Nach russischem Angriff –
Bericht: Biden gibt Ukraine grünes Licht für Angriff auf russisches Territorium mit US-Waffen
Nach dem jüngsten Angriff Russlands mit Dutzenden Marschflugkörpern und ballistischen Raketen genehmigt US-Präsident Biden der Ukraine den Einsatz von US-Langstreckenraketen gegen Ziele auf russischem Territorium.
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Das russische Militär hat in der Nacht und in den Morgenstunden einen massiven Luftangriff auf Ziele in der Ukraine gestartet. In der ukrainischen Hauptstadt Kiew waren am Morgen mehrere von der Flugabwehr ausgelöste Explosionen zu hören. Behördenangaben zufolge gerieten zwei Wohnhäuser in Brand.
Explosionen wurden auch aus Saporischschja, Dnipro, Kriwi Rih und Odessa gemeldet. Gemäss Angaben der ukrainischen Luftwaffe sind Dutzende Marschflugkörper und ballistische Raketen unter anderem durch strategische Bomber auf Ziele im ganzen Land abgefeuert worden. Zuvor waren demnach bereits Dutzende Kampfdrohnen von Russland eingesetzt worden.
Biden genehmigt Einsatz von ATACMS-Raketen
Am Abend hat US-Präsident Joe Biden der Ukraine erstmals den Einsatz von amerikanischen Langstreckenraketen für Angriffe in Russland erlaubt. Das erfuhr die Nachrichtenagentur AP am Sonntag aus informierten Kreisen. Gemeint sind Raketen vom Typ ATACMS. (Warum das auf den Krieg grosse Auswirkungen haben wird.) Zuerst berichtete die «New York Times» unter Berufung auf US-Regierungskreise darüber; Stellungnahmen der genannten Staaten lagen zunächst nicht vor.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat aber am Sonntagabend angedeutet, die Erlaubnis für den Einsatz weitreichender Waffen gegen Russland erhalten zu haben. In den Medien kursierten entsprechende Berichte, sagte Selenski in seiner abendlichen Ansprache. Doch Schläge würden nicht mit Worten geführt. «Solche Dinge werden nicht angekündigt. Die Raketen werden für sich selbst sprechen», sagte er.
Antwort auf Kim Jong-uns Truppen
Die Langstreckenwaffen dürften als Antwort auf die Entsendung Tausender nordkoreanischer Soldaten nach Russland zur Unterstützung des Angriffskriegs eingesetzt werden, sagte eine Gewährsperson. Nordkorea hat die Soldaten stationiert, um Moskau dabei zu helfen, Land in der russischen Grenzregion Kursk zurückzueroberndas ukrainische Truppen in diesem Jahr eingenommen haben.
Selenski und viele seiner westlichen Unterstützer hatten die USA seit Monaten aufgefordert, den Einsatz westlicher Waffen für Angriffe auf militärische Ziele in Russland zu erlauben. Ein bisheriges US-Verbot habe die Ukraine daran gehindert, russische Angriffe auf ihre Städte und Stromnetze zu stoppen. Kritische Stimmen haben Bedenken geäussert, dass das Verbot und andere Einschränkungen durch die USA dazu führen könnten, dass die Ukraine den Krieg verliere.
Das Thema hat für Differenzen innerhalb der Nato gesorgt. Biden wollte eine Eskalation verhindern, die womöglich bedeuten könne, dass die USA und andere Mitglieder des Militärbündnisses in einen direkten Konflikt mit Russland geraten.
Die Entscheidung stellt einen erheblichen Kurswechsel der US-Regierung kurz vor dem Ausscheiden Bidens aus dem Amt im Januar dar. Der künftige Präsident Donald Trump hat Zweifel an der weiteren Unterstützung der USA für die Ukraine geäussert.
