„Eine politische Vorstellung, die in der Gegenwart nachhallt“

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Eine Miniatur aus der lateinischen Handschrift „Die Apokalypse des Johannes“, bekannt als „Apokalypse von Val-Dieu“, Anfang des 14. Jahrhunderts. DIE BRITISCHE BIBLIOTHEK / KHARBINE-TAPABOR

Hier erbricht ein Kopistenmönch Frösche und Kriegerkaninchen reiten auf Schnecken. Dort werden die Früchte eines Apfelbaums durch ein Dutzend menschliche Arme ersetzt und eine Rote Bete lächelt zahnlos. Auch hier stehen Dämonen für einen teuflischen Sabbat im Kreis und ein Satan stößt mit seinen haarigen Armen den Schlund der Hölle weg. Hier schließlich würfelt ein Mönch, der scheinbar eine Sonnenbrille trägt, begleitet von einem Hund.

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Gruselige Bestiarien, dämonische Darstellungen und Alltagsszenen, die zwischen Vertrautem und Absurdem oszillieren: Darstellungen aus Gemälden oder alten Manuskripten aus dem Mittelalter florieren online. Diese Bildfragmente haben dank spezialisierter Accounts wie z. B. sogar eine überraschende Viralität erlangt @weirdmedievalguys@medievalbestiary, @medieval.psychedelia, @medieval.marginalia oder @smilingbeetroot.

Mit unserem zeitgenössischen Blick wirken diese Bilder mal skurril, mal absurd, ja sogar grotesk. ” Ich verehre ! Ich betrachte sie wie eine Monty-Python-Skizze », lacht Othmane Talbi, 39, Projektmanager für Migrationsfragen in Rabat, Marokko. Sie haben jeweils mehrere Zehntausend Likes in sozialen Netzwerken wie Instagram und X. Thibault Goeringer, ein 36-jähriger Pariser Webentwickler, weiß das zu schätzen „die Vielfalt in der Darstellung des Monströsen, Bizarren und Surrealen: deformierte, dämonische Tiere, rohe Gewalt und Darstellungen des Todes, die neben alltäglichen Szenen stehen, die uns vertraut erscheinen, wie zum Beispiel die Gesellschaft von Hunden“.

„Die Kindheit unserer heutigen Welt“

Dieses Fenster in eine ferne und doch vertraute Vergangenheit inspiriert auch Künstler. Bartobello, ein in Ostfrankreich geborener und in Montreal ansässiger Tätowierer, greift bei der Gestaltung seiner Tätowierungen auf die Ästhetik mittelalterlicher Gravuren zurück. Das merkt er „Diese Bildsprache ist fast kindisch und für Europäer, die in einem kulturellen Umfeld aus Rittern, starken Burgen, Wappen und Rüstungen, aber auch Dämonen und Drachen aufgewachsen sind, leicht zu entziffern. Das sind die Kennzeichen unserer Kindheit“.

Maria Pandiello, Doktorin der Kunstgeschichte, Spezialistin für politische Propaganda im 15. Jahrhunderte Jahrhundert und Kurator des Instagram-Kontos @visions_of_manuscripts, verwendet auch die Analogie einer Rückkehr in die Kindheit, um den Erfolg mittelalterlicher Bildkurationskonten zu erklären. „Das Mittelalter ist für uns Europäer in gewisser Weise die Kindheit unserer gegenwärtigen Welt, eine ebenso ferne wie vertraute Andersartigkeit, zu der wir immer wieder zurückkehren, um uns selbst besser zu verstehen. Ein bisschen wie Psychotherapie. »

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