Anhaltende Dürre im Tschad, Waldbrände in Kalifornien, Überschwemmungen in Spanien: In diesem Jahr haben Umweltkatastrophen weltweit gezeigt, was die fortschreitende Klimaerwärmung bedeutet.Bild: Schlussstein
Interview
Für den ETH-Klimapolitologen Anthony Patt endet die UNO-Weltklimakonferenz in Baku frustrierend. Trotzdem gibt es punkto Klimaschutz noch Hoffnung, wie er im Interview sagt. Sogar in den USA, wo mit Donald Trump bald ein Klimawandelleugner regiert.
24.11.2024, 08:1424.11.2024, 08:18
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Umweltforschende haben berechnet, dass die Industriestaaten den Schwellenländern eine Billion US-Dollar jährlich für Klimaschutz und -anpassungen zur Verfügung stellen müssten. An der UNO-Weltklimakonferenz COP29 verpflichteten sich die reichen Länder, darunter auch die Schweiz, nun nur zu 300 Milliarden pro Jahr ab 2035. Sind Sie enttäuscht?
Anthony Patt: Natürlich ist das frustrierend, aber ich habe nichts anderes erwartet. Meine Erwartungen an die UNO-Weltklimakonferenz sind nie hoch. Und doch ist es wichtig, dass sie stattfindet. Zu wenig Finanzhilfen sind immer noch besser als gar keine, auch wenn sie nicht ausreichen, damit die Welt auf Kurs bleibt.
Auf welchem Kurs befindet sich die Welt denn derzeit punkto Klimaschutz?
Wir stehen nicht still, wir bewegen uns in die richtige Richtung – nur tun wir das viel zu langsam.
Was an der Klimakonferenz vor sich ging, bekamen viele nicht einmal mit. Liegt es an den Kriegen in Nahost, der Ukraine, dem Sudan? Oder herrscht Klimamüdigkeit in der Bevölkerung?
Das Interesse an bestimmten politischen Themen kommt bei den Wählerinnen und Wählerin immer in Wellen. 2019 war der Klimawandel eine der grössten Sorgen der Bevölkerung. Dann kam die Covid-Pandemie und hat das Thema verdrängt. Nun sind es die grossen Kriege, die viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dass der Klimawandel angesichts dessen nicht mehr so viel Beachtung erfährt, ist verständlich und war zu erwarten. Damit müssen wir leben und umgehen lernen.
Zur Person
Anthony Patt stammt aus den USA und ist seit 2013 ordentlicher Professor für Klimapolitik, Klimaschutz und Klimaanpassung an der ETH Zürich, wo er auch stellvertretender Leiter des Instituts für Umweltentscheidungen ist. In seiner Forschung versucht er politische Ansätze zu entwickeln, mit denen Treibhausgasemissionen effizient beseitigt werden können, die durch die breite Bevölkerung entstehen. Patt untersucht deshalb nicht nur unser politisches und wirtschaftliches System, sondern auch die Überzeugungen, welche die Bevölkerung in Bezug auf Klimaschutz haben. Auch geht er der Frage nach, aus welchen Gründen Menschen sich für oder gegen gewisse klimapolitischen Ansätze aussprechen.
Wie sollen Klimaaktivisten, Umweltorganisationen und grüne Parteien mit diesem schwindenden Interesse umgehen?
Es hilft auf jeden Fall nichts, wenn man einfach noch lauter «Klimaschutz» schreit. Stattdessen müssen sie jetzt zeigen, dass ihre Lösungsstrategien tatsächlich funktionieren. Denn das tun sie. Wir können beobachten, dass es sich zunehmend lohnt auf klimaschonende Technologien zu setzen. Und zwar aus wirtschaftlichen Gründen. Im Energiesektor hat in den letzten Jahren eine Transformation stattgefunden, weg von Öl, Gas und Benzin und hin zu Elektrizität aus erneuerbaren Quellen wie der Solarenergie. Auch Batterien sind als Speichermedien billiger geworden. Elektroautos sind auf dem Vormarsch. Diese positiven Entwicklungen lassen sich nicht mehr aufhalten, auch wenn sie langsam voran kommen.
«Es hilft nichts, wenn man einfach noch lauter ‹Klimaschutz› schreit.»
Auch nicht von Donald Trump, dem Klimawandelleugner, der mit den USA bald ein Land anführen wird, das massgeblich für die Erderwärmung verantwortlich ist?
Natürlich ist von Washington in den nächsten vier Jahren nichts Positives punkto Klimapolitik zu erwarten. Trump kann den Übergang zur E-Mobilität und zu den Erneuerbaren vielleicht verlangsamen – was natürlich schädlich wäre. Aber: Auch er kann die Transformation, die bereits im Gange ist, nicht aufhalten, davon bin ich überzeugt. Wir haben einen Wendepunkt erreicht.
Was macht Sie da so sicher?
Es sind ausgerechnet die US-Bundesstaaten im Mittelland, die republikanisch regiert sind und klar Trump gewählt haben, die in den letzten Jahren am meisten in Solar- und Windenergie investiert haben. Das macht auch Sinn: Bei ihnen gibt es unglaublich viel Land und starken Wind. Es wäre verlorenes Geld, dort keine grossen Solaranlagen und keine Windräder hinzustellen.
«Ausgerechnet US-Bundesstaaten, die Trump wählten, haben in den letzten Jahren am meisten in Solar- und Windenergie investiert.»
Diese Bundesstaaten haben den Ausbau von Erneuerbaren aber sicher nicht mit Klimazielen erklärt, oder?
