Wie es um Schweizer Inflation steht, ist umstritten.

Wie es um Schweizer Inflation steht, ist umstritten.
Wie es um Schweizer Inflation steht, ist umstritten.
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Über Inflation lässt sich trefflich streiten. Eine Lesehilfe im Vorfeld des Zinsentscheids der Schweizerischen Nationalbank.

Die Kaufkraft von Geld schmilzt mit steigender Inflation.

Gaetan Bally / Keystone

Wird das Portemonnaie voller und der Einkaufskorb leerer, herrscht Inflation. Auch die Schweiz hat jüngst eine Teuerungswelle erlebt. Seit dem Höchstwert von 3,5 Prozent ist die Inflation aber wieder deutlich gesunken – und mit ihr der Leitzins der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Bereits wird über die neuerliche Einführung von Negativzinsen spekuliert. Um diese Debatte besser einordnen zu können, empfiehlt sich ein differenzierter Blick auf die zugrunde liegenden Preisdaten.

Man findet, was man finden will

Im November zeigte der Landesindex der Konsumentenpreise (LIK) eine Inflation von 0,7 Prozent an. Die Teuerung liegt damit komfortabel im SNB-Zielband zwischen 0 und 2 Prozent. Das bedeutet aber nicht, dass das Leben für die Bevölkerung um genau 0,7 Prozent teurer geworden ist. Denn je nachdem, was bei der Berechnung der Inflation in den dafür relevanten Warenkorb gepackt wird und wie man die einzelnen Güter und Dienstleistungen gewichtet, resultiert eine andere Teuerung.

Weil man bei der Inflation viele Dinge weg- und hinzurechnen kann, lässt sich mit den Preisdaten, die das Bundesamt für Statistik (BfS) monatlich zusammenträgt, bestens streiten. Diejenigen, die einen steigenden Preisdruck nachweisen wollen, werden im Datenmeer des BfS ebenso fündig wie diejenigen, die Argumente für nachlassenden Preisdruck suchen. Auch derzeit, im Vorfeld des am Donnerstag anstehenden Zinsentscheids der SNB, werden von Ökonomen und Analysten wieder allerlei verschiedene Zahlen herumgeboten.

Wer zum Beispiel darlegen will, dass die Inflation noch immer ziemlich hoch sei und es für die SNB wenig Grund für kräftige Zinssenkungen gebe, verweist am besten auf die Preisentwicklung inländischer Güter. Denn hier hat die Inflation kaum nachgelassen. Seit über zwei Jahren oszilliert die Teuerung inländischer Waren um 2 Prozent. Sie liegt also klar in der oberen Hälfte des geldpolitischen Zielbandes; entsprechend kann man sich fragen, warum die SNB seit März den Leitzins gesenkt hat.

Die Antwort liefert die Teuerung der Importgüter. Denn diese hat seit Sommer 2022 stark nachgelassen und ist seit einem Jahr gar negativ. Die eingeführten Produkte sind also billiger geworden. Dies deshalb, weil der Franken an Aussenwert gewonnen hat und man im Ausland pro Franken mehr Sachen kaufen kann. , deren Konsum überproportional aus Importwaren besteht, spüren daher weniger von der Inflation als jene, deren Warenkorb primär aus heimischen Produkten besteht.

Ohne Essen und Energie

Doch was tun, wenn weder die inländische noch die importierte Inflation das eigene Argument stützt? Dann hilft allenfalls der Rückgriff auf die sogenannte Kerninflation. Diese ist nützlich, wenn man zeigen will, dass sich die Preise ziemlich konstant entwickeln. Denn die Kerninflation verzeichnet in aller Regel keine grossen Ausschläge. Der Grund: Güter mit besonders volatilen Preisen werden ausgeklammert.

Ausgegliedert werden erstens Nahrungsmittel, deren Preise beeinflusst werden durch Wetterbedingungen, Missernten und andere schwer absehbare Naturereignisse. Unberücksichtigt bleiben zweitens Energiegüter, deren Preise etwa auf Produktionsentscheide der Erdöl exportierenden Länder oder geopolitische Spannungen reagieren. Ignoriert man die damit verbundenen Preisausschläge, gewinnt man oft einen besseren Einblick in den langfristigen Trend der Preise.

