrund ihrer Aufstellung deutlich ernster zu nehmen als ihre Gegner, mit bekannten Namen wie Christopher Nkunku und Jadon Sancho auf dem Platz. Der portugiesische Superstar Joao Felix wurde erst nach einer Stunde eingewechselt.
Auch Heidenheim hatte seine Chancen: Chelsea-Torhüter Filip Jörgensen musste gegen den waghalsigen Angriff der Hausherren mehrfach parieren. Das dynamische Trio Paul Wanner, Mikkel Kaufmann und Leonardo Scienza vergab in der ersten Halbzeit mehrere Möglichkeiten zur Führung. Kurz nach der Pause wendete sich der Abend, als Nkunku mit 1:0 den ersten Treffer für Chelsea erzielte.
Allerdings fand Heidenheim schnell Fuß – Scienza und Wanner hatten mehrere Chancen zum Ausgleich, und dem eingewechselten Breunig wurden zwei Tore wegen Abseits nicht anerkannt. Die Hoffnung auf einen Erfolg war im Stadion spürbar – bis Mikhaylo Mudryk, einer von Boehlys vielen Neutransfers, alle Hoffnungen für Heidenheim mit einem zweiten Tor zum 2:0 zunichte machte. Ein Punkt gegen den Europa-League-Giganten wäre in der Tat zu schön um wahr zu sein.
„Am Ende hat der eine Spieler 100 Millionen Euro gekostet, der andere 80 Millionen, und die haben die Tore geschossen“, gab Trainer Frank Schmidt nach dem Spiel zu, obwohl der Stolz seiner Mannschaft überwog. Denn was sie an diesem Abend bewiesen haben: Der FCH hat das nächste Level des Fußballs erreicht. London und Heidenheim liegen fußballerisch gar nicht so weit auseinander, wie man vielleicht denkt.
Eine Stunde nach Abpfiff herrscht in Heidenheim bereits überraschend Ruhe. Am Sonntag geht es für den FCH in der Bundesliga weiter mit harten Spielen gegen Eintracht Frankfurt, den FC Bayern München und den VfB Stuttgart vor Weihnachten, wobei sie nur zwei Punkte vom Abstiegsplatz trennen. Aber den Alltag kann man in Heidenheim meistern. Seien Sie jetzt einfach nicht zu zuversichtlich.
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