„Ocean State“, von Stewart O’Nan, übersetzt aus dem Englischen (USA) von Cyrielle Ayakatsikas, L’Olivier, 290 S., 23,50 €, digital 16 €.
Auf der Karte der Vereinigten Staaten ist Rhode Island das kleinste Puzzleteil: ein winziges Rechteck zwischen Connecticut und Massachusetts, dessen letzte Grenze der Atlantische Ozean ist. Ausgehend von diesem Konfetti Amerikas zoomte Stewart O’Nan noch einmal heran, bis er an einem der engsten Orte des Staates anhielt, wo er ein Drama ausheckte, das für diesen Ort fast zu groß war. Im Dorf Ashaway ist alles so gewöhnlich, so vertraut, an der Grenze zur Bedeutungslosigkeit, dass die Ermordung einer Teenagerin durch ihre Rivalin kaum vorstellbar erscheint. Doch gerade aus dieser Banalität entsteht das Unvorstellbare, und daraus schöpft Stewart O’Nan auf brillante Weise den Inhalt seines neuen Romans. Ozeanstaat.
Die erzählerische Fähigkeit des Schriftstellers zeigte sich schon in seinen Anfängen Engel im Schnee, Geschwindigkeitskönigin oder Ein Übel, das Terror verbreitet (L’Olivier, 1997, 1998 und 2001). O’Nan wurde 1961 in Pittsburgh (Pennsylvania) geboren und ist ein Virtuose des Geschichtenerzählens, dessen Romane im Allgemeinen von Erfindungsreichtum zeugen. Obwohl sie sich fast nie weit von der Ostküste entfernen, bieten viele von ihnen echte literarische Erkundungen, die die Art der Erzählung variieren, den Leser aber auch in Atem halten. Es gibt auch ein Geheimnis in der Art und Weise, wie der Autor vonOzeanstaat schafft es, das zu bauen, was die Angelsachsen nennen „Seitenwender“ aus solch prosaischem Material, offenbar ohne Überraschung.
Zumal der Autor sofort auf die Spannung verzichtet – er gibt vom ersten Satz an den Schlüssel zur Handlung an. „Als ich in der vierten Klasse war, war meine Schwester an der Ermordung eines jungen Mädchens beteiligt. » Die Erzählerin Marie ist die Einzige, die in dieser kaleidoskopischen Geschichte, in der die Autorin nacheinander in die Köpfe mehrerer Protagonistinnen schlüpft, die allesamt Frauen sind, in der Ich-Perspektive spricht. Das Rad dreht sich, die Kristalle des Kaleidoskops verändern Form und Farbe, doch der Teenager findet sich immer mitten in einer Situation wieder „Schattengeometrie“ ähnlich dem, was an Halloween von Autoscheinwerfern projiziert wird.
Mädchen im Teenageralter waren süchtig nach ihren Handys
Um sie herum steht die Welt ständig am Rande der Lüge: „Wir alle drei waren gut darin, uns zu verstecken“beobachtet das junge Mädchen über sich selbst, ihre Schwester Angel und Carol, ihre Mutter, die versucht, die Überreste ihrer Jugend für ein chaotisches Liebesleben auszunutzen. Teenager-Mädchen hängen an ihren Telefonen und weinen, toben oder hoffen, laut den in sozialen Netzwerken veröffentlichten Nachrichten, die ihnen am Ende die Illusion eines begehrenswerteren Lebens als ihres vermitteln.
Sie haben noch 21,75 % dieses Artikels zum Lesen übrig. Der Rest ist den Abonnenten vorbehalten.