Das bedeutet aber nicht, dass die Kerninflation zwingend niedriger ist als die Gesamtinflation. Als die Energiepreise ab Mitte 2021 stark stiegen, war dies zwar der Fall. Weil sich die Teuerung der Energie jüngst aber wieder abschwächte und sich Frischprodukte sogar verbilligten, liegt die Kerninflation derzeit mit 0,9 Prozent über der Gesamtinflation. Wer also bisher mit Verweis auf die niedrige Kerninflation auf Zinssenkungen drängte, braucht neue Argumente.

Wohnungsmieten ausblenden

Lange suchen muss man nicht. Es gilt nur, den Fokus auf eine neue Variante der Inflation zu richten. Bei geldpolitischen «Tauben», die auf eine lockere Geldversorgung durch die SNB drängen, ist derzeit vor allem die Inflation unter Ausklammerung der Mieten sehr populär. Hier kommt man nämlich für die Schweiz auf eine Inflation von nur noch 0,1 Prozent, was weitere Zinssenkungen als notwendig erscheinen lässt.

Doch warum sollte man Mietpreise – für die meisten Haushalte der grösste Ausgabeposten – ausblenden? Der Grund: Der Anstieg der Mieten war jüngst vor allem auf die Erhöhung des hypothekarischen Referenzzinses zurückzuführen. Dieser Zins dürfte in naher Zukunft aber kaum weiter steigen, da die SNB den Leitzins gesenkt hat. Beim Vergleich mit den Vorjahreswerten dürfte die Mietteuerung also bald aus der Statistik fallen. Also hindurchschauen und ignorieren.

Sinkende Inflation heisst nicht sinkende Preise

Rein rechnerisch hat das alles seine Richtigkeit. Doch was man bei der Debatte über den Inflationsrückgang oft unterschlägt: Die Tatsache, dass die Teuerung sinkt, bedeutet nicht, dass die Konsumenten wieder besser dran sind. Sinkende Inflation heisst nicht sinkende Preise, sondern nur eine Verlangsamung des Preisanstiegs. Weiterhin gilt: Gegenüber Ende 2020 sind die Wohnungsmieten noch immer um 9 Prozent teurer, und das allgemeine Preisniveau der Schweiz hat sich um 7 Prozent erhöht.

Wer seinen Lohn in diesem Zeitraum ebenfalls um 7 Prozent ansteigen sah, steht gleich gut da wie Ende 2020. Alle anderen – und dies dürfte in der Schweiz die Mehrheit sein – sind schlechter dran. Sie müssen jeden Monat einen höheren Lohnanteil ausgeben, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Wer daher eindringlich vor Deflation warnt, unterschlägt zumeist, dass leicht sinkende Preise dazu beitragen könnten, einen Teil des jüngst erlittenen Kaufkraftverlustes zu kompensieren.

Das gilt vor allem für Schweizer, deren Ausgaben stark auf Produkte ausgerichtet sind, die sich jüngst markant verteuert haben. So muss derzeit für Energiegüter wie Gas, Strom, Fernwärme und Heizöl zwischen 40 und knapp 60 Prozent mehr bezahlt werden als noch Ende 2020. Dass heute die Inflation von Energie und Treibstoffen nur noch bei 0,2 Prozent liegt, ändert wenig am anhaltend höheren Kostenniveau.

Eine Frage der richtigen Statistik

Einige Güter sind in den vergangenen vier Jahren aber auch billiger geworden. Dazu gehören neben elektronischen Produkten wie PC oder -Geräten auch ausgewählte Nahrungsmittel wie Zitrusfrüchte, Kartoffeln und Zwiebeln. Aber auch hier gilt: Zwar sind die Preise für Lebensmittel im November um 0,9 Prozent gesunken. Doch heute liegt das Preisniveau für Nahrungsmittel um 6 Prozent höher als Ende 2020; das höhere Niveau bliebe auch bei einer Nullinflation bestehen.

Inflation hinterlässt Narben. Ein Land mit einer konstanten Teuerung von 2 Prozent – dem Zielwert der Zentralbanken in den USA und der Euro-Zone – erlebt in 35 Jahren eine Halbierung seines realen Geldvermögens. Glücklicherweise hat die SNB eine strengere Definition von Preisstabilität. Aber auch in der Schweiz mit ihrer eher moderaten Inflation ist die Beurteilung der Preisentwicklung ein Minenfeld. Das Ergebnis hängt nicht zuletzt davon ab, welche Statistiken man heranzieht und welche Faktoren man bewusst ignoriert.

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