Massiver Angriff auf die Ukraine
Insgesamt wurde die Ukraine letzte Nacht laut Präsident Wolodimir Selenski mit etwa 120 Raketen und 90 Drohnen angegriffen. «Unsere Flugabwehr hat über 140 Luftziele zerstört», schrieb Selenski bei Telegram. Ziel sei vor allem die Energieinfrastruktur im gesamten Land gewesen. «Leider gibt es beschädigte Objekte durch Einschläge und herabfallende Trümmer», teilte der Staatschef mit. In einigen Gebiete gebe es Stromausfälle. An der Beseitigung der Folgen des Angriffs werde gearbeitet. Er sprach zudem den Angehörigen von zwei Frauen sein Beileid aus, die in der südukrainischen Stadt Mikolajiw getötet wurden.
Polen liess Kampfjets aufsteigen
Wegen «massiver» russischer Angriffe auf die Ukraine hat Polen Kampfjets aufsteigen lassen. «Einsätze von polnischen und von alliierten Flugzeugen in unserem Luftraum haben begonnen», erklärte die polnische Armee am Sonntagmorgen im Onlinedienst X. Zudem seien «alle nötigen Kräfte» zur Verteidigung des eigenen Staatsterritoriums mobilisiert worden.
Grund für die Entscheidung seien «massive Angriffe der Russischen Föderation» auf die Ukraine, erklärte die polnische Armee. Die russischen Angriffe erfolgten «mit Marschflugkörpern, ballistischen Raketen und Drohnen». Sie richteten sich unter anderem gegen Einrichtungen in der Westukraine, die an Polen grenzt.
Kanzler Scholz in der Kritik
Zudem sprach die polnische Regierung wegen der massiven Angriffe von einem Scheitern der «Telefon-Diplomatie». Deutschlands Kanzler Olaf Scholz verteidigte hingegen sein kürzlich geführtes Telefonat mit Kreml-Chef Wladimir Putin. Scholz sagte, es sei wichtig, dem russischen Präsidenten klarzumachen, «dass er nicht damit rechnen darf, dass die Unterstützung Deutschlands, Europas und vieler anderer in der Welt für die Ukraine nachlassen wird». Scholz hob auch hervor: «Über die Köpfe der Ukraine hinweg wird es keine Entscheidung geben.»
Der Kanzler hatte am Freitag erstmals seit fast zwei Jahren mit Putin telefoniert, dies war sowohl von Oppositionspolitikern in Deutschland als auch von der Regierung in Kiew scharf kritisiert worden. Aussenminister Andri Sibiha bekräftigte am Sonntag nochmals die Kritik Kiews: «Das ist die wahre Antwort des Kriegsverbrechers Putin an alle, die ihn kürzlich angerufen und besucht haben», sagte er mit Blick auf die massive Angriffswelle. «Wir brauchen Frieden durch Stärke, nicht Beschwichtigung.»
Aus Sicherheit Strom in mehreren Gebieten ausgeschaltet
In mehreren Gebieten wurde als Vorsichtsmassnahme der Strom abgeschaltet, um einer eventuellen Überlastung des Netzes vorzubeugen, sollten Energieanlagen getroffen werden. Der zuständige Minister Herman Haluschtschenko berichtete auf Facebook von einem massiven Angriff auf das Energiesystem der Ukraine. Am Abend des Angriffes teilte das Energieministerium dann mit, dass die Stromversorgung landesweit eingeschränkt wird.
Die ukrainischen Streitkräfte stehen in den kommenden Tagen und Wochen vor einer gewaltigen Aufgabe. Während sich in der von Ukrainern besetzten westrussischen Region Kursk eine Gegenoffensive Moskaus abzeichnet, müssen die ukrainischen Soldaten im Osten ihres Landes am Rand des Donbass weitere Rückschläge in Form von Gebietsverlusten hinnehmen.
