Massenkündigung vor Weihnachten: «Hier geht es nur um Rendite»

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  • Christian Georg Brunner, Immobilienökonom, kritisiert die geplante Kernsanierung der Sugus-Häuser als renditegetrieben.

  • Die Eigentümerin Regina Bachmann plant umfassende Renovationen, obwohl die Gebäude erst 24 Jahre alt sind.

  • Brunner zweifelt an der Notwendigkeit der Leerkündigung und sieht darin einen Trick zur Mieterhöhung.

  • Die geplante Grundrissänderung soll die Neuvermietung erleichtern und höhere Mieten ermöglichen.

Drei Häuser einer Zürcher Wohnsiedlung sollen kernsaniert werden. Gebaut wurden sie von Leopold Bachmann (1933–2021), dem Sozialverträglichkeit immer wichtig war. Er halte es für wichtig, für weniger Verdienende, vor allem Familien mit Kindern, erschwinglichen Wohnraum zur Verfügung zu stellen, sagte er in einem seiner wenigen Interviews zu Lebzeiten zur NZZ.

«Die Einschätzung der Bausubstanz ergab, dass der Zustand der Liegenschaften eine umfassende Kernsanierung erfordert», schreibt die Liegenschaftsverwaltung in einer Stellungnahme, nachdem sie am Montag 105 Mietparteien kündigte.

20min/Céline Trachsel

Seine Tochter, Regina Bachmann, hat die drei Blöcke nun geerbt und am 26. November 2024 als neue Eigentümerin übernommen. «Die Einschätzung der Bausubstanz ergab, dass der Zustand der Liegenschaften eine umfassende Kernsanierung erfordert», schreibt die Liegenschaftsverwaltung in einer Stellungnahme, nachdem am Montag allen 105 Mietparteien per Ende März 2025 gekündigt wurde.

«Kernsanierung nach 24 Jahren ist völlig atypisch»

Dass die Bausubstanz der Grund der Totalsanierung ist, zweifelt Immobilienökonom Christian Brunner stark an. «Wir sprechen hier von einem technischen Alter der Bauelemente von 24 Jahren, denn laut dem eidgenössischen Gebäude- und Wohnungsregister datieren sie auf das Jahr 2000. Und eine Kernsanierung ist nach 24 Jahren völlig atypisch.» Für ihn ist klar: «Hier geht es um Rendite. Es ist eine Gewinnoptimierung für diese Liegenschaften. Investmentmässig verstehe ich das, aber aus sozialverträglicher Sicht sehe ich das kritisch.»

Christian Brunner doziert an der Berner Fachhochschule und ist zudem Institutsleiter und Gründer des Institute Real Estate Management (IREM) in Winterthur.

Christian Brunner doziert an der Berner Fachhochschule und ist zudem Institutsleiter und Gründer des Institute Real Estate Management (IREM) in Winterthur.

Privat

Eine baubedingte Leerkündigung sei sicher nicht nötig. «Aber nach einer Leerkündigung kann natürlich zu höheren Preisen neu vermietet werden.»

Energetisches Argument sei «ein Fauler»

Laut des Statements der Verwaltung werden an der Neugasse 81, 83 und 85 die Küchen und Bäder sowie die Leitungsinstallationen ersetzt und die Wand- und Bodenbeläge erneuert. Zudem gibt es «ökologische und energiesparende Modernisierungen».

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Brunner sagt, die Siedlung sei nicht billig gebaut worden, die Totalsanierung sei deshalb wohl eher eine Ausrede. Selbst den energetischen Aspekt hält der Immobilienökonom für ein vorgeschobenes Argument. «Die Fassade zum Beispiel ist eine vorgehängte, hinterlüftete Fassade, die sind teuer in der Erstellung und sehr langlebig. Die werden gemäss der paritätischen Lebensdauer-Tabelle erst nach 40 Jahren fällig.»

«Hier wurde nicht billig gebaut.»

Christian Brunner

Die graue Energie, die verschwendet werde, etwa für Bauteile, die vor dem Ende ihrer Lebensdauer ersetzt werde, rechtfertige niemals die spätere während der Nutzung eingesparte Energie. «Zudem sind die Gebäude ja bereits mit einer Fussbodenheizung ausgestattet. Sinnvoller Weise kommt vielleicht noch eine Solaranlage aufs Dach. Oder es werden Fenster mit einer Dreifachverglasung verbaut. Aber zum Beispiel der Ersatz der Fenster könnte man im bewohnten Zustand machen, da wäre keine Leerkündigung nötig.»

Arbeiten wären bewohnt durchführbar

Sogar die Auswechslung von alten Küchen und Bädern oder der Ersatz der Leitungen und der Deckbeläge von Böden, Wänden und Decken – all diese Arbeiten wäre den Mietern zumutbar, sie im bewohnten Zustand durchzuführen.

Zürichs Mietpreise steigen für eine 3-Zimmer-Wohnung steigen rasant. Hier die Preise von 2020, 2022 und 2024.

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20min/Taddeo Cerletti

Christian Brunner sagt, dass zur Zeit grosszyklische Sanierungen bei Bauten aus den 70 und 80er-Jahren üblich seien, aber nicht bei einem Bau aus dem Jahr 2000. «Bei den alten Häusern haben wir noch Einsteinmauerwerke mit geringer oder keiner Wärmedämmung, Radiatoren als Wärmeabgabe und in der Regel keine Aufzüge, bei solchen Gebäuden fallen ganz andere energetische sowie auch strukturelle Themen an. Bei dieser Wohnsiedlung mit energetischen Modernisierungen die Leerkündigung zu begründen, ist meiner Meinung nach sehr weit hergeholt und nicht fundiert.»

Grundrissänderung der entscheidende Trick?

Sehr kritisch sieht er vor allem die Grundrissänderung: Die Eigentümerin will die 5,5-Zimmer-Wohnungen verkleinern und die 1,5-Zimmer-Wohnungen auf 2,5 Zimmer vergrössern. Brunner: «Das ist ein Trick, um bei der Neuvermietung kein amtliches Formular mehr verwenden zu müssen, das den anfechtbaren, vorherigen Mietzins angibt. Denn mit der Grundrissänderung ist es eine Neuvermietung.» Zudem könnte es damit für die Eigentümerschaft vielleicht sogar reichen, vor der Schlichtungsstelle, die die betroffenen Mieter nun anrufen könnten, die baubedingte Leerkündigung zu begründen.

«Ich rechne damit, dass für die Wohnungen später das Doppelte verlangt werden kann.»

Christian Brunne

«Im Statement wird ja ausgeführt, dass die Grundrisse wegen der aktuellen Nachfrage angepasst werden. Aber in Zürich gibt es kaum 5,5-Zimmer-Wohnungen, die sind sehr gefragt, auch kleine Wohnungen gehen gut weg. In Zürich wird ohnehin alles vermietet.»

Sein Fazit: Die Kernsanierung werde nur durchgeführt, um die Wohnungen später nach Marktpreisen vermieten zu können. «Und zwar rechne ich damit, dass bei diesen Wohnungen das Doppelte verlangt werden kann.»

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