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In Genf findet die erste europäische Konferenz zum Thema Commons statt

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Im Wallis versorgen die Suonen die Weiden mit Wasser und werden von Konsortien bewirtschaftet.

Keystone/ JEAN-CHRISTOPHE BOTT

Von den Walliser Suonen bis zur Rentierwanderung in der Arktis könnten die Commons – diese gemeinsam genutzten und kollektiv verwalteten Ressourcen – eine Schlüsselrolle bei der Erhaltung der Artenvielfalt und der Erreichung nachhaltiger Entwicklungsziele spielen. Vom 9. bis 13. Dezember fand in Genf eine erste europäische Konferenz zu diesem Thema statt.

Dieser Inhalt wurde veröffentlicht am

13. Dezember 2024 – 13:15 Uhr

Von der Schweiz bis Finnland, über Spanien, das Vereinigte Königreich und Montenegro beherbergt der europäische Kontinent zahlreiche sogenannte kollektive natürliche Ressourcen. „Es wird geschätzt, dass 35 % der Wälder in der Schweiz, 60 % der Almen in Österreich und fast 90 % davon in Slowenien von lokalen Gemeinden bewirtschaftet werden“, bemerkt Gretchen Walters, Professorin für nachhaltige Entwicklungspraktiken an der Universität Lausanne und Mitorganisator der ersten Europäischen Commons-Konferenz, die in Genf stattfand.

Was sind die Commons?

Bei den „Commons“ handelt es sich um Ressourcen, die von einer Gemeinschaft gemeinsam genutzt und selbst verwaltet werden, um eine nachhaltige Nutzung zu gewährleisten. „Es ist ein altes Konzept, das auch heute noch aktiv ist“, erklärt Gretchen Walters. Drei Elemente definieren die Commons: eine Ressource, ein Kollektiv und Regeln. Zu diesen Ressourcen – die natürlicher oder kultureller Natur sein können – können unter anderem Weiden, Wälder und Wasser gehören. Was sie von der öffentlichen Hand unterscheidet, ist die Selbstverwaltung.

Obwohl das Konzept schon seit Jahrhunderten existiert, wurde es in den 1990er Jahren von der Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom auf moderne Weise theoretisiert. Ihre Arbeit, die sich insbesondere auf die gemeinschaftliche Bewirtschaftung von Weiden in Törbel im Oberwallis stützte, zeigte, dass lokale Gemeinschaften dies effektiv können Ressourcen verwalten, ohne auf Privatisierung oder staatliche Kontrolle zurückzugreifen. Forschung, die ihm 2009 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften einbrachte.

Von den Walliser Suonen bis zum Eisfischen

Auch die Walliser Suonen bilden einen Gemeinschaftsraum. Diese Bewässerungskanäle, die im 12. Jahrhundert als Reaktion auf Dürre und Bevölkerungsboom gebaut wurden, versorgen Weiden mit Wasser und werden von Konsortien verwaltet, einer Form der Zusammenarbeit, bei der Nutzer zusammenkommen, um gemeinsam ein GUT zu nutzen. Auch in Frankreich, an der Mittelmeerküste, verwalten Fischergemeinschaften – sogenannte Fishing Prud’homies – gemeinsam die Meeresressourcen, indem sie lokale Regeln für eine nachhaltige Fischerei festlegen, und das bereits seit dem Mittelalter.

„Von Eisfischen über Rentierhaltung im Norden bis hin zu Weidewirtschaft und Transhumanz im Süden sind die kollektiven Landnutzungen in Europa riesig und vielfältig“, erklärt Tero Mustonen, ein finnischer Geograph und IPCC-Experte, der ebenfalls auf der Konferenz anwesend ist.

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In der norwegischen Arktis begleiten samische Rentierhirten ihre Herden auf Wanderungen von mehreren hundert Kilometern.

EPA/CHRISTOPHE PETIT TESSON

Die Veranstaltung wird gemeinsam von der International Association for the Study of the Commons, dem ICCA-Konsortium, der IUCN und der Universität Lausanne organisiert Externer Linkbringt rund hundert Experten, Forscher, indigene Völker sowie lokale Politiker und Praktiker aus verschiedenen europäischen Ländern zusammen. „Wir wollen ein europäisches Netzwerk dieser verschiedenen Akteure schaffen, um sich über diese vielfältigen Praktiken und die aufgetretenen Herausforderungen auszutauschen und daraus zu lernen.“ Ein weiteres Ziel ist es, Entscheidungsträger für diese oft unterschätzten und missverstandenen Systeme zu sensibilisieren“, erklärt Mitorganisatorin Gretchen Walters.

Ein Allheilmittel für die Artenvielfalt?

Basierend auf einem nachhaltigen Ressourcenmanagement könnten die Gemeingüter laut Gretchen Walters eine zentrale Antwort auf aktuelle Herausforderungen wie den Verlust der Artenvielfalt oder die globale Erwärmung sein: „In ganz Europa verwalten lokale Gemeinschaften und indigene Völker eine Vielfalt an Ressourcen auf nachhaltige Weise.“ das die Artenvielfalt respektiert. Diese Commons spielen eine entscheidende Rolle bei der Erreichung nachhaltiger Entwicklungsziele.“

In Finnland leitete Tero Mustonen die Sanierung von mehr als hundert ehemaligen Bergbau- und Holzeinschlagsstandorten in Torfgebieten und arbeitete dabei mit lokalen indigenen Gemeinschaften zusammen. „Moore sind wertvolle Kohlenstoffsenken und Schutzräume für die Artenvielfalt, etwa für Vögel und Insekten. Torf fungiert auch als Filter, der die Wasserverschmutzung bekämpft“, erklärt dieser Fischer, der auch Häuptling des finnischen Dorfes Selkie ist.

