Felssturz-Gefahr in Graubünden –
Bewohner von Brienz können womöglich erst im Frühling zurück
Die Schuttlawine oberhalb des Bergdorfs kann nicht gesprengt werden. Die Bewohner müssen das Dorf bis Sonntag verlassen. Der Unmut ist gross.
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Das Spendenkonto für die erneut von einer Evakuierung betroffene Bevölkerung von Brienz GR ist ab Mittwoch wieder geöffnet. Derweil wird das Bündner Bergdorf erneut von einer Steinlawine bedroht. Die Einwohnenden müssen das Dorf bis Sonntagmittag für möglicherweise mehrere Monate verlassen.
«Ein drittes Mal gehen wir nicht mehr», sagte ein Brienzer am Dienstagabend vor den Behörden in Tiefencastel GR. Er stellte damit die erneute Evakuierung in Frage. Bereits im Frühling 2023 war das Dorf wegen eines drohenden Schuttstroms während rund 50 Tagen evakuiert worden. Damals stoppten die immensen Gesteinsmassen wenige Meter vor den Häusern.
Nun droht eine vergleichbare Situation. Wieder sind es 1,2 Millionen Kubikmeter Schutt. Nur lagert jetzt mehr Wasser darin. Deshalb könnte die Steinlawine schneller rutschen und weiter ins Dorf vordringen. Geschwindigkeiten von bis zu 80 Stundenkilometern seien gemäss den Behörden möglich. Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass der Schutt langsam abrutscht und in flacherem Gelände oberhalb des Dorfes stehen bleibt.
Nun sei es einfach schlicht zu gefährlich, im Dorf zu bleiben, sagte der Geologe Stefan Schneider. Weil ab nächster Woche zudem ein Wetterumschwung droht, könne mit der Evakuierung nicht länger zugewartet werden. «Ihr geht nicht für uns, ihr geht für euch», sagte Gemeindepräsident Daniel Albertin den Betroffenen. Man habe beim Evakuierungsentscheid stets das Wohlbefinden der Betroffenen ins Zentrum gestellt.
Die Sprengfrage
«Weshalb kann man nicht einfach sprengen?», fragten verschiedene Brienzerinnen und Brienzer immer wieder. Es sei schlicht nicht machbar, so Andreas Huwiler vom kantonalen Amt für Wald und Naturgefahren.
Dafür müssten zehntausend zehn bis zwanzig Meter tiefe Bohrungen mit 360’000 Kilogramm Sprengstoff gemacht werden. Dies wäre das Dreissigfache der Hiroshima-Bombe. Damit würde vermutlich ein Bergsturz mit verheerendem Ausmass ausgelöst.
Auch Teilbereiche zu sprengen sei zu gefährlich. Damit könnte eine Schuttlawine ausgelöst werden, die das Dorf zerstören würde, erklärte Huwiler weiter. Dennoch habe man vorsorglich mit einer in diesem Bereich spezialisierten Firma Kontakt aufgenommen.
Die Umsiedlungsfrage
Als Reaktion auf die bevorstehende Evakuierung sicherte die Bündner Regierung am Dienstagmittag zu, die Umsiedlungsplanung weiterhin intensiv voranzutreiben. Bereits am 20. November will die Gemeinde den Betroffenen einen Standort präsentieren, so Gemeindepräsident Albertin.
Dieser Standort befinde sich ebenfalls im Gemeindegebiet von Albula. Auch im Wissen, dass er nicht bei allen Betroffenen auf Anklang stossen werde, sei es ein Lichtblick. Bei der Präsentation will die Gemeinde zudem auf mit der Umsiedlung zusammenhängende finanzielle Fragen eingehen, versprach Albertin.
Die Alternative
Wird Brienz GR nicht umgesiedelt, könnte der Entwässerungsstollen helfen. Der 2,3 Kilometer lange und 40 Millionen Franken teure Stollen unterhalb des Dorfes soll die Landmasse entwässern und so den Druck auf die Rutschungen reduzieren. Er wird aber erst Ende 2027 fertig sein.
Der Bau schreite derweil gut voran, sagten die Behörden am Dienstagabend. Auch während der Evakuierung werde daran weitergearbeitet.
Brienz ist bereits einmal evakuiert worden
Die rund 80 Bewohner von Brienz/Brinzauls mussten ihre Häuser bereits im Mai 2023 verlassen, weil sich Geröll und Gestein oberhalb des Dorfes so stark bewegten, dass die Behörden einen grösseren Felssturz oder Schuttstrom befürchteten, der das ganze Dorf hätte fortreissen können.
Der Schuttstrom kam schliesslich in der Nacht zum 16. Juni 2023. Riesige Gesteinsmengen schossen den Hang hinab, begruben eine Strasse und Wiesen meterhoch unter Schutt und kamen wenige Meter vor dem Ort zum Stillstand. Anfang Juli 2023 konnten die Brienzerinnen und Brienzer nach rund eineinhalb Monaten in ihre Häuser zurückkehren.
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