Nordkorea liefert schwerste Artilleriegeschütze
Neben Tausenden Soldaten hat Nordkorea seinem Verbündeten Russland gemäss einem Medienbericht nun auch schwerste Artilleriegeschütze zum Kampf gegen die Ukraine zur Verfügung gestellt. So sollen in den vergangenen Wochen knapp 50 schwere Haubitzen auf Selbstfahrlafetten aus nordkoreanischer Produktion sowie knapp 20 Mehrfachraketenwerfer in Russland eingetroffen sein, wie die «Financial Times» unter Berufung auf gesicherte Quellen berichtete. Nordkoreas reichweitenstärkste Geschütze seien inzwischen in der Nähe von Kursk eingetroffen, um dort die russische Gegenoffensive gegen eingedrungene ukrainische Einheiten zu unterstützen. Die Haubitzen «Koksan», die vor einigen Tagen auf einem russischen Bahnhof gesichtet worden seien, haben eine Reichweite von bis zu 50 Kilometern.
Russland hat zur Gegenoffensive bei Kursk nach Erkenntnissen westlicher und ukrainischer Militärexperten bereits knapp 50’000 Soldaten zusammengezogen, unter ihnen auch über 10’000 nordkoreanische Kämpfer. Diese waren zuletzt in Russland weiter ausgebildet und mit russischen Uniformen und Waffen ausgestattet worden. Bei Kursk will das russische Militär Gelände zurückerobern, das ukrainische Truppen seit dem Sommer nach einem überraschenden Vorstoss über die Grenze besetzt halten.
Selenski gewährt Frontsoldaten Rückzugspausen
Unter dem massiven Druck der russischen Armee müssen sich die ukrainischen Truppen bei Kurachowe im Osten der Ukraine langsam zurückziehen. Selenski bemühte sich in einem Radiointerview, die Rückzugstaktik positiv zu beleuchten. «An der Front stehen Jungs, die müssen abgelöst werden, um sich zu erholen», sagte er. «Doch die anderen Brigaden, die nachrücken sollen, sind aber nicht voll ausgerüstet – sollte man sie jetzt so zum Abschlachten an die Front werfen, wie es die Russen tun?» Dies sei unmöglich.
Doch die Soldaten in den vordersten Frontlinien seien schwer unter Druck, bräuchten nach dem Bomben- und Granathagel dringend Erholung. «Sie fragen dann, ob sie sich zurückziehen dürfen, die Militärführung erlaubt das», erklärte Selenski die Rückzüge. «Denn unsere Position ist klar – an erster Stelle steht der Mensch, erst danach das Land.»
Studie: Schlechte Position für die Ukraine, aber auch für Russland
Das in der US-Hauptstadt Washington ansässige Institut für Kriegsstudien hat die aktuelle Frontlage in der Ukraine analysiert und beiden Kriegsparteien schlechte Positionen bescheinigt. Der für die Region zuständige Institutsvertreter George Barros bescheinigte den russischen Truppen erfolgreiche Vorstösse im Osten der Ukraine, mit denen Gegenangriffe der Ukrainer verhindert würden. «Man verliert Kriege, wenn man ständig in der Defensive ist», sagte er dem US-Sender CNN. Man werde in einer Ecke festgenagelt und habe dann nur eine Menüauswahl schlechter Optionen.
Allerdings bestätigte Barros auch den russischen Militärs Ineffizienz. Seit Jahresbeginn sei die russische Armee in der Ostukraine lediglich knapp 40 Kilometer vorgerückt, und das zu hohen Kosten an Soldaten und Material. Moskau habe nach Berechnungen seines Instituts bei Pokrowsk ungefähr den Gegenwert von fünf gepanzerten Divisionen verloren, also Hunderte von Panzern und Schützenpanzern. «Fünf Divisionen von Panzern und Schützenpanzern in einem Jahr zu verlieren und dabei nur 40 Kilometer vorzurücken, da muss man schon die grossen Schlachten des 21. Jahrhunderts zum Vergleich heranziehen, eventuell auch die grossen Schlachten des Zweiten Weltkriegs», sagte Barros. «Das ist schlicht eine wirklich schlechte Leistung.»
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