Diese Schritte wurden mit seiner Organisation unternommen Schneeveränderung – eine unabhängige Genossenschaft aus Züchtern, Fischern, Unternehmern und Forschern – gewann den Goldman-Preis für UmweltExterner Link im Jahr 2023 sowie den Climate Breakthrough PrizeExterner Link seit 4. Dezember 2024.

Juristisch unterschätzt

Die Commons werden jedoch selten rechtlich anerkannt. „Seine Naturschutzbemühungen werden von Regierungen selten geschätzt oder anerkannt. Es gibt eine Tendenz zur Unsichtbarkeit, insbesondere in Europa“, bemerkt Gretchen Walters.

Die Commons würden sogar unter Druck geraten. „Wir sehen eine zunehmende staatliche Monopolisierung dieser kollektiv verwalteten Ländereien, insbesondere in Frankreich und Italien“, stellt der Forscher fest. Eine Beobachtung, die Tero Mustonen, der auf den Polarkreis spezialisiert ist, teilt: „Viele Gebiete stehen unter Druck, insbesondere durch Bergbau, Projekte für erneuerbare Energien und Tourismus.“

Ein Trend, der oft dadurch verstärkt wird, dass diese Gebiete – manchmal saisonal bewirtschaftet, wie es bei bestimmten Weiden der Fall ist – als „jungfräulich“ und ungenutzt wahrgenommen werden. „Was viele ‚Wildnis‘ oder ‚leere Räume‘ nennen, sind in Wirklichkeit oft Kulturlandschaften, die eng mit der seit Jahrhunderten bestehenden nachhaltigen Wirtschaft der Jagd, des Sammelns und der Rentierhaltung verbunden sind“, fügt Tero hinzu.

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In Spanien gehört die Schafwanderung zum UNESCO-Weltkulturerbe.

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In Montenegro beispielsweise will die Regierung auf einem der größten Weidegebiete Europas ein von der NATO unterstütztes militärisches Trainingslager eröffnen. Seit 2019 setzen sich Hirten für den Erhalt dieses Ökosystems ein, das von traditionellen Praktiken der Weidewirtschaft, der Landwirtschaft sowie der Pflanzen- und Obsternte geprägt ist.

„Gemeinschaften verfügen selten über die Instrumente, um ihre Rechte durchzusetzen“, bemerkt Tero Mustonen, der eine bessere rechtliche Anerkennung der Commons und ihrer Kartierung fordert. Am Ende der Konferenz soll ein entsprechendes Manifest veröffentlicht werden.

Für Gretchen Walters würde eine bessere Anerkennung es ermöglichen, die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Bis 2030 wollen die Vereinten Nationen beispielsweise 30 % der Land- und Meere schützen. „Über die Schaffung von Nationalparks und Reservaten hinaus, die oft lokale Gemeinschaften ausschließen, wäre dies eine Gelegenheit, bestehende Naturschutzbemühungen anzuerkennen und zu fördern, wie es in diesen selbstverwalteten Gebieten der Fall ist“, betont Gretchen Walters. In Kanada beispielsweise werden bestimmte indigene Gebiete als OECM anerkannt (Wirksame Schutzmaßnahmen außerhalb von Schutzgebieten, Anmerkung der Redaktion). Europa hingegen hinkt in diesen Fragen weit hinterher.“

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In Spanien durchquert die Transhumanz sogar städtische Zentren, wie hier in Madrid.

EPA/ALVARO CLAVO

Es weist jedoch darauf hin, dass die Schweiz eines der wenigen Länder ist, in dem die Gemeingüter durch das bürgerliche System rechtlich anerkannt werden. Für Tero Mustonen hat Europa die Möglichkeit, ein starkes Zeichen auf der internationalen Bühne zu setzen, indem es die auf seinem Territorium vorhandenen Commons anerkennt:

„Die Umwelt- und Biodiversitätskrisen, die wir derzeit erleben, sind vor allem eine Krise unseres Verhältnisses zur Natur. Der Commons-Ansatz bietet Lösungen und erinnert uns daran, dass wir nicht die Feinde der Natur sind, sondern mit ihr koexistieren.“

Text erneut gelesen und überprüft von Samuel Jaberg

Auch Städte

Diese Modelle des gemeinschaftlichen Ressourcenmanagements haben oft Jahrhunderte und turbulente politische Kontexte überdauert. Aber es entstehen auch neue Commons, etwa in städtischen Zentren, wo Initiativen wie Gemeinschaftsgärten, die Wiederverwendung verlassener Gebäude oder sogar die Sanierung degradierter Gebiete florieren. Im Jahr 2014 war Bologna ein Vorreiter, indem es als erste italienische Stadt Vorschriften für „städtische Gemeinschaftsgüter“ einführte. Seitdem mehr als 300 KommunenExterner Link des Landes schlossen sich der Bewegung an.

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