Natürlich nicht, sie sagten, man mache das aus wirtschaftlichen Gründen. Aber letztendlich ist die Begründung egal, solange die Transformation stattfindet. Es ist ja umso besser, wenn es einfacher und wirtschaftlicher ist, sich klimafreundlich zu verhalten. Wir haben erst dann ein Problem, wenn in gewisse Technologien aus rein ideologischen Überzeugungen nicht investiert wird. An diesem Punkt sind wir heute allerdings nicht – und wir werden es hoffentlich auch nie sein.
«Wir haben erst dann ein Problem, wenn in gewisse Technologien aus rein ideologischen Überzeugungen nicht investiert wird.»
Autoritäre und konservative Kräfte sind auf dem Vormarsch, grüne Parteien verlieren an Wählerinnen und Wählern. Die Bevölkerung scheint weltweit keine Lust mehr auf Klimadebatten zu haben. Woran liegt das?
Höhere Energiepreise sind in der Bevölkerung nie willkommen. Sie treffen Familien mit geringerem Einkommen in der Regel härter. Frankreich ist dafür ein perfektes Beispiel.
Positiv oder negativ?
Frankreich hat dazugelernt. 2022 wollte Präsident Emmanuel Macron mit der höheren Besteuerung der fossilen Kraftstoffe die Energiewende erzwingen. Das Volk reagierte mit massiven Protesten. Im vergangenen Jahr hat Frankreich nun die Windenergie enorm ausgebaut, ein Gesetz verabschiedet, das Fotovoltaikanlagen auf allen neuen Gebäuden vorschreibt und ein neues System entwickelt, das Anreize für den Kauf von E-Autos schafft. Leute mit niedrigem Einkommen erhalten beispielsweise Rabatt auf ein Leasing eines neuen E-Autos. Die Subvention ist am höchsten, je kleiner das E-Auto und je niedriger das Einkommen. Dieses System ist nicht nur sozial verträglich, sondern auch enorm erfolgreich.
Anthony Patt, Professor für Klimapolitik, Klimaschutz und Klimaanpassung an der ETH Zürich.Bild: zvg
Im jährlich erscheinenden Klima-Ranking der Klimaschutzorganisation Germanwatch zeigt sich, dass Frankreich 12 Plätze nach oben schoss. Die Schweiz hingegen stieg 12 Plätze ab und befindet sich nun auf dem 33. Platz. Überrascht Sie das?
Nein, das überrascht mich nicht. Die Schweizerinnen und Schweizer haben 2023 ein mehrheitlich bürgerliches Parlament gewählt und es sitzt mit Albert Rösti ein Bundesrat einer konservativen Partei an der Spitze des Departements für Umwelt, Verkehr und Energie. Klimapolitik hat für Konservative nicht oberste Priorität, und man kann davon ausgehen, dass sie den gesetzlichen Spielraum nutzen werden, um andere Ziele in den Vordergrund zu stellen. Entsprechend zeigt sich das im Klima-Ranking der Schweiz.
Im Sommer hat das Stimmvolk das Stromgesetz angenommen. Kann das nicht bewirken, dass die Schweiz in den nächsten Jahren im Klima-Ranking aufsteigt?
Das denke ich leider eher weniger. Das Stromgesetz wird nur bewirken, dass wir unseren jetzigen Kurs beibehalten. Dieser geht zwar in die richtige Richtung, aber er ist – wie gesagt – viel zu langsam.
«Klimapolitik hat für Konservative nicht oberste Priorität»
Warum kann das Stromgesetz das Tempo nicht beschleunigen?
Einerseits, weil es viel ambitionsloser ist, als die Ansätze, die beispielsweise Frankreich verfolgt. Wir haben im Gesetz nur eine Solaranlage-Pflicht für neue Gebäude ab einer Grösse von 300 Quadratmetern. Der französische Ansatz mit einer Solarpflicht auf allen neuen Gebäuden kam in unserem Parlament nicht durch. Andererseits gibt es auch viele Verschlechterungen punkto Klimaschutz in der Schweiz.
Zum Beispiel die Ablehnung der Biodiversitätsinitiative?
Zum Beispiel. Der Plan des Bundesrats für die Biodiversität wird auch zu wenig bewirken. Kommt hinzu, dass Bundesrat und Parlament bereits darüber nachdenken, die Anreize für den Umstieg auf E-Autos zu beseitigen, obwohl diese Transformation nun erst in Gang gekommen ist. Aber auch wegen des Sparprogramms des Bundes sieht es schlecht aus. Wenn der Bundesrat tatsächlich einen Grossteil der Gelder aus dem Gebäudeprogramm streicht, welcher die Leute beim Übergang von Ölheizungen zu Wärmepumpen unterstützt, macht er die bisherigen Fortschritte zunichte. Obwohl dieser Ansatz enorm erfolgreich ist, weil er eben sozialverträglich ist: 90 Prozent der Menschen, die ihre Ölheizungen ersetzen, installieren heute Wärmepumpen.
Sie setzen ihre Hoffnungen also auf die Transformation im Energiesektor und der Mobilität.
Ja, weil wir mit Wärmepumpen und E-Autos 70 Prozent unserer Emissionen reduzieren können. Und das, ohne dass sie uns gross in unserer Freiheit einschränken oder wir unser Verhalten ändern müssten. Das ist ja die glückliche Lage, in der wir uns eigentlich befinden: Es müssen nicht alle Leute ihr Verhalten ändern. Es reicht schon, wenn wir auf die richtigen Technologien setzen. Das wäre fast schmerzlos möglich, wenn wir jetzt in sozialverträgliche Systeme investieren